Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2023 39 Kulturspiegel Das Düsseldorfer Schauspielhaus zeigt eine geradlinige Inszenierung von Friedrich Schillers „Wilhelm Tell“. von Jürgen Brenn Zum Schweizer Nationalfeiertag am 1. August werden nicht nur Fahnen gehisst, sondern ganze Berghänge und -wiesen mit riesigen weißen Kreuzen auf rotem Grund bedeckt, zum Gedenken an die Unabhängigkeit der Eidgenossen, die sie sich über viele Jahrhunderte erhalten haben. Der von Friedrich Schiller in „Wilhelm Tell“ thematisierte Nationalstolz der Schweizer ist legendär und sollte nicht mit Nationalismus verwechselt werden, wie dies die Nationalsozialisten taten, bis sie merkten, gegen wen sich der Freiheitswille in „Wilhelm Tell“ richtete. Am Ende des Dritten Reiches verboten die Nazis, das Stück aufzuführen oder sich in der Schule damit zu beschäftigen. Schiller erzählt mit dem Drama eindrücklich von der Liebe zur Freiheit, die immer wieder aufs Neue verteidigt oder erkämpft werden muss. Damit ist das Schauspiel, das im März 1804 in Weimar uraufgeführt wurde, so aktuell wie eh und je. Der aus der Schweiz stammende Regisseur, Roger Vontobel, hat den Tell im Düsseldorfer Schauspielhaus mit Hinweisen zum aktuellen politischen Weltgeschehen in Szene gesetzt. Das Bühnenbild von Olaf Altmann ist geprägt von einer riesigen, nicht enden zu scheinenden Plattform, die sich über die gesamte Breite und Tiefe des Bühnenraums erstreckt. Sie ist beweglich, kann nach oben und unten gefahren werden oder sie neigt sich bedrohlich. Zumindest trennt sie stets oben von unten. Oben stehen die Herrscher und Adligen. Unten stehen die Unterdrückten, das eidgenössische Volk, das von oben Druck bekommt. Hermann Gessler, brillant gespielt von Heiko Raulin, ist ein Reichsvogt der schlimmsten Sorte. Die Kantone sind im Grunde nur dem Kaiser des Heiligen Römischen Reichs und sonst niemandem Gehorsam schuldig. Doch die vom Kaiser eingesetzten Reichsvögte, die Mitglieder des österreichischen Adelsgeschlechts der Der berühmteste Schuss der Schweiz Oben die Herren und unten das Volk: Auf dem Bild zu sehen v.l.n.r.: Heiko Raulin als Hermann Gessler, Glenn Goltz als Konrad Baumgarten und Florian Lange als Wilhelm Tell. Foto: Thomas Rabsch Habsburger sind, missbrauchen die ihnen übertragene Macht und installieren eine Willkürherrschaft. Gessler lässt Zwingburgen bauen, foltert und mordet willkürlich, um mit Schrecken und Gewalt seine Machtposition zu festigen. Die Großbäuerin aus dem Kanton Schwyz Gertrud Stauffacher, gespielt von Sonja Beißwenger, die Neben der politischen Dimension hat Schillers Drama auch eine individuelle, in deren Mittelpunkt der knorrige Gebirgsjäger Wilhelm Tell steht. Florian Lange spielt den Jäger ebenso ruhig wie imposant. An seiner Seite stehen seine Tochter Waltraud, gespielt von Marla Rockstroh, und seine Frau Hedwig, als selbstbewusste Frau gespielt von Minna Wündrich. Tell ist ein Mann der Tat und wird von den Verschwörern gefragt, ob er bei den Aufstandsplänen mitmache. Er lehnt ab. „Der Starke ist am mächtigsten allein!“, lautet sein Motto. Auf dem Dorfplatz von Altdorf gerät Tell in Bedrängnis. Reichsvogt Gessler hat dort einen einfachen Hut auf eine Stange setzen lassen, als stellvertretendes Symbol für den Kaiser. Das bedeutet, dass sich die Untertanen vor dem Hut verbeugen müssen. Gessler will so den störrischen Eidgenossen beibringen, die Mächtigen zu respektieren und ihnen Ehrerbietung entgegenzubringen. Eine perfide Demütigung. Wer sich nicht verbeugt, dem droht die Todesstrafe. Tell weiß von der Anordnung nichts und geht über den Dorfplatz, ohne den Hut zu beachten. Er wird festgenommen, worauf es zum Tumult kommt. Der Reichsvogt tritt auf und verspricht, das Leben des Tell zu verschonen und ihn frei zu lassen, wenn dieser einen Apfel vom Kopf seiner eigenen Tochter schießt. Er stürzt damit den liebenden Vater in extreme Seelennöte, der so gezwungen ist, auf sein eigenes Kind zu zielen. Tell ringt mit sich, seiner Verzweiflung und dem Zittern in der Hand. Doch er trifft erfolgreich nur den Apfel. Gessler wäre nicht ein hintertriebener Tyrann, wenn er sich an sein Wort des freien Geleits halten würde. Er findet einen neuen Grund, um Wilhelm Tell erneut festzunehmen und will ihn persönlich über den stürmischen See ins Gefängnis bringen. Allerdings gerät sein Schiff auf dem See in Seenot. Nur Tell kann Schiff und Besatzung vor dem Untergang retten. Dabei gelingt ihm die Flucht. Während die anderen Eidgenossen sich noch die Haare raufen ob der Grausamkeit des Reichsvogts, schafft der Bergjäger Fakten. Ein langer Monolog verdeutlicht Tells inneren Zwiespalt zwischen Moral und dem Entschluss zur notwendigen Tat, um sich und sein Land von dem Tyrannen zu befreien. Er spannt noch einmal seine Armbrust und trifft zum zweiten Mal sein Ziel. Informationen unter www.dhaus.de und unter 0211 369-911. im Schillerschen Ursprungstext ein Mann ist, fühlt sich und ihren Besitz von den Habsburgern bedroht und sucht Verbündete im Nachbarkanton Uri. Ziel ihrer Bemühungen: Sie will sich gegen die Tyrannen wehren und diese aus dem Land vertreiben. Sie findet Verbündete, die in ihren Kantonen diskret weitere Mitstreiter akquirieren. Auf der Wiese Rütli, oberhalb des Vierwaldstättersees, treffen sich die Verschwörer, um gemeinsam die Revolution zu planen. Diese wird allerdings vertagt, da einige darauf bestehen, dass der Aufstand ohne Blutvergießen ablaufen solle. Sie hoffen, dass allein ein wehrhaftes Auftreten und die Eroberung der Burgen der Reichsvögte genügen wird, um die Herrscher zu vertreiben.
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