Rheinisches Ärzteblatt 11/2024

Thema 14 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2024 rung angestrebte Verschärfung des Strafrechts aus, deren Ziel es ist, Angehörige von Polizei und Feuerwehr, Rettungskräfte sowie „dem Gemeinwohl dienende“ Personen besser vor Übergriffen zu schützen. Die KBV hatte ursprünglich darauf gedrängt, das Personal in den Arzt- und Psychotherapeutenpraxen explizit in die Gesetzesänderung einzubeziehen. Das ist zwar bislang nicht geschehen. Bundesjustizminister Marco Buschmann habe jedoch bekräftigt, dass die Praxen für ihn essenzieller Bestandteil der Daseinsvorsorge und damit von der im Gesetz stehenden „Gemeinwohl dienenden Tätigkeit“ umfasst seien, erklärte der KBV-Vorstandsvorsitzende Dr. Andreas Gassen vor der VV. Er habe sich mit dem Minister darauf verständigt, zunächst wissenschaftlich zu untersuchen, wie Praxen mit Gewalterfahrungen umgehen und ob diese strafrechtlich weiterverfolgt werden. Daraus sollten dann weitere Maßnahmen abgeleitet werden. Gassen stellte zugleich klar, dass die überwältigende Mehrheit der Patientinnen und Patienten in den Praxen nicht aggressiv auftrete und sogar Verständnis für die oftmals schwierige Situation der Praxismitarbeiter habe. Dennoch sei das Problem relevant. Die Gesellschaft verroht In den Krankenhäusern sind, wie auch die Umfrageergebnisse der DKG belegen, die Notaufnahmen am häufigsten von gewalttätigen Übergriffen betroffen. Dabei kommt es nach Erfahrung von Deeskalationstrainer Busche deutlich öfter zu verbalen Entgleisungen als zu körperlichen Angriffen. „Situationen, die aggressives Verhalten begünstigen, ergeben sich immer dann, wenn Patienten nicht das bekommen, was sie wollen, oder sie es nicht sofort bekommen“, sagt der Chirurg und verweist auf den „Klassiker“ – den Patienten mit dem verstauchten Fuß, der es nicht einsieht, dass das Unfallopfer vor ihm an der Reihe ist. „Und die Zündschnur wird bei vielen kürzer“, meint Busche. Von einer „Verrohung der Gesellschaft“ spricht der Sozialpsychologe und Konfliktforscher Professor Dr. phil. Andreas Zick von der Universität Bielefeld, dessen Institut für die sogenannten Mitte-Studien der Friedrich-­ Ebert-Stiftung verantwortlich ist. Sie geben seit 2006 etwa alle zwei Jahre Auskunft über die Entwicklung rechtsextremer, menschenfeindlicher und antidemokratischer Einstellungen in Deutschland. Zick zufolge billigen zunehmend auch Menschen aus der Mitte der Gesellschaft Gewalt gegen Politiker und Institutionen, um ihre eigenen Interessen durchzusetzen. In einem Beitrag im Deutschlandfunk im April dieses Jahres, der sich dem Thema Hass gegen Einsatzkräfte widmete und in dem auch Deeskalationstrainer Busche mitwirkte, erklärte Zick, dass viele Menschen öffentliche Repräsentanten wie Polizei oder Rettungskräfte zunehmend als Dienstleister ansähen. Dazu komme der politische Populismus, der Menschen mehr und mehr in Distanz zu den Institutionen gesetzt habe. In diesem Kontext werde Gewalt als Widerstandshandlung zu „denen da oben“ veredelt. Man schaue vor allem auf sich selbst und seine eigenen Interessen und nehme den anderen nicht mehr als Person wahr. „Dann bricht der Respekt ein“, sagte Zick im Deutschlandfunk. Ein guter Gefahrenradar schützt Respekt ist das Stichwort. Auch für Deeskalationstrainer Busche. Um der zunehmenden Gewalt entgegenzuwirken, müsse langfristig wieder ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden. „Es müssen wieder Werte wie Respekt, Rücksicht und Empathie vermittelt werden“, fordert Busche. „Die Menschen müssen wieder lernen, dass man nicht immer nur die eigenen Interessen durchsetzen kann, koste es, was es wolle.“ Kurzfristig könne man den zunehmenden Übergriffen aber nur dadurch begegnen, dass man die MitIm April dieses Jahres hat die Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen (KGNW) den Leitfaden „Gewalt und Gewaltprävention im Krankenhaus“ veröffentlicht. Er richtet sich mit seinen Handlungsempfehlungen an die Geschäftsführungen und Führungskräfte der Kliniken. Viele Praxistipps können aber auf andere Bereiche im Gesundheitswesen übertragen werden. Grundsätzlich hält es die KGNW für unabdingbar, dass die Kliniken eine Null-Toleranz-Politik für Gewalt in ihrem Leitbild verankern. Handlungsempfehlungen gibt es für folgende Bereiche: Organisatorische Maßnahmen: ausreichende Personalstärke; kluge Dienstplangestaltung (keine Alleinarbeit, erfahrene Mitarbeiter unterstützen unerfahrene); internes Warn- und Meldesystem etablieren; Sicherheitsdienst beschäftigen; persönlicher Austausch mit der Polizei, schon bevor etwas passiert ist Personenbezogene Maßnahmen: Schulungen und regelmäßige Unterweisungen schaffen Gefahrenbewusstsein und Sicherheit; Deeskalationstraining, das am besten jährlich aufgefrischt wird Bauliche und technische Maßnahmen: gute Beschilderung; ausreichende Fluchtwege; überwachte Eingangstüren; Abgrenzung zwischen Empfangs- und Behandlungsbereich (bruchsicheres Glas); Versorgung der Wartenden mit Snacks, Getränken, Zeitschriften oder TV/WLAN Deeskalation durch Kommunikation: Wertschätzung und Verständnis gegenüber Patienten und deren Begleitung zeigen; ruhiges, selbstsicheres Auftreten Nachsorge: Sofort-Unterstützung für die Opfer von Gewalt durch geschulte Kollegen vorhalten, um akute Traumata abzuwenden; Konzepte für langfristige Nachsorge bereithalten Nach Einschätzung der KGNW ist das Problem der zunehmenden Gewalt in medizinischen Einrichtungen inzwischen in der Politik angekommen. Das zeige das bundesweit einmalige ressort- und bereichsübergreifende Präventionsnetzwerk #sicherimDienst des Landes NRW zur Verbesserung der Gewaltprävention für den gesamten öffentlichen Dienst. Außerdem habe das NRW-Gesundheitsministerium einen Runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt und Diskriminierung unseres Gesundheitspersonals“ eingerichtet. HK Leitfaden zur Gewaltprävention

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