18 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2024 Spezial der Ärztekammer Nordrhein ergänzt worden. Auch sie wurden wie andere jüdische Ärzte nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 zunehmend Opfer von Willkür und Gewalt. Die Ausstellung zeigte das Unrecht, das jüdischen Ärzten bis hin zur Vernichtung der wirtschaftlichen Existenz, Vertreibung oder Mord zugefügt wurde. Zunächst wenig Aussicht auf Entschädigung Wie aber ging es nach Kriegsende 1945 weiter? Gab es für die jüdischen Ärzte aus Nordrhein einen finanziellen Ausgleich für die Verluste durch Enteignung und Vertreibung? Die Entschädigung für erlittenes Unrecht oder die Rückerstattung von unrechtmäßig entzogenem Eigentum stand nach 1945 bereits früh auf der Agenda der westlichen Militärregierungen; diese sorgten auch dafür, dass nach 1949 entsprechende Vorschriften nach und nach in bundesgesetzliche Regelungen überführt wurden. Was dies konkret für die nordrheinischen jüdischen Ärzte bedeutete, zeigen die mittlerweile für die Forschung freigegebenen Akten der Wiedergutmachungsämter im Landesarchiv Nordrhein-Westfalen in Duisburg. Deutlich wird hier zunächst einmal, dass es nach Kriegsende in aller Regel mehr als ein Jahrzehnt dauerte, bis jüdische Ärzte oder deren Angehörige eine Entschädigung für „Schaden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder im wirtschaft- lichen Fortkommen“ infolge von NS-Unrecht erwarten konnten. Erst mit dem Bundesentschädigungsgesetz aus dem Jahr 1956 wurde das sogenannte Territorialprinzip aufgegeben. Zuvor hatten nur diejenigen einen Anspruch auf Entschädigung in Form von Geldrenten, Einmalzahlungen, Heilbehandlungen, Beihilfen oder Darlehen, die zum 1. Januar 1947 ihren Wohnsitz im späteren Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder in Berlin (West) hatten, was die meisten jüdischen Ärzte ausschloss. Ein Gesetz in der Britischen Zone regelte seit 1949 lediglich die Rückerstattung eindeutig zu identifizierender Vermögensgegenstände, nicht aber beispielsweise die Rückabwicklung staatlich erzwungener Geldtransfers; lange blieb ungeklärt, ob der bundesdeutsche Nachfolgestaat eine Rückerstattungsverpflichtung des Reiches gegenüber den Verfolgten übernehmen würde. So erhob der Essener Arzt Dr. Fritz Hoffmann, dem noch im April 1939 die Emigration nach England und von dort wenig später in die USA (Chicago) gelungen war, Ende des Jahres 1949 vor dem Wiedergutmachungsamt Essen Anspruch auf Schadenersatz wegen des Verlusts der Praxiseinnahmen und Zerstörung seines Wohnungsinventars. Mit Verfügung vom 26. Mai 1950 teilte ihm das Wiedergutmachungsamt mit, das geltende Militärgesetz Nr. 59 sei kein Entschädigungsgesetz. „Ansprüche wegen Vernichtung einer Existenz können daher ebenso wenig berücksichtigt werden wie Schadenersatzforderungen, bei denen die Beeinträchtigung nicht in einer Wegnahme, sondern Zerstörung der Sache bestand.“ Auch Hoffmanns Forderung nach Rückerstattung der ihm abgezwungenen „Judenvermögensabgabe“ hatte bei diesem Rechtsverständnis keine Aussicht auf Erfolg. Das Wiedergutmachungsamt lehnte diese 1951 mit der Begründung ab, Ansprüche gegen das Deutsche Reich seien zurzeit nicht realisierbar, weil noch nicht feststehe, von wem die Rechtsnachfolge angetreten werde. Abschließend urteilte hierzu die Wiedergutmachungskammer beim Landgericht Essen am 19. Juni 1953: Zweifellos sei die Judenvermögensabgabe eine staatliche Maßnahme gewesen, die eine Wiedergutmachung erfordere. Das Rückerstattungsgesetz könne allerdings bei der Zahlung einer Geldsumme keine Anwendung finden. „Bei einer Geldzahlung, in bar oder durch Überweisung, ist es in der Regel nicht möglich, festzustellen, welche Geldscheine oder Münzen entzogen worden sind. Diese Feststellung ist auch hier nicht möglich“, urteilte die Kammer und verwies auf ein noch zu erwartendes Wiedergutmachungsgesetz. Mit dem Bundesentschädigungsgesetz (BEG) vom 29. Juni 1956 wurde die „Wiedergutmachung“ von NSUnrecht auf eine neue rechtliche Basis gestellt. Erstmals konnten nun auch Ansprüche auf Kapitalentschädigungen oder Rentenzahlungen wegen Vertreibung aus beruflicher Tätigkeit geltend gemacht werden – und dies auf Grundlage präziser Durchführungsbestimmungen. Die staatliche Verantwortung für Maßnahmen des Deutschen Reiches gegen die jüdische Bevölkerung wurde nun in Entschädigungsverfahren nicht mehr grundsätzlich in Frage gestellt. Auch wurde der Kreis der Anspruchsberechtigten erweitert, sodass auch die bis 1939 emigrierten Ärzte oder deren erbberechtigte Familienmitglieder Forderungen erheben konnten. Im Fall des Krefelder Kinderarztes Dr. Isidor Hirschfelder, der sich angesichts der bevorstehenden Deportation am 29. Oktober 1941 das Leben genommen hatte, dauerte es allerdings noch bis zum Jahr 1966, bis es zu einer endgültigen Einigung mit der Erbengemeinschaft kam. Der 1893 in Rexingen geborene Hirschfelder hatte sich 1906 als erster Kinderarzt in Krefeld niedergelassen. Als Sanitätsoffizier zog er für Deutschland in den Ersten Weltkrieg. Sein Engagement ermöglichte die Einrichtung eines Säuglingsheims in Krefeld. Im Oktober 1957 beantragten erbberechtigte Familienangehörige Hirschfelders mit Wohnsitz in Centralia (Illinois) und Chicago sowie in Metz und Lyon, vertreten durch eine Kölner Anwaltspraxis, Wiedergutmachung nach den Vorschriften des Bundesentschädigungsgesetzes. Laut § 66 BEG hatte ein NS-Opfer Anspruch auf Entschädigung, wenn es aus einer selbstständigen Erwerbstätigkeit verdrängt oder in ihrer Ausübung wesentlich beschränkt worden war. Zudem war nun der AnIn Tausenden von Akten aus den Wiedergutmachungsämtern ist der Verlauf der Entschädigungsverfahren dokumentiert. Foto: Landesarchiv NRW, Abt. Rheinland
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