Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2024 19 Spezial spruch auf Entschädigung für die Zahlung von Sondersteuern in § 59 BEG gesetzlich festgelegt. Unter Vorlage eines Schreibens der Krefelder Bezirksstelle linker Niederrhein der Ärztekammer Nordrhein vom 13. April 1957 sollte der Schaden belegt werden, den Hirschfelder seit Februar 1933 als Kassenarzt in einer größeren Kinderarztpraxis in seinem beruflichen Fortkommen erlitten hatte. Geltend gemacht wurden zudem der Schaden durch Vernichtung des immateriellen Werts der Facharztpraxis, durch Zahlung der Judenvermögensabgabe in Höhe von rund 35.000 RM im Jahr 1939 und durch Verlust des Hausrats und der Praxiseinrichtung pauschal in Höhe von 5.000 DM. „Schaden im beruflichen Fortkommen“ Erst nach rund drei Jahren meldete sich das zuständige Wiedergutmachungsamt in Düsseldorf mit einem Bescheid bei den bevollmächtigten Rechtsanwälten. Der Anspruch der Erbengemeinschaft Hirschfelder auf Entschädigung wegen „Schadens im beruflichen Fortkommen in einer selbständigen Erwerbstätigkeit“ wurde anerkannt. Allerdings sah man einen Schaden für das Jahr 1933 als nicht erwiesen an. Als Leiter des Krefelder Säuglingsheims sei Hirschfelder Ende 1933 entlassen worden; insofern könne angenommen werden, „dass der Erblasser vor dem 31.12.1933 noch keinen feststellbaren Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt war“. Zudem habe Hirschfelder für das Jahr 1933 eine höhere Einkommenssteuer entrichten müssen als im Jahr zuvor. Anerkannt wurde ab dem Jahr 1934 bis zum Entzug der Approbation 1938 ein „Beschränkungsschaden“ und für die darauffolgende Zeit bis zum Suizid im Oktober 1941 ein „Verdrängungsschaden“. Bei der Berechnung des Schadens orientierte sich das Wiedergutmachungsamt am vergleichbaren Einkommen eines Beamten des höheren Dienstes. Der so berechnete Schaden von 58.663,22 Reichsmark kam als DM-Betrag im Verhältnis 10:2 in Höhe von 11.733,– DM an die Erbberechtigten zur Auszahlung. Ein Nachweis der Isidor Hirschfelder im Jahr 1939 in fünf Tranchen abverlangten Judenvermögensabgabe war nicht mehr komplett möglich; nachvollziehbar waren drei Aktienübertragungen im Laufe des Jahres 1939 zu einem aktuellen Kurswert von je rund 6.000,– Reichsmark. Hier zeigte sich das Wiedergutmachungsamt konziliant und anerkannte die Zahlung einer rückerstattungsfähigen Gesamtsumme von 30.000 RM. Einen Schaden durch Vernichtung des immateriellen Werts der Facharztpraxis Hirschfelders sah die Behörde als nicht gegeben an. Erst im Jahr 1962 kam es zu einem Vergleich über den nach Hirschfelders Suizid vom Testamentsvollstrecker versteigerten Nachlass. Wegen der „Entziehung von Hausrat und eines Pelzmantels“ und „von Gold- und Silbersachen“ verständigte man sich auf einen Schadensersatzanspruch in Höhe von 3.500 DM. Weitere Forderungen wegen Verlust von Hausrat und Praxiseinrichtung wurden noch 1966 zurückgewiesen. Nach dem BEG von 1956 konnte nun auch Dr. Fritz Hoffmann, der noch 1950/1951 mit seinen Schadenersatzansprüchen gescheitert war, erneut einen finanziellen Ausgleich für erlittenes NS-Unrecht geltend machen. Über seinen Lebensweg schrieb er bereits im Jahr zuvor in einer eidesstattlichen Versicherung: „Ich bin am 25. Februar 1895 in Essen als Deutscher geboren, bestand 1921 die medizinische Staatsprüfung, promovierte 1922 zum Doktor und liess mich 1923 in Essen als praktischer Arzt und Geburtshelfer nieder. … Durch die Verfolgungsmassnahmen der deutschen Regierung verlor ich nach 1933 einen Teil meiner Praxis, 1937 die Zulassung zur Behandlung der Kassenpatienten und im Herbst 1938 auch die aerztliche Approbation. Ich sah mich genoetigt, im April 1939 mit meiner Ehefrau und meiner Mutter auszuwandern und ging ueber England nach USA.“ Anders als erhofft wurde ihm, der 1914 mit 19 Jahren als Freiwilliger für Deutschland in den Ersten Weltkrieg gezogen war, keine Entschädigung mit Anspruch auf Rentenwahl zugebilligt. „Da der Antragsteller im Zeitpunkt der Entscheidung eine selbständige Erwerbstätigkeit ausübt, die ihm eine ausreichende Lebensgrundlage bietet, hat er keinen Anspruch auf Rentenwahl“, hieß es im Bescheid des Düsseldorfer Regierungspräsidenten vom 20. Dezember 1956. Seine Enttäuschung über diese Entscheidung brachte der zu diesem Zeitpunkt 61-jährige Fritz Hoffmann wenig später in einem Schreiben an den Regierungspräsidenten zum Ausdruck: „Ich habe doch zwölf Jahre meines Lebens (1939 bis 1951) vollkommen verloren, bis ich mal wieder einigermaßen verdiente. Ich bin fest davon überzeugt, daß ich bei normalen Verhältnissen in Deutschland längst für mein Alter ausgesorgt hätte, wenn Sie meine Einkommen aus der deutschen Praxis berücksichtigen, die ich schon vor 20 Jahren hatte. Ich bin zu alt, um mir heute noch eine ausreichende Lebensgrundlage zu schaffen.“ Bei der ihm zugesprochenen Kapitalentschädigung wurde der Zeitraum bis zum 31. Dezember 1949, in dem er aus seinem Beruf verdrängt gewesen war, berücksichtigt. Wegen Schadens im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen wurde Hoffmann für den Zeitraum seit Jahresbeginn 1936 eine Entschädigung in Höhe von 31.178 DM zugesprochen. Zur Einschätzung seines Einkommensverlusts berücksichtigte das Wiedergutmachungsamt Essen eidesstattliche Angaben Hoffmanns, aber auch Auskünfte der Kassenärztlichen Vereinigung, Abrechnungsstelle Oberhausen, über Hoffmanns Einkommen aus RVO- und Ersatzkassen in den Jahren 1936–1938. Vom Wiedergutmachungsamt anerkannt wurde auch der materielle Schaden, den Hoffmann in der Pogromnacht am 9. November 1938 erlitten hatte. Im Ermittlungsbericht des Wiedergutmachungsamts der Stadt Essen vom November 1956 heißt es dazu: „Während des Pogroms im November 1938 hielt sich der Antragsteller verborgen, um der Freiheitsberaubung und anderen Gewalttaten zu entgehen. Als er in seine Wohnung zurückDr. Isidor Hirschfelder hatte sich um die medizinische Versorgung in Krefeld verdient gemacht. Angesichts der bevorstehenden Deportation beging er Suizid. Foto: Stadtarchiv Krefeld
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