Rheinisches Ärzteblatt 11/2024

26 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2024 Interview „Sonst bleibt der Medizin der weibliche Blick verborgen“ : Frau Dr. Groß, der Deutsche Ärztinnenbund feiert in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag. Wie haben sich im Laufe der Zeit die Themen verändert? Groß: Wir feiern in diesem Jahr unseren 100. Gründungstag und haben uns ganz bewusst gegen das Wort Jubiläum entscheiden. Denn während der NS-Zeit, im Dezember 1936, wurde der Bund Deutscher Ärztinnen aufgelöst. Vorrangig ging und geht es uns immer um die Unterstützung der Ärztinnen im Beruf. Was sich im Laufe der Zeit verändert hat, ist der leichtere Zugang für Frauen zum ärztlichen Beruf. In den Anfängen haben nur sehr wenige Frauen überhaupt ein Medizinstudium absolviert. Schwierig geblieben ist dagegen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Da gibt es immer noch große Unterschiede zwischen den Geschlechtern, besonders in der Wissenschaft. Denn die wird meist on top zum Beruf gemacht, quasi in der Freizeit. Frauen mit Kindern können da einfach zeitlich nicht mit männlichen Kollegen mithalten. : Was hat der DÄB für die Ärztinnen erreicht? Und was haben Sie sich für die Zukunft vorgenommen? Groß: Schon meine Vorgängerinnen haben sich sehr dafür eingesetzt, dass Ärztinnen in der Weiterbildung vorankommen. In den 20 Jahren, die ich selbst als Delegierte an Deutschen Ärztetagen teilgenommen habe, gab es immer wieder Anträge von Ärztinnen, um in der Weiterbildung den weiblichen Blick einzubringen. Denn es macht etwas aus, ob ein Abschnitt in der Weiterbildung drei oder sechs Monate dauert oder ob die Mindestarbeitszeit pro Woche 50 Prozent betragen muss oder weniger sein darf. Eine weitere wichtige Errungenschaft sind die Regelungen zum Mutterschutz. Insbesondere unserer Ehrenpräsidentin Astrid Bühren war es ein Anliegen, es schwangeren Ärztinnen zu ermöglichen, möglichst lange weiterzuarbeiten. Es gab tatsächlich eine gesetzliche Neuregelung. Die ist aber leider zu einem Bumerang geworden. Unscharfe Formulierungen zur Haftung haben dazu geführt, dass in vielen Kliniken für schwangere Ärztinnen ein pauschales betriebliches Beschäftigungsverbot ausgesprochen wird, statt für jeden Arbeitsplatz eine individuelle Gefährdungsbeurteilung anzufertigen. An dieser Stelle sind wir als Ärztinnenbund gefragt. Wir haben das Thema zusammen mit weiteren Gremien diskutiert, unter anderem auch im Ausschuss Mutterschutz der Ärztekammer Nordrhein. Daraus ist in Kooperation mit anderen ärztlichen Verbänden der Antrag bei der AWMF zu einer Leitlinie entstanden, die Schwangeren eine Weiterbeschäftigung ermöglichen soll. Der Ärztinnenbund selbst vergibt ein Siegel an Abteilungen, die den Mutterschutz so umsetzen, dass Kolleginnen weiterarbeiten können. : In den vergangenen Jahren gab es deutliche Fortschritte in der Gendermedizin. Wo sehen Sie noch Lücken? Groß: Ein zentraler Aspekt unserer Arbeit liegt seit jeher in der Etablierung einer geschlechterspezifischen Medizin. 1981 veranstaltete der DÄB einen ersten Kongress zum Thema „Differenzierung von Mann und Frau aus medizinischer und psychologischer Sicht“. Mit dem Kongress „Schlagen Frauenherzen anders?“ gehörte der DÄB im Jahr 1999 zu den ersten, die das Thema Gendermedizin nach Deutschland brachten. Man sieht, das ist ein Thema, an dem wir seit über 40 Jahre arbeiten. Mich freut es persönlich sehr, dass die geschlechtersensible Medizin inzwischen in der breiten Gesellschaft angekommen ist. Viel zu lange wurde die Gendermedizin als „Frauenkram“ abgetan und nicht ernst genommen. Es ist allerdings auch weiterhin wichtig, dass die Forschung auf diesem Gebiet vorangetrieben wird, indem beispielsweise die Vergabe von Forschungsgeldern daran Vor genau 100 Jahren schloss sich im damaligen Deutschen Reich eine Gruppe von Ärztinnen und Zahnärztinnen zusammen, um sich beruflich gegenseitig zu unterstützen und gesundheitspolitische Frauenfragen zu bearbeiten. Am 25. Oktober 1924 gründeten sie den Bund Deutscher Ärztinnen (BDÄ), aus dem nach der nationalsozialistischen Diktatur der Deutsche Ärztinnenbund e.V. (DÄB) hervorging. Dessen amtierende Präsidentin Dr. Christiane Groß, MA, spricht über Veränderungen, Beständigkeiten und die weibliche Perspektive in der Medizin. Seit 2015 ist Dr. Christiane Groß, MA, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes (DÄB). Ihr berufspolitisches Engagement begann 1997 im Vorstand der Kreisstelle Wuppertal der Ärztekammer Nordrhein. 2001 wurde Groß in die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein gewählt. Von 2005 bis 2014 und von 2017 bis 2024 war sie Mitglied im Kammervorstand. Foto: Jochen Rolfes

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