30 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2024 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 144 der Gutachter die histologischen Befunde mit einer unzulässigen Gewichtung, was den aktuellen Leitlinien widerspreche. Die Gutachterkommission hat den Sachverhalt daraufhin erneut einer vollständigen und eigenständigen Überprüfung unterzogen und hiernach der Bewertung durch den Erstgutachter zugestimmt. Eine Resektion eines Basalioms oder eines Basalzellkarzinoms müsse, gemäß der zum streitgegenständlichen Behandlungszeitpunkt geltenden Lehrbuchmeinung, immer „im Gesunden“ mit nach Entfernung des sichtbaren Tumors durchzuführender Randschnitte erfolgen – mit dem histopathologischen Befund einer mindestens 5 mm, besser 10 mm breiten tumorfreien Randzone. Erst dann gelte ein solcher Tumor als komplett entfernt und könne dann zur Deckung des Entnahmedefektes plastisch versorgt werden. Bekannte Gründe hierfür seien die, für das menschliche Auge nicht erkennbaren, tentakelartig subkutan wachsenden Tumorausläufer, aus denen sonst wieder unmittelbar ein erst später sichtbares Rezidiv entsteht. Spätestens die beschriebenen nässenden, geröteten Hautveränderungen im Gehörgang hätten unter Berücksichtigung der Vorgeschichte selbst bei einem Berufstaucher den Behandler differenzialdiagnostisch an ein mögliches Tumorrezidiv denken lassen müssen – mit der Notwendigkeit, den Patienten hierüber zu informieren. Der hiernach erbrachte Nachweis des groben Behandlungsfehlers begründet die Vermutung (§ 292 Zivilprozessordnung) der Kausalität des Behandlungsfehlers für den eingetretenen Gesundheitsschaden des Patienten. Der Patient muss nicht nachweisen, dass der Behandlungsfehler für den eingetretenen Gesundheitsschaden ursächlich gewesen ist. Nach § 630 h Abs. 5 Satz 1 BGB kehrt sich bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers, der – wie hier – grundsätzlich geeignet ist, den im Zusammenhang mit der Behandlung eingetretenen Gesundheitsschaden zu verursachen, die Beweislast zulasten des Arztes um. Professor Dr. Olaf Michel und Professor Dr. Jörg Schipper sind Stellvertretende Geschäftsführende Kommissionsmitglieder, Doris Tritschler ist Stellvertretende Vorsitzende und Dr. Tina Wiesener ist Leiterin der Geschäftsstelle der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein. sich nicht gefunden. Die im Widerspruch zu dem histologischen Befundergebnis in der Dokumentation hierzu festgehaltene ärztliche Einschätzung „… zunächst keine Nachresektion, da klinisch eher R0, Beobachtung“ entspreche einer eindeutigen Fehlbeurteilung. Die in den Folgemonaten vom behandelnden HNO-Arzt als „feuchte und granulierende Oberfläche“ beschriebenen Lokalbefunde und zuletzt der offenliegende Knorpel/Knochen hätten offenkundig auf das Rezidiv hingewiesen. Schließlich sei dann im November desselben Jahres ein erneuter Eingriff als Gehörgangsrevision eingeleitet und aufgrund des intraoperativ festgestellten Tumorausmaßes nach Probenentnahme abgebrochen worden. Auch der kurze Zeit später vorgenommene größere Eingriff habe keine Resektion im Gesunden, sondern wiederum eine R1-Resektion erbracht. Zusammenfassend wurde festgestellt, dass ein grober Behandlungsfehler vorliege. Es habe unzweifelhaft von Beginn an ein infiltrativ wachsendes Basalzellkarzinom vorgelegen. Nach der zunächst entnommenen Biopsie sei der ärztliche Behandlungsstandard verlassen worden: Es sei in drei weiteren Operationen keine vollständige Resektion erfolgt, obwohl jeweils deutliche pathohistologische Hinweise auf R1-Resektionen vorgelegen hätten. Bei einem großangelegten radikalen operativen Eingriff zu Beginn der Diagnose wäre es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zu den jetzt für den Patienten vorliegenden gravierenden Folgen einer vollständigen Ertaubung, der Lymphknotenmetastasierung, der Deckung mit einem großen fasziokutanen Lappen und der Notwendigkeit einer Strahlenbehandlung sowie der verschlechterten Prognose gekommen. Abschließende Begutachtung Den Feststellungen des Gutachters wurde vonseiten des belasteten Arztes widersprochen. Er beantragte ein abschließendes Gutachten durch die Gutachterkommission unter anderem mit dem Hinweis auf die sehr ungewöhnliche Compliance des Patienten wegen beruflich (Berufstaucher) bedingter längerer Auslandsaufenthalte, die eine Behandlung erschwert hätte. Sein ärztliches Vorgehen verdiene eine deutlich differenziertere und an den von dem Antragsteller vorgegebenen Möglichkeiten orientierte Betrachtung. Zudem bewerte den Basalzellkarzinoms mit Hämangioinvasion und Ausbildung einer Lymphknotenmetastase mit anschließender Strahlentherapie bis zu einer Gesamtdosis von 60 Gy“. HNO-ärztliche Begutachtung Der Erstgutachter stellte einen Behandlungsfehler fest. Er führte aus, dass der erste Eingriff unter der Diagnose „Verdacht auf multifokales Basaliom der Koncha“ offensichtlich der Diagnosesicherung gedient habe, da hier lediglich zwei Hautexzisate entnommen worden seien. Die histologische Aufarbeitung der entnommenen Proben habe zu diesem Zeitpunkt bereits die eindeutige Diagnose „Basalzellkarzinom“ (BZK) ergeben, die auch im weiteren Behandlungsverlauf an keiner Stelle angezweifelt oder verändert worden sei. Das äußere Ohr werde, so der Gutachter weiter, in der Behandlung des BZK als eine „High Risk Zone“ angesehen. Im Vergleich zu anderen Lokalisationen bestehe hier eine wesentlich höhere Metastasierungsrate, die auch noch von weiteren Faktoren, wie zum Beispiel der Infiltration des Knorpels, der Tumorgröße und des Resektionsrands, beeinflusst werde. Deshalb könnten bei einer solchen Tumorlokalisation in Abhängigkeit von den Besonderheiten des Tumorgeschehens im Einzelfall nicht nur die lokale vollständige Resektion, sondern auch weitergehende Maßnahmen, wie zum Beispiel die Ausräumung von Lymphknoten, der Ohrspeicheldrüse und des angrenzenden Halses, erforderlich werden. In dem hier vorliegenden Fall sei das Vorgehen mit Entnahme einer Probebiopsie, wie zu Beginn der Behandlung mit Erstkontakt im Januar 2016 vorgenommen, zunächst als ein richtiges Vorgehen anzusehen. Nach histologischer Sicherung des Vorliegens eines BZK hätte dann allerdings die radikale Exzision des Tumors erfolgen müssen. Dies sei nicht erfolgt: Die als „Nachresektion“ sechs Tage später durchgeführte Operation habe im histologischen Resultat einer R1-Resektion und somit einer unvollständigen Tumorentfernung entsprochen, bei der Tumorausläufer des BZK in situ verblieben seien. Die Konsequenz aus diesem Eingriff hätte sein müssen, eine unmittelbare weiträumige Nachresektion zu planen und durchzuführen. Hinweise, dass dies erwogen und mit dem Patienten hierüber gesprochen worden sei, hätten
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