WERDER MAGAZIN Nr. 335

Früher musste man sich einfach den Samstag um 15.30 Uhr freihalten, heute ist der Bundesliga-Spielplan etwas komplizierter. Finden Werder- Spiele dennoch Berücksichtigung in Ihren beruflichen und privaten Pla- nungen? Für mich persönlich ist das nicht so wichtig, weil mein eigener Ter- minplan ähnlich chaotisch ist wie der der Liga. Aber ich versuche schon, so viele Spiele wie möglich zu sehen, zur Not dann eben als Aufzeichnung. Grundsätzlich finde ich aber diese Zerfledderung des Spielplans aus Gründen der Gewinnmaximierung blöd. Ich bin abso- lut auf der Seite der Leute, die sich dagegen wehren. Welchen Einfluss haben die Ergebnisse von Werder auf Ihr Befinden? Ich mag diese Mannschaft wirklich sehr, und deshalb geht’s mir na- türlich besser, wenn deren Ergebnisse gut sind. Aber ich versuche generell, andere Leute nicht zu sehr für mein Befinden verantwort- lich zu machen. Also auch nicht deren sportliche Leistung. Fast alle Werder-Fans wissen, wo sie den 8. Mai 2004 verbracht haben, als Werder in München den Meistertitel klarmachte. Sie auch? Ja, klar. Mit einem Radio in einem Strandkorb an der Ostsee. Ich liebe es nach wie vor, Fußball im Radio zu verfolgen, wenn ich nicht direkt dabei sein kann. Mit welchen Werten, die Werder verkörpert, können Sie sich identifi- zieren? Ich nehme Werder als einen Verein wahr, der sich nicht ausschließ- lich über den Profifußball definiert, sondern der sehr viele Facetten und eine wichtige gesell- schaftliche Funktion in der Stadt und darüber hi- naus hat. Und das hat mir schon immer gefallen und gefällt mir auch jetzt, wo ich neue Einblicke gewonnen habe. Ich finde, die Vereinzelung der Menschen ist ein großes gesellschaftliches Prob- lem, und da ist eine solche Gemeinschaft etwas, was dem entgegenwirkt. Interessant ist auch, dass das allgemein so wahrgenommen wird, dass Werder für solche Werte wie Toleranz und Solidarität steht, ich komme ja ein bisschen rum. Die Leute mögen diesen Verein, egal wo. Das tun sogar meine HSV-Freunde, wenn sie ehrlich sind. Welche Rolle spielte Fußball in Ihrer Kindheit und Jugend? Eine sehr große. Ich habe selbst bis zum Ende der B-Jugend im Ver- ein gespielt und war über Jahre eigentlich jeden Nachmittag stun- denlang auf dem Bolzplatz. Leider war ich nicht so begabt, wie ich es gerne gewesen wäre. Gab es für Sie als Kind dennoch Tage, an denen Fußball-Profi ein er- strebenswerter Berufswunsch war? So, wie ich Astronaut werden wollte, wollte ich auch Profi-Fußballer werden, mit ähnlich realistischen Aussichten. Ich bin ja in den Sieb- zigerjahren aufgewachsen, und da war es zum ersten Mal so, dass bestimmte Fußballer auch vom Auftreten her sowas wie Rockstars waren. Das hat mir gefallen. Auch, weil es bei manchen wirklich was Rebellisches hatte, das mir gut gefiel. Rebellisch im Sinne von kritischer Haltung. Weniger in Bezug auf Autos, Frisuren und Tat- toos. Welche Rolle spielt Sport allgemein heute in Ihrem Leben? Naja, mit den Jahren überwiegt ja meistens die Notwendigkeit den Spaß, wenn man ehrlich ist, oder? Welche Rolle in einer Fußball-Mannschaft auf dem Spielfeld wäre Ih- nen heute auf den Leib geschnitten? Optisch vorteilhaft und strategisch günstig herumzustehen… Hat Ihnen Klaus-Dieter Fischer mal die Anekdote erzählt, wie Günter Netzer kurz vor dem Wechsel zu Werder stand? Das ist lustig, dass Sie nach dieser Antwort zu Netzer überleiten! Ja, hat er, weil er weiß, dass Netzer, als ich klein war, mein größtes Idol war. Netzer wollte hier damals auch die Stadionzeitung überneh- men, und daran ist der Wechsel letztlich gescheitert, richtig? Genauso ist es überliefert… Herr Brandt, Fußballer stehen jedes Wo- chenende auf ihrer Bühne, im Stadion. Sehen Sie da Parallelen zum Job des Theater-Schauspielers? Es gibt durchaus Parallelen. Und weil ich ansatzweise weiß, was das bedeutet, sich vor einem so großen Publikum manchmal auch schutzlos zu zeigen, werden Sie von mir nie etwas wirklich Herab- würdigendes über einen Spieler hören, dem etwas misslingt. Glau- ben Sie keinem, der behauptet, dass ihn das unberührt lässt. Damit umzugehen ist vielleicht einer der schwierigsten Aspekte unserer Berufe. Wir haben alle gesehen, wohin das führen kann, wenn es schiefgeht, Sie wissen, wovon ich rede. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass daraus viel gelernt wurde. Deshalb war es ja auch so wichtig, wie Per Mertesacker davon erzählt hat, was der Druck mit ihm ge- macht hat. Es ist unheimlich wichtig, dass das mal einer sagt, dem die Leute auch zuhören. Und deshalb war eben der Kommentar von Lothar Matthäus dazu auch von erlesener Dämlichkeit, dass Mertesacker wegen dieser Aussagen nicht mehr dazu qualifiziert sei, junge Spieler anzu- leiten. Nach diesem Statement finde ich, dass es kaum einen Geeigneteren dafür gibt als ihn. Ab und zu sollten wir uns in Erinnerung rufen, dass das sehr junge Menschen sind, die da auf dem Platz stehen. Bei allen speziellen Fähigkeiten, über die sie verfügen. Denn man muss ein außergewöhnlich guter Fußballer sein, um in der Bundesliga zu spielen, Punkt. Würde vielleicht auch schon mal helfen, wenn man sich darauf einigen könnte. Eine inte- ressante Parallele zwischen unseren Berufen ist auch die Psycholo- gie, die Gruppendynamik. Große Trainer und große Regisseure sind immer die, die es schaffen, ein Ensemble zusammenzustellen, das im Zusammenspiel jeden Einzelnen besser macht, als er das ohne die Anderen wäre. Das ist das Geheimnis: dass Eins und Eins in der Summe mehr ergeben kann als Zwei. „Werder mö- gen sogar meine HSV- Freunde, wenn sie ehrlich sind.“ WERDER MAGAZIN 335 43 s WERDER BEWEGT

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