Gutachtliche Entscheidungen
52 | Gutachtliche Entscheidungen Fehlerhafte Primärdiagnostik beim Mammakarzinom Einmal wurde statt des suspekten Befundes (BI-RADS 4a) im Nachgang zum Screening fehlerhaft eine unauf- fällige Zyste punktiert und dieser Umstand nicht be- merkt. Ein durch den Zweitbegutachter im Screening dann einvernehmlich diagnostizierter hochverdäch- tiger BI-RADS 4 c/5-Befund wurde behandlungsfeh- lerhaft versehentlich der Patientin als „unauffälliger Befund“ mitgeteilt, wodurch dank Eigeninitiative der Patientin jedoch kein Gesundheitsschaden ein- trat. Bei 21 Patientinnen fehlte es an einer Siche- rungsaufklärung über notwendige weitere Maßnah- men beziehungsweise war das Kontrollintervall zu lang oder es war gar nicht terminiert worden. Beweiserleichterungen bei Befunderhebungsfehlern Trotz nachvollziehbarem Tastbefund von etwa 2 cm bei einer 25-jährigen Patientin wurde entgegen demAl- gorithmus der S3-Leitlinie für symptomatische Patien- tinnen nach regelrecht durchgeführter Sonographie in 2009 mit unauffälligem Befund keine PE veranlasst. Bis zum Beweis des Gegenteils gilt bei diesen Patien- tinnen, dass ein umschriebener Knoten karzinomver- dächtig ist. Die versäumte PE stellt einen Befunderhe- bungsfehler dar, mit der Folge einer Beweislastumkehr bezüglich einer eingetretenen Prognoseverschlech- terung. Bei Größenprogredienz wurde nach sechs Monaten vom Gynäkologen eine Mammographie an- gefordert, die ein 6 cm großes Mammakarzinom mit N2-Lymphknotenstatus aufdeckte und zur radikalen Mastektomie führte. Therapieverzögerung Die vorwerfbaren Therapieverzögerungen lagen zwi- schen Tagen, wenigen Wochen und drei Jahren, das heißt im Durchschnitt bei circa acht Monaten (siehe T abelle 4) . Die Tumorstadien zum Zeitpunkt der ver- späteten Detektion des Mammakarzinoms werden in T abelle 5 dargestellt. Bei 20 Patientinnen hatte die feh- lerhafte Diagnostik in Bezug auf die verzögerte The- rapie eine Prognoseverschlechterung zur Folge. Dies war beispielsweise nicht der Fall, wenn der Zeitraum bis zur endgültigen Diagnosestellung verhältnismäßig kurz war (~ < 6 Monate), sich der Befund nicht oder kaum verändert hatte oder die gleiche Therapie nötig wurde. Für die Patientinnen ist gerade dieser Punkt manch- mal schwer nachzuvollziehen, wie sich aus den An- tragsschreiben ergibt, da allgemein davon ausge- gangen wird, dass eine Diagnose- beziehungsweise Therapieverzögerung gleichzusetzen ist mit einer Prognoseverschlechterung. Nicht immer aber ist die Ausgangssituation bei derben Drüsenkörper und/oder Zysten einfach zu beurteilen. Auch können minimale Veränderungen im Verlauf – dann imposant – konflu- ieren. Das Dilemma der teilweise überzogenen Erwar- tungen an die Primärdiagnostik wird auch in der ab- gelaufenen Leitlinie der DGGG 2011 (AWMF 015/047 (S1) „Das nicht erkannte Mammakarzinom“) deutlich. Hierzu ein Zitat aus der Laienpresse [ 1 ]: „Je früher einer Brustkrebserkrankung erkannt wird, desto bes- ser ist sie therapierbar. Von daher ist eine vom Fach- arzt veranlasste, richtige Krebsvorsorgeuntersuchung unerlässlich. Wird diese vom Arzt nicht angeordnet, wird es für ihn teuer und für die Patientin lebensge- fährlich“. In dem hier zitierten, vor dem OLG Hamm (Az.: 3 U 57/13) zulasten des Arztes geführten Verfah- ren, wurde einer 66-jährigen Patientin ein Schadens- ersatz von 20.000 Euro zugesprochen, da der Arzt die Patientin im Jahr 2008 nicht darüber informiert hatte, dass sie an einer Screeninguntersuchung hätte teil- nehmen können. Nach einer Mammographie mit un- auffälligem Befund in 2001 und jährlichen Früherken- nungsuntersuchungen mit Sonographien wurde erst in 2010 wieder eine Mammographie von ihm veran- lasst, die dann die Brustkrebserkrankung aufdeckte. Ob und inwieweit nach Verfahren vor der Gutachter- kommission Entschädigungszahlungen durch den Haftpflichtversicherer geleistet werden, obwohl von der Kommission Ansprüche in Hinblick auf eine Pro- gnoseverschlechterung verneint wurden, wäre eine interessante Frage. Risikofaktoren In T abelle 6 wird dargestellt, mit welcher klinischen Symptomatik die Patientinnen den belasteten Arzt ex ante aufsuchten, das heißt ob ein Tastbefund berich- tet wurde und ob eine familiäre Risikosituation zum Brustkrebs beziehungsweise beide Angaben vorlagen. Etwa die Hälfte der 55 Patientinnen (47 %) stellte sich zur Vorsorge (inklusive alle positiven Screening-Fälle) mit leerer Anamnese vor. Allein bei sieben dieser 26 Gynäkologie
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