Gutachtliche Entscheidungen

Gutachtliche Entscheidungen | 65 Innere Medizin Folgen einer Elektrolytstörung Die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungs- fehler bei der Ärztekammer Nordrhein hat sich in letz- ter Zeit mehrfach mit Behandlungsfehlervorwürfen von Patienten befasst, die in Zusammenhang mit einer Elektrolytstörung von Natrium und Kalium standen und zuGesundheitsschäden führten. Es wurden Fehler bei der Befunderhebung und bei der Behandlung fest- gestellt. Fall 1: Diuretika – Nebenwirkungen nicht erkannt Bei einer 85-jährigen Patientin, die unter einer vermut- lich opiatbedingten hartnäckigenObstipation litt, wur- de im Rahmen der stationären Behandlung im Jahr 2014 in der belasteten Gastroenterologischen Klinik am 5. Tag eine Koloskopie durchgeführt, die eine aus- geprägte Divertikulose zeigte. Bis zu diesem Tag er- folgten täglich Infusionen mit 1.000 ml einer Elektro- lytlösung. Am 10. Tag nach der Koloskopie wurde die Patientin nicht ansprechbar aufgefunden und auf die Intensivstation verbracht. Im Labor zeigten sich eine hochgradige Exsikkose mit deutlicher Hypokaliämie von 2,5 mmol/l und schwerer Hypernatriämie von 161 mmol/l – vermutlich durch die Gabe des Schleifen- diuretikums Furosemid bedingt, eine Laktatazidose und ein prärenales Nierenversagen mit einem Kreati- nin von 4,13 mg/dl. Die Patientin verstarb am Folgetag. Es wurde von der Gutachterkommission als vorwerf- barer Behandlungsfehler festgestellt, dass die Flüssig- keitszufuhr und die Elektrolyte imSerumder Patientin unter Furosemidgabe zu keinem Zeitpunkt während der über zweiwöchigen Behandlung kontrolliert wur- den (einfacher Befunderhebungsfehler), obwohl bei der Patientin bereits seit 2011 eine beginnende Demenz be- kannt und schon damals interkurrent eine Elektrolyt- störung aufgetreten war, die eines Ausgleichs bedurft hatte. Die Exsikkose ist nicht erkannt worden, was zu- sammen mit der Hypokaliämie entscheidend zu dem deletären Verlauf beigetragen hat. Fall 2: Schwere Durchfälle nicht abgeklärt Die 75-jährige Patientin war am 29. Februar 2012 – nach einer Thalamusblutung am 10. Februar mit armbe- tonter schwerster Hemiparese, Dysarthrie und ausge- prägter Fazialisparese – in die belastete Neurologische Reha-Klinik verlegt worden. Sie war kontinent und in der Lage, trotz Müdigkeit an den Reha-Maßnahmen teilzunehmen. Ab dem 24. März kam es zu dünn- flüssigen Stuhlgängen. Zu keinem Zeitpunkt führte die Patientin normalen Stuhlgang ab. Am 10. April erfolgte eine Stuhluntersuchung auf vier pathogene Keime, die negativ verlief. Am 1. März lagen in der Reha-Klinik bei der Pa- tientin das S-Kalium mit 4,19 mmol/l (24. Februar: 3,98 mmol/l) und das S-Natrium mit 136,8 mmol/l (24. Februar: 139 mmol/l) im Normbereich. In der Nacht zum 13. April halluzinierte die Patientin und es traten leichte krampfartige Zuckungen am nicht- paretischen Arm auf. Der beigezogene Arzt vomDienst beschrieb die Patientin als „eingetrübt“. Am Folgetag wurde in der Kurve eingetragen, dass die Patientin schon „seit Tagen verwirrt gewesen sei“. Im Ruhe-EKG, das am 17. März noch unauffällig ge- wesen war, zeigten sich am 14. April Erregungsrück- bildungsstörungen, die mit Abflachung von T und ST-Senkung für eine Hypokaliämie typisch waren. Am 15. April wurden eine Hypokaliämie von 2,0 mmol/l und eine Hypernatriämie von 153 mmol/l festgestellt und die Patientin zur Intensivtherapie in eine inter- nistische Klinik verlegt. Ursächlich für die Durchfälle wurde dort eine kollagene Colitis festgestellt und diese mittels Budensonid behandelt. Nach Auffassung der Gutachterkommission wurden die wässrigen Durchfälle verspätet erst zehn Tage nach Auftreten mittels Stuhlprobe, aber behandlungsfehler- haft ursächlich nicht weiter abgeklärt und behandelt. Mit zunehmender Morbidität und vermehrtemMedikamentengebrauch müssen Ärztinnen und Ärzte mit Elektrolytstoff- wechselstörungen rechnen. Häufig werden Symptome nicht erkannt oder falsch behandelt. von Klaus Becker, Johannes Köbberling, Johannes Noth, Jürgen Reidemeister, Karl Joseph Schäfer und Beate Weber

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