Gutachtliche Entscheidungen

74 | Gutachtliche Entscheidungen Innere Medizin Die Notfallkoniotomie kann Leben retten Die Gutachterkommission hatte in jüngster Vergan- genheit einen Fall mit tragischem Ausgang zu begut- achten, in dem es den Ärzten an der nötigen Entschlos- senheit zur Beherrschung einer Notfallsituation gefehlt hat, die nicht nur theoretisch, sondern auch zupackend praktisch hätte bewältigt werden müssen, um Schaden vom Patienten abzuwenden. Obwohl den beteiligten Ärzten sicherlich die lebensbedrohliche Situation, in die der Patient geraten war, klar war und auch kein Zweifel bestanden haben konnte, was in welcher Ab- folge hätte getan werden müssen, war erst der hinzu- gerufene HNO-Arzt imstande, die rettende Maßnahme durchzuführen (Koniotomie). Bis dahin war allerdings wertvolle Zeit verstrichen, was zu einem unumkehr- baren Schaden führte. Der (hier verkürzt wiedergegebene) Sachverhalt: Der damals 38-jährige Patient hatte sich wegen eines Zungengrundkarzinoms einer Operation unterzogen. Deswegen und wegen der Folgen einer Strahlenbe- handlung wies sein Hals sichtbare Vernarbungen bei anatomisch verändertem Hypopharynx auf. Bei dem Patienten sollte in der belasteten Klinik eine Magenspiegelung durchgeführt werden. Dazu wur- de er mit Unterpolsterung gelagert. Bei der Untersu- chung waren eine Funktionsoberärztin, ein weiterer Arzt und eine Funktionskraft anwesend. Die Anwe- senheit eines Anästhesisten wurde als nicht notwen- dig erachtet. Die Sedierung wurde mit Gabe von 2,5 mg Dormicum und 30 mg Propofol i. v. eingeleitet. Nach wenigen Sekunden zeigte sich ein Sättigungs- abfall auf 80 %, der durch vermehrtes O2-Angebot nicht abfangbar war. Trotz Einleitung einer Masken- beatmung und O2-Gabe von 10 l/m fiel die Sättigung auf 50 % ab bei peripher nicht tastbarem Puls. Die Re- animation wurde eingeleitet. Ein Intubationsversuch misslang, weil die Stimmritze nicht einstellbar war. Unter Fortsetzung der Maskenbeatmung und Gabe von 1 mg Suprarenin (auf 10 ml verdünnt) zeigte das EKG Asystolie. Der Patient wurde unter Fortsetzung der HDM und frustraner Maskenbeatmung – andere Alternativen einer supraglottischen Atemwegsiche- rung (z.B. Wendl-Tubus, Larynxmaske, Larynxtubus) kamen nicht zur Anwendung – auf die Intensivstation verlegt. Die HNO-Klinik wurde zur Notfallkoniotomie hinzugerufen, die problemlos gelang. Der Atemweg und eine suffiziente Beatmung des Patienten wurden gesichert. Eine Dokumentation der Sedierung und des Verhal- tens der Vitalparameter wurde nicht durchgeführt, sondern erfolgte lediglich im Endoskopiebericht. Die Rekonstruktion des zeitlichen Ablaufs anhand der aus der Atmungsphysiologie bekannten Entwicklung des pCO2-Wertes während Apnoe ergab eine kumulative Apnoe- bzw. Hypoxiedauer von 23–24 Minuten. Der Patient erlitt einen schwersten hypoxischen Hirnscha- den und verstarb acht Monate später. Stellungnahme der Ärzte Die belasteten Ärzte begründeten ihr Vorgehen mit der damals gültigen S3-Leitlinie [ 1 ]. Die Anwesenheit ei- nes Anästhesisten wurde als nicht notwendig erachtet, weil die Leitlinie lediglich empfehle, bei ASA-III- (und ASA-IV-) Patienten die Hinzuziehung eines Anästhe- sisten während der Endoskopie zu erwägen. Es werde nicht ausgeführt, dass die Hinzuziehung eines Anäs- thesisten obligatorisch sei. Wenn die S3-Leitlinie die Entscheidung, ob die Durchführung einer Gastrosko- pie bei ASA-III-Patienten mit oder ohne Anästhesisten erfolgen solle, dem behandelnden Arzt überlasse, kön- ne eine hieraus resultierende medizinisch begründete Entscheidung nicht als Behandlungsfehler klassifiziert werden. Hinsichtlich der Einschätzung des Atemwegs- und der Sedierungsfähigkeit des Patienten sei anzu- merken, dass die gastroenterologische Endoskopie über weitreichende und einschlägige Erfahrungen mit onkologischen Patienten mit entsprechenden post- operativen bzw. strahlungsbedingten anatomischen Veränderungen verfüge. Es werde bestritten, dass die Bei der Sedierung von Patienten mit schwierigem Atemweg kann es nicht sicher vorhersehbar zu bedrohlichen Zwischenfällen kommen, die entschlossenes Handeln der beteiligten Ärzte erfordern. von Ludwig Brandt und Rainer Rosenberger

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