Gutachtliche Entscheidungen
Gutachtliche Entscheidungen | 85 Neurologie Halbherzige Behandlung eines epileptischen Anfalls Beurteilung des Sachverhalts Der Patient litt seit Februar 2010 unter einer sympto- matischen Epilepsie, die seit Mai 2013 anfallsfrei durch die belasteten Neurologen mit Gabapentin in einer Do- sis von 3 x 600 mg behandelt worden war. Gabapentin ist bei Erwachsenen als Monotherapie von komplex-fo- kalen Anfällen mit oder ohne sekundäre Generali- sierung zugelassen. Die empfohlene Tagesdosis zur Behandlung von Epilepsien liegt beim Erwachsenen zwischen 900 und 3.800 mg. Die vor der stationären Aufnahme am 9. Juni durchgeführte Therapie mit 3 x 600 mg Gabapentin pro Tag entsprach somit einer niedrigen Dosierung. Laut Produktinformation und Roter Liste ® können unter der Behandlung mit Gaba- pentin zahlreiche Nebenwirkungen auftreten. Unter sehr seltenen Nebenwirkungen wird die hämorrhagi- sche Pankreatitis mit der Bemerkung „ggf. Behand- lung abbrechen“ genannt. Der stationäre Aufnahmegrund am 9. Juni waren je- doch nicht rechtsseitige Oberbauchschmerzen und laborchemische Hinweise auf das Vorliegen einer Pan- kreatitis, wie die belasteten Chefärzte in ihrer Stellung- nahme zum Behandlungsvorwurf schreiben, sondern eine beim Aufwachen an diesem Tag von den Angehö- rigen des Patienten und vom Notarzt festgestellte Vigi- lanzminderung und Desorientiertheit. Auch im statio- nären Aufnahmebefund der zentralen Notaufnahme wird nicht über Oberbauchschmerzen berichtet. Da die laborchemischen Entzündungsparameter (CRP, Leukozyten) bei der ersten Laboruntersuchung am 9. Juni noch im Normbereich lagen, kann eine begin- nende Pankreatitis oder eine andere Infektion nicht die Ursache der zur Aufnahme führenden Symptomatik gewesen sein. Differenzialdiagnostisch hätte deshalb an eine zerebrale Ursache (erneuter Schlaganfall oder postiktale Vigilanzminderung) gedacht werden müs- sen. Erst imVerlauf der nächsten Tage kam es zu einem Anstieg der CRP mit einem Maximum am 13. Juni von 30,59 mg/dl und zu einer Leukozytose von 17,34 G/l. Laut Pflegebericht klagte der Patient bei der Übernah- me auf die interdisziplinäre anästhesiologische Inten- VERHALTEN BEI EINEM EPILEPTISCHEN ANFALL Ein einzelner epileptischer Anfall stellt keine Notfallsitua- tion dar. Wichtig ist es, Ruhe zu bewahren, die Zeitdauer festzuhalten, das Umfeld von potentiellen Gefahren für den Betreffenden freizuhalten und ihn nicht alleine zu lassen. Eine stabile Seitenlage im Verlauf kann hilfreich sein, um ein Ersticken an Erbrochenem zu verhindern. Status epilepticus Dauert ein epileptischer Anfall länger als fünf Minuten (Grand Mal) oder kommt es bei einer Serie von Anfällen nicht zu einer Wiedererlangung des Bewusstseins, so han- delt es sich um einen Status epilepticus, der potentiell lebensbedrohlich ist. In einer solchen Situation muss ein Notarzt beigezogen werden, der nach einer intravenösen Erstbehandlung mit einem Benzodiazepin (zum Beispiel Lorazepam) eine rasche Zuweisung in eine Klinik veranlasst. Kann der Status epilepticus hierdurch nicht durchbrochen werden, wird die Gabe von Phenytoin über einen separaten Zugang empfohlen. Alternativ stehen intravenös Valproinsäure, Levetiracetam oder Phenobarbital zur Verfügung. Eine Intensivtherapie muss erfolgen, sollte der Patient weiter krampfen. Hier ist dann der rasche Einsatz der anästhetischen Antikonvulsiva Thiopental, Midazolam oder Propofol angezeigt. Sollte darunter kein Erfolg erreichbar sein, können Ketamin oder Inhalationsanästhetika versucht werden.
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