Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2021
Ärztekammer Nordrhein Jahresbericht 2021 | 103 Rechtsabteilung spricht es auch der überwiegendenAuffassung in der Ärzteschaft, dass das in der Berufsordnung ent- haltene Verbot in § 16 S. 3 Berufsordnung (und die entsprechenden Regelungen der anderen Landes- ärztekammern) aus verfassungsrechtlichen Grün- den nicht aufrechterhalten werden kann. Der Vor- stand der Ärztekammer Nordrhein hat sich mit der Umsetzung der Entscheidung in Bezug auf die Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte befasst und befürwortet, analog zum Bundesgesetzgeber im Umgang mit § 217 StGB zu verfahren, indem die in § 16 S. 3 Berufsordnung enthaltene Regelung aufgrund der Entscheidung des BVerfG für nicht anwendbar erklärt wird. Die Entscheidung der Kammerversammlung steht hier- zu noch aus. Eine weitere Konsequenz des Urteils des BVerfG bezieht sich auf die Förderung der Suizidprävention. Auch mit dieser Thematik haben sich die Gremien der Ärztekammer Nordrhein befasst und dazu fest- gehalten, dass die Suizidprävention das vorherr- schende Ziel sein müsse und die Suizidassistenz im VergleichdazudieAusnahme bleibenmüsse. Sowohl die Palliativversorgung als auch die Suizidpräven- tion müssten daher ausgebaut und rechtlich veran- kert werden. Menschen mit Suizidideen müssten auf ein niederschwelliges, zielgruppengerechtes, menschlich und fachlich kompetentes Hilfsangebot zurückgreifen können. Embryonenschutzgesetz Die Rechtsabteilung hat sich im Zusammenwir- ken mit dem Ausschuss „Berufsordnung, Allgemei- ne Rechtsfragen und Europa“ im Berichtszeitraum mehrfach mit ethischen, aus dem Embryonen- schutzgesetz resultierenden, Fragestellungen be- fasst. Hintergrund war zum einen das Memorandum „Dreierregel, Eizellspende und Embryospende im Fokus“ der Bundesärztekammer und zum anderen die Entscheidung des Bayerischen Obersten Landes- gerichts vom 4. November 2020 zur Strafbarkeit des Auftauens und Weiterentwickelns von kryokonser- vierten, imprägnierten Eizellen. Die Intention des Memorandums der Bundes- ärztekammer ist eine Novellierung des Embryonen- schutzgesetzes mit dem Ziel: • der Etablierung des sogenannten „selective Single Embryo Transfer“ (sSET) in Deutschland (hierbei werden möglichst viele imprägnierte Eizellen bis zum Embryostadium kultiviert und unterentwickelte selektiert, um schließlich den entwicklungsfähigsten Embryo übertragen zu können), • der Liberalisierung des Umgangs mit Eizellen (Eizellspende) und • der Liberalisierung des Umgangs mit den beim sSET entstandenen, überzähligen Embryonen (Embryospende). Die Mitglieder des Ausschusses haben sich mit diesen Methoden auseinandergesetzt und die aus den einzelnen Themenbereichen resultierenden ethischen Fragestellungen diskutiert. Dabei kam der Ausschuss zu dem Ergebnis, dass insbesondere die Frage, ob beziehungsweise wie der Embryonen- schutz und das Kindeswohl bei den aufgeführten Methoden ausreichend berücksichtigt werden, noch einer weitergehenden Erörterung bedarf. Die o.g. Entscheidung des Bayrischen Obersten Landesgerichts betraf Ärzte, die imprägnierte Ei- zellen zur Herbeiführung der Schwangerschaft von Frauen verwendet haben sollen, von denen die Eizel- len nicht stammten (gespendete imprägnierte Eizel- len). Hierfür sieht das Embryonenschutzgesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren vor. Die vori- gen beiden Instanzen haben die handelnden Ärz- te jeweils freigesprochen. Das Bayerische Oberste Landesgericht hat die Entscheidung der Vorinstanz aufgehoben. Die Befruchtung sei ein „zeitlich ge- streckter Vorgang“, der erst durch Entstehung des Embryos (Kernverschmelzung) beendet sei. Da- durch sei der Tatbestand erfüllt. Das Landgericht Augsburg hat den Fall nun unter Berücksichtigung der Feststellungen des Bayerischen Obersten Lan- desgerichts neu zu entscheiden. Auch mit diesem Verfahren hat sich der Aus- schuss befasst und über die hieraus entstandenen medizinisch-ethischen Fragestellungen diskutiert. Dabei gelangte er zu der Auffassung, dass der Ver- meidung der Entstehung überzähliger Embryonen unabhängig von der praktizierten Fortpf lanzungs- methode ein hoher Stellenwert einzuräumen ist. Gewerbliche Strukturen Erneut hat die Rechtsabteilung das Themenfeld gewerbliche Strukturen im Gesundheitswesen auf- gearbeitet und dieses in den politischen Raum hin- eingetragen. Bereits die Entscheidung des Bundesgerichtshofs in Sachen Zahnheilkunde GmbH vom 25. Novem- ber 1993 zeigte auf, wo das Problem in diesem Feld liegt: die Ausübung der Heilkunde jenseits der frei-
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