Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2021
20 | Jahresbericht 2021 Ärztekammer Nordrhein Kammerversammlung bereitgestellt werden, soweit dadurch nicht die prioritäre Bereitstellung für die medizinische und pflegerische Versorgung gefährdet wird. Daneben sind Ange- bote der Nachbarschaftshilfe zu stärken und Zeitkorridore z. B. im Einzelhandel oder in bestimmten Bereichen des öffentlichen Raums zu prüfen. 5. Gestufte Behandlungskriterien und -strukturen entwickeln Wenn die Zahl der Erkrankten weiter zunimmt, sind elektive Eingriffe schrittwei- se auszusetzen bzw. aufzuschieben, um die Notfallversorgung aller Patientinnen und Patienten nicht zu gefährden (unabhängig davon, ob sie an COVID-19 oder einer anderen Erkrankung leiden). Außerdem sind ergänzend zur üblichen am- bulanten und stationären Behandlung weitere gestufte Versorgungsstrukturen einzubeziehen, um eine Überlastung der Krankenhäuser und Intensivstationen abzuwenden. Dazu gehören ambulante Behandlungszentren ebenso wie Aus- weichkrankenhäuser, die z.B. unter Einbeziehung von Rehakliniken zu eröffnen sind. Auf Erfahrungen bzw. Vorbereitungen aus der ersten Welle der Pandemie kann dabei zurückgegriffen werden. Außerdem sind regionale und überregionale Kooperationsstrukturen zur gegenseitigen Hilfe bei drohender Überlastung zu etablieren. 6. Impfstrategie entwickeln Möglicherweise werden noch im Laufe des Winters die ersten Impfstoffe gegen COVID-19 zugelassen. Deswegen sind die Vorbereitungen einer landesweiten Impfstrategie und -logistik zügig voranzutreiben. Bei der Planung von Impf- zentren ist die ärztliche Selbstverwaltung einzubeziehen. Grundgedanken der Strategie müssen die Freiwilligkeit und die Priorität für medizinisches und pfle- gerisches Personal sowie für Risikogruppen sein. Einzelheiten der Priorisierung können erst in Kenntnis der Impfstoffeigenschaften festgelegt werden. Da die Impfstoffe zunächst nur in begrenztem Umfang zur Verfügung stehen werden und ihre Wirksamkeit bei der Verhütung von Erkrankung und Infektiösität noch nicht sicher eingeschätzt werden kann, sind Impfungen als zusätzlicher Baustein, aber nicht als Ersatz für die anderen Bestandteile der Gesamtstrategie anzusehen. 7. Landesweite Beratungs- und Kommunikationsstruktur etablieren In Nordrhein-Westfalen besteht seit geraumer Zeit kein strukturierter, regel- mäßiger Austausch der Landesregierung mit den Institutionen des Gesundheits- wesens zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie. Einzelkontakte und -gespräche können einen strukturierten, transparenten Austausch nicht ersetzen. Aktuell wurde die Landesgesundheitskonferenz für dieses Jahr abgesagt. So verständ- lich es ist, dass unter den aktuellen Bedingungen keine „normale“ Landes- gesundheitskonferenz stattfinden kann, so dringend ist die Etablierung eines strukturierten Austausches per Telefon- oder Videokonferenz erforderlich, um für alle Akteure einen gleichen Informationsstand herzustellen, um Anregun- gen aufzunehmen, Probleme zu identifizieren, die jeweils nächsten Schritte zu erörtern und um anschließend so weit als möglich mit einer Stimme zu sprechen. Die Kammerversammlung fordert die Landesregierung auf, diesen Austausch schnellstmöglich zu etablieren. Coronapandemie – Erfordernisse der Patientenversorgung Die Coronapandemie trifft unser Land hart. Ärztinnen und Ärzte blicken mit Sorge auf die massiv steigenden Infektions- und Erkrankungszahlen. In dieser eskalierenden Situation ist der bestmögliche Erhalt der Funktions- fähigkeit der ambulanten und stationären Patientenversorgung von zentraler Bedeutung. Dazu sind folgende Maßnahmen erforderlich: Koordination der Versorgung Die Versorgung muss regional, überregional (Regierungsbezirke) und auf Landes- ebene über Krisenstäbe unter Einbeziehung der Ärztekammer und Vertretung aller weiteren Beteiligten koordiniert werden. Ziel muss eine gestufte Versorgung von der Diagnostik über das Monitoring der Infizierten, die Behandlung der Erkrank- ten und die Nachsorge sein, damit die vorhandenen personellen und materiellen Ressourcen optimal eingesetzt werden, um eine Überlastung mit nachfolgendem Kollaps, wie a.a.O. in der Vergangenheit belegt, zu vermeiden. Landesweit sind Rahmenvorgaben zur rechtzeitigen Zurückstellung elektiver Eingriffe erforderlich, auf deren Basis in den Regionen sinnvolle Absprachen getroffen werden können. Auch überregional sind Absprachen zur gegenseitigen Entlastung im Bedarfsfall zu treffen. Schutz des Personals in der Patientenversorgung Die dramatischen Engpässe bei der Versorgung mit Schutzmaterial, die wir im Frühjahr erlebt haben, dürfen sich nicht wiederholen. Sowohl in der ambulan- ten als auch der stationären Patientenversorgung müssen alle erforderlichen Schutzmaterialien im erforderlichen Umfang bereitgestellt und finanziert werden. Eine ausreichende Bevorratung muss vor Ort und landesweit sichergestellt und mit einem Monitoring verbunden werden, um Engpässe frühzeitig erkennen und ausgleichen zu können. Bei der Verteilung von für den medizinischen Bereich zertifizierten FFP2-Masken müssen medizinische und pflegerische Einrichtungen Priorität haben. Corona-Testungen für das Personal müssen in ausreichendem Umfang bereitgestellt, zeitnah umgesetzt und finanziert werden. Alle in der Ge- sundheitsversorgung Tätigen müssen sich darauf verlassen können, dass mit Blick auf zusätzliche Risiken, denen sie sich aussetzen, eine umfassende, in der Regel berufsgenossenschaftliche Absicherung gilt. Entbürokratisierung und Entlastung von patientenfernen Tätigkeiten Ärztinnen und Ärzte, Medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte und alle weiteren Gesundheitsfachberufe müssen sich in der Krise auf die unmittelbare Patienten- versorgung konzentrieren können. Wo die Bewältigung der Pandemie und die Ver- sorgung von COVID-Patienten in den Vordergrund tritt, müssen Dokumentations- pflichten zu Abrechnungs-, Kontroll- und Qualitätssicherungszwecken ausgesetzt werden, soweit sie nicht zwingend nötig sind. MDK-Prüfungen gehören ebenfalls nicht in diese Phase der Pandemie. Finanzielle Absicherung der Versorgung Arztpraxen, MVZ und Krankenhäuser, die ihre Prioritäten auf die Versorgung von COVID-Patienten ausrichten oder im Rahmen einer Aufgabenteilung andere Lasten übernehmen, müssen die Gewissheit haben, dabei finanziell abgesichert zu sein. Dazu ist eine effektive Schutzschirmregelung für die Praxen und der Ausgleich von COVID-bedingten Mindererlösen für die Krankenhäuser erforderlich. Die richtige Konsequenz aus der Pandemie ziehen: den Öffentlichen Gesundheitsdienst jetzt nachhaltig stärken! Die COVID-19-Pandemie hat deutlich gemacht, wie gefährlich die jahrzehntelange Vernachlässigung des Öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) für unser Land war. Nun muss schnell die richtige Konsequenz gezogen werden. Der inzwischen vereinbarte „Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst“ muss von Bund, Ländern und Kommunen konsequent, zügig und bundesweit umgesetzt werden. Dazu gehört eine bessere technische Ausstattung und die überfällige Digitalisierung der Meldevorgänge und des gesamten Infektionsmanagements. Dazu gehört auch die zügige Realisierung der mit dem Patienten-Daten-Schutz- gesetz beschlossenen Anbindung des ÖGD an die Telematikinfrastruktur. Wesent- liche Voraussetzung ist jedoch die Verbesserung der personellen Ausstattung. Die Kammerversammlung begrüßt in diesem Zusammenhang die Entscheidung des Landes Nordrhein-Westfalen, den Gesundheitsämtern im nächsten halben Jahr 1.000 zusätzliche Personalstellen für die Kontaktpersonennachverfolgung durch die Abordnung von Landesbediensteten und durch zusätzliche Mittel in Höhe von 25 Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Auch dieses Vorhaben muss schnellst- möglich verwirklicht werden. Dreh- und Angelpunkt bleibt jedoch die Ausstattung des Öffentlichen Gesund- heitsdienstes mit qualifizierten Ärztinnen und Ärzten. Dieses zentrale Problem wird durch die bisher auf Bundes- und Landesebene beschlossenen Maßnahmen nicht gelöst. Denn dazu ist eine tariflich gesicherte, arztspezifische Vergütung unabdingbar. Gerade der jüngste Tarifabschluss für den öffentlichen Dienst hat an dieser Notwendigkeit nichts geändert. Dieser Tarifabschluss bringt für die Ärz- tinnen und Ärzte in den Gesundheitsämtern keine durchgreifende Verbesserung mit sich. Die erhebliche Gehaltsbenachteiligung gegenüber Ärztinnen und Ärzten in anderen Versorgungsbereichen besteht weiter fort. Die Kammerversammlung Entschließungen der Kammerversammlung
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