Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2021
Ärztekammer Nordrhein Jahresbericht 2021 | 25 Kammerversammlung Das Gericht hatte im Februar 2020 das fünf Jah- re zuvor vom Deutschen Bundestag beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbst- tötung zum Beispiel durch Sterbehilfevereine für verfassungswidrig erklärt. Das „Recht auf selbst- bestimmtes Leben“ schließe die Freiheit ein, „sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen“, urteilte das Verfas- sungsgericht. Es räumte dem Gesetzgeber jedoch Handlungsspielraum ein, um zu verhindern, dass sich der assistierte Suizid in der Gesellschaft als normale Form der Lebensbeendigung durchsetzt. Der Gesetzgeber „darf einer Entwicklung entge- gensteuern, welche die Entstehung sozialer Pres- sionen befördert, sich unter bestimmten Bedingun- gen, etwa aus Nützlichkeitserwägungen, das Leben zu nehmen“, entschieden die Karlsruher Richter. Für die Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein warf das die Frage auf, ob sie infolge des Urteils ihre Be- rufsordnung ändern müssen. Denn § 16 der Berufs- ordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte verbietet es, Hilfe zur Selbsttötung zu leisten. Wörtlich heißt es dort: „Ärztinnen und Ärzte ha- ben Sterbenden unter Wahrung ihrer Würde und unter Achtung ihres Willens beizustehen. Es ist ih- nen verboten, Patientinnen und Patienten auf de- ren Verlangen zu töten. Sie dürfen keine Hilfe zur Selbsttötung leisten.“ Dieser Passus entspricht dem in der damaligen (Muster-)Berufsordnung, jedoch wurde beim 124. Deutschen Ärztetag im Mai 2021 der letzte Satz gestrichen. Suizidprävention in den Blick nehmen Kammerpräsident Henke warb dafür, das „ver- wandte Thema“ der Suizidprävention stärker in den Blick zu nehmen. Einem entsprechenden Beschluss stimmten die Mitglieder der Kammerversammlung mit großer Mehrheit zu. In der Debatte über die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und dessen mögliche Folgen forderten sämtliche Redner eine grundlegende Diskussion darüber, ob das Ver- bot der ärztlichen Suizidbeihilfe aufrechterhalten werden kann und soll. Zu den Befürwortern einer Änderung der Berufsordnung gehört Hans-Peter Meuser (Langenfeld). Die Entscheidung des Verfas- sungsgerichts stehe im Gegensatz zu paternalistisch und christlich geprägten Auffassungen, dass der Mensch vor sich selbst geschützt werden müsse und Selbsttötung eine Sünde sei, erklärte Meuser. „Das Berufsrecht hat sich an der Verfassung zu orien- tieren, nicht an religiösen Vorstellungen“, sagte er. Ohne Frage müsse jeweils eine bestmögliche Suizid- prävention angeboten werden, die sicher in einem Großteil der Fälle eine Selbsttötung verhindern könne. Es werde aber immer einige wenige, objek- tiv ausweglose Fälle geben, in denen den Betroffe- nen eine Selbsttötung als einziger Ausweg bleibe. „Hier ist es dann besser, dass der behandelnde Arzt, der den Patienten kennt und die Entwicklung des Sterbewunsches über die Zeit verfolgt hat, diese Hilfe leistet, als irgendwelche gewerblichen Anbie- ter“, erklärte Meuser. Dr. Sven Dreyer (Düsseldorf ) stellte klar, dass ärztlich assistierter Suizid sei nicht gleichzusetzen sei mit Euthanasie oder passiver Sterbehilfe. „Das darf man auf keinen Fall vermischen“, betonte er. Auf die Meinungsvielfalt auch innerhalb der Ärzte- schaft wies Dr. Lydia Berendes (Krefeld) hin. Sie appellierte an die Kolleginnen und Kollegen, ihren Gestaltungsspielraum zu nutzen und nicht nur zu reagieren. „Ich persönlich möchte nicht irgend- wann darüber diskutieren, ob wir eine Zusatzquali- fikation ,Ärztlich assistierter Suizid‘ einführen oder einen Erfüllungszwang“, erklärte Berendes. Dr. Ivo Grebe (Aachen) regte einen Blick über die Grenzen in Nachbarländer an, in denen der Umgang mit dem Thema Sterbehilfe ein anderer sei. „Ich glaube, da können wir gute Informationen bekommen. Wir müssen die Debatte inhaltlich breit führen, damit sich jeder eine Meinung bilden kann“, sagte Grebe. Den Stellenwert der Suizidprävention hob Christa Bartels (Düren) besonders hervor. Die Zahl der Menschen, die sich in einer ausweglosen Lage be- fänden, sei doch sehr klein, gab sie zu bedenken. „90 Prozent der Menschen, die einen Suizid begehen, „Beim Impfen muss der Staat auch einfach mal das Vertrauen in die Kollegenschaft setzen.“ Rudolf Henke, Präsident der Ärztekammer Nordrhein
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