Jahresbericht Ärztekammer Nordrhein 2022

18 | Jahresbericht 2022 Ärztekammer Nordrhein Kammerversammlung Eine weitere Baustelle, die die angehenden Ampelkoalitionäre in Berlin ihrem Sondierungspapier zufolge angehen wollen, ist die überbordende Bürokratie im Gesundheitswesen. Es greife allerdings zu kurz, wenn die Politik dabei nur die Pf lege im Blick habe, kritisierte Kammerpräsident Henke: „Wir fordern, dass der Bürokratie- und Dokumentationsabbau in allen Gesundheitsberufen in Angriff genommen wird.“ Die Kernfrage laute: Wo nützten die Daten der Patientenversorgung und wo seien sie ein reines Kontrollinstrument und Ausdruck einer Misstrauenskultur der Krankenkassen. Dasselbe gelte für die Strukturen der Telematik-Infrastruktur. Hier müsse der Nutzen für die Versorgung im Mittelpunkt stehen. Obwohl der Kammerpräsident betonte, dass die Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein sinnvollen Telematikanwendungen offen gegenüberstünden, zeig- te die Diskussion im Plenum, dass viele Kammermitglieder die fortschreitende Digitalisierung weiterhin äußerst kritisch begleiten. So bemängelte etwa Wieland Dietrich, Essen, die automatische Übermittlung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) an die Krankenkassen und den Arbeitgeber von Patientinnen und Patien- ten, ohne dass diese zuvor ihr Einverständnis erklärt hätten. Das schüre nicht nur Konf likte im Arzt-Patienten-Verhältnis, sondern sei auch ein wesentlicher Eingriff in die Entscheidungsfreiheit der Patienten. Außerdem warnte Dietrich vor den Risiken vernetzter Systeme durch Cyberattacken. Bei einer Telematikinfrastuktur mit Millionen von Zugriffsberechtigten müsse man grundlegend die Frage stellen, wie ein solches System überhaupt geschützt werden könne. Kritisch setzte sich die Kammerversammlung insbesondere mit den sogenannten Digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGAs) auseinander. Dr. Christiane Groß, Wuppertal, wies darauf hin, dass die Gesundheits-Apps aktuell basierend auf der Selbstauskunft der Hersteller vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte für die Verordnung zulasten der gesetzlichen Krankenkassen zugelassen würden. „Das heißt, wenn ein Hersteller sagt, es ist ein Nutzen da und der Datenschutz ist gewährleistet, dann kommen die Apps probeweise auf den Markt“, sagte Groß. „Ich bin mir aber nicht sicher, ob alle Kolleginnen und Kollegen tatsächlich wissen, dass die DiGAs noch nicht endgültig genehmigt sind, sondern sich in einem großen Test befinden.“ Bedenklich sei auch, dass Patientinnen und Patienten die Gesundheits-Apps direkt bei den Krankenkassen anfordern könnten, wenn sie eine entsprechende Diagnose vorwiesen. „Wir wissen nicht, wie viele Apps runtergeladen werden und ob sie überhaupt genutzt werden“, sagte Groß. „Das ist ein Riesenproblem auch angesichts der Kosten von 400 Euro und mehr je App.“ Nur wenn die DiGAs in ärztlicher Verantwortung verschrieben würden und ihr Nutzen sorgfältig evaluiert würde, könnten sie eine sinnvolle Ergänzung in der Patientenversorgung sein. Suizidhilfe ist keine ärztliche Aufgabe Einen klarstellenden Beschluss fasste die Kammerversammlung zum ärztlich assistierten Suizid. Sie erklärte das Verbot in der Berufsordnung für die Ärztinnen und Ärzte in Nordrhein für nicht anwendbar. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das im Februar 2020 das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung in § 217 des Strafgesetzbuches zum Beispiel durch Sterbehilfevereine für verfassungswidrig erklärt hatte. Das Recht auf selbstbestimmtes Sterben schließe die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und hierbei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen, erklärte das Verfassungsgericht. Der 124. Deutsche Ärztetag hatte in der Folge im Mai 2021 das berufsrechtliche Verbot des ärztlich assistierten Suizids aus § 16 der (Muster-)Berufsordnung gestrichen. In Nordrhein wollte man so weit noch nicht gehen, sondern vor einer Neufassung der hiesigen Berufsordnung mögliche gesetzliche Neuregelungen infolge des Urteils in der neuen Legislaturperiode abwarten. „Wir sollten in der ganzen Debatte allerdings nicht vergessen, dass die Mit- wirkung von Ärztinnen und Ärzten bei der Selbsttötung nach einem Beschluss des Deutschen Ärztetages im Mai nach wie vor keine ärztliche Aufgabe ist“, stellte Henke klar. Schließlich dankte der Kammerpräsident den Ärztinnen und Ärzten für ihre Solidarität mit den Opfern der Flutkatastrophe im Juli 2021. Die Spendenbereitschaft sei enorm gewesen. Dank eiBernd Zimmer, Vizepräsident der Ärztekammer Nordrhein, leitete die Aussprache der Kammermitglieder und achtete auf die Einhaltung von Hygiene- und Abstandsregeln.

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