Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2026 23 Forum Aschaffenburg, Mannheim, Hamburg: Eine Reihe von Angriffen mutmaßlich psychisch kranker Täterinnen und Täter gegen arglose Passanten hat in der Öffentlichkeit für massive Verunsicherung gesorgt. Schnell wurden Forderungen nach Strafverschärfungen oder einem Register für psychisch kranke Gewalttäter laut. In NRW versucht man, die Diskussion zu versachlichen. von Heike Korzilius Aschaffenburg, Park Schöntal: Im Januar 2025 attackiert ein 28-jähriger Afghane eine Kindergartengruppe mit dem Messer, tötet ein Kleinkind und einen zu Hilfe eilenden Mann. Er verletzt drei weitere Menschen zum Teil schwer. Mannheim, Innenstadt: Anfang März tötet ein 40-jähriger Deutscher bei einer Amokfahrt zwei Menschen und verletzt elf weitere zum Teil schwer. Hamburg, Hauptbahnhof: Ende Mai sticht eine 39-jährige Deutsche wahllos mit dem Messer auf Reisende ein. Sie verletzt dabei 18 Menschen, vier von ihnen lebensgefährlich. Täter und Täterin gelten als schwer psychisch krank. Ihre Taten sorgten bundesweit für Schlagzeilen, die Öffentlichkeit reagierte verunsichert, die sozialen Medien liefen heiß. Schnell wurden Rufe laut nach einer Verschärfung der Psychisch-Kranken-(Hilfe)-Gesetze, die auf Landesebene bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung die zwangsweise Unterbringung psychisch Kranker in der Psychiatrie regeln. Der Generalsekretär der CDU, Carsten Linnemann, hatte bereits Ende 2024 im Deutschlandfunk gefordert, ein Register für psychisch kranke Gewalttäter einzurichten. Zugleich sprach er sich für einen besseren Austausch der Sicherheitsbehörden untereinander sowie mit Psychiatern und Psychotherapeuten aus, um derartige Taten möglichst zu verhindern. Anlass für Linnemanns Vorstoß war der Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt, bei dem ein aus SaudiArabien stammender, psychisch auffälliger Arzt Ende Dezember vorigen Jahres sechs Menschen getötet und 300 verletzt hatte. Angesichts der Häufung solcher Taten herrsche eine große Verunsicherung unter den Fachleuten, aber auch in der öffentlichen Debatte, stellte Matthias Heidmeier fest. Der Staatssekretär im NRW-Gesundheitsministerium forderte bei einer Tagung zum Gewaltrisiko bei psychischen Erkrankungen am 19. November im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf zugleich: „Wir müssen die Diskussion über den Umgang mit psychisch kranken Gewalttätern mit Maß und Mitte führen.“ Das Ministerium hatte gemeinsam mit den beiden Ärztekammern des Landes zu der Veranstaltung geladen. Die hohe Zahl von gut 300 Teilnehmerinnen und Teilnehmern belegte, dass man mit dem Thema offenbar einen Nerv getroffen hatte. Vertrauen ins Fachpersonal Dr. Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, fasste die Herausforderung in seiner Begrüßung zusammen: „Wir stehen vor der höchst anspruchsvollen Aufgabe, die berechtigten Sicherheitsbedürfnisse der Allgemeinheit nach Schutz mit dem Anspruch auf Selbstbestimmung und Antistigmatisierung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen und deren Schutz vor Diskriminierung in Einklang zu bringen“. Diese Aufgabe, so der Kammerpräsident, könne nur in Zusammenarbeit von Medizin, Recht, Verwaltung, Politik und Betroffenen angegangen werden. Staatssekretär Heidmeier verwies auf Fortschritte bei der Behandlung psychisch Kranker seit der Psychiatrie-Enquete vor 50 Jahren. Das gesellschaftliche Mindset habe sich seither deutlich zum Positiven verändert, Tabus seien aufgebrochen worden. Das dürfe man wegen eines allgemeinen Bedrohungsgefühls nicht grundsätzlich infrage stellen. „Es braucht bei diesem Thema das Vertrauen der Gesellschaft in das Fachpersonal. Dazu gehört auch, dass wir Probleme offen benennen und artikulieren, dass wir verdeutlichen, dass wir großen Wert auf den Schutz der Allgemeinheit legen, aber andererseits keine Stigmatisierung, keine Register oder einfaches Wegsperren wollen“ sagte Heidmeier. „Wir wollen die richtigen Antworten geben.“ Experten sehen diese in einer fachgerechten, niedrigschwelligen und vor allem kontinuierlichen psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung. „Das ist das beste Mittel der Gewaltprävention bei Menschen mit psychischen Erkrankungen“, sagte Professor Dr. Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Zwischen Sicherheitsbedürfnis und Patientenschutz Risiken realistisch einschätzen: Psychische Erkrankungen sind generell nicht mit einem erhöhten Gewaltrisiko verbunden. Ein höheres Risiko besteht allerdings bei Schizophrenien und anderen Psychosen oder schweren Persönlichkeitsstörungen. Foto: jotily/istockphoto.com
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=