Rheinisches Ärzteblatt / Heft 1 / 2026 37 Kulturspiegel nerinnen treten uniformiert im Trenchcoat auf. Regisseur Hertweck folgt mit dem „Community Sprechchor“ der Tradition des antiken Theaters, bei deren Aufführungen ebenfalls Chöre eine wichtige Rolle spielten. Im zweiten Teil steht Orest, gespielt von Furkan Yaprak, im Mittelpunkt des Geschehens. Er ist der Sohn von Klytämnestra und Agamemnon, der in der Fremde aufwuchs. Florian Hertweck verlegt diesen Teil in die Gegenwart und baut die Handlung in den Rahmen einer Mordermittlung ein, die von einem Reporterteam nachgezeichnet wird. Der Community Chor ist verschwunden, und es wird reichlich Gebrauch von Videoaufnahmen gemacht. Der Königspalast verwandelt sich in die Kulisse einer Homestory, in der Klytämnestra und Ägisth stolz ihr Zuhause präsentieren, vom Schlafzimmer bis zum Hobbykeller. Orest folgt einem Orakelspruch, kehrt nach Argos zurück und trifft auf seine Schwester Elektra, gespielt von Greta Ebling. Die lange getrennten Geschwister erkennen sich, und Elektra räumt bei ihrem Bruder die letzten Zweifel aus, den Mord am Vater zu rächen. Mit einer List gelangt Orest in den Königspalast, tötet zuerst Ägisth und dann seine Mutter. Die Gewaltspirale im Stamm der Tantaliden dreht sich weiter. Ein Bürgergericht soll im dritten Teil entscheiden, was mit Orest geschehen soll. Die erste Volksabstimmung der mythologischen Welt, und in Aachen hat wieder das Publikum das Wort. I nformationen unter www.theateraachen.de und Tel.: 0241 4784 244. ser Generation geht das Morden und Kochen von Verwandten weiter. Erst zwei Generationen später wird die Gewaltspirale enden. Und auch das nur unter Zuhilfenahme göttlicher und irdischer Macht und Weisheit. Der erste Teil der Orestie behandelt die Rückkehr Agamemnons, gespielt von Tim Knapper, in seine Heimatstadt Argos. Nach zehn Jahren ist der Krieg um Troja zu Ende gegangen. Die Griechen kehren siegreich zurück. Agamemnon führt als Kriegsbeute die Seherin Kassandra, gespielt von Elina Schkolnik, mit sich. Seine Ehefrau, Klytämnestra, herrisch und würdevoll gespielt von Stefanie Rösner, ist von der Rückkehr ihres Gatten nicht wirklich begeistert. In der Zwischenzeit hat sie Ägisth, gespielt von Benedikt Voellmy, als Liebhaber im Königspalast bei sich aufgenommen. Kassandra sieht Agamemnons und ihr eigenes gewaltsames Ende nahen. Der König und erfolgreiche Kriegsherr schlägt ihre Warnung in den Wind und kehrt zurück zu seiner Frau. Klytämnestra erschlägt ihren Ehemann, da sie ihm nicht verzeihen kann, dass er die gemeinsame Tochter Iphigenie zehn Jahre zuvor den Göttern für günstigen Wind bei der Überfahrt der griechischen Flotte noch Troja geopfert hatte. Auch Kassandra entgeht ihrem blutigen Schicksal nicht. Der erste Teil wird begleitet von einem Chor der zurückgebliebenen Frauen und Mütter, die von der Schauspielerin Bettina Scheuritzel als Koryphäe oder Chorführerin angeleitet werden. Ihr rhythmischer Sprechgesang drückt die Sorgen, Ängste und Kommentare des Volkes von Argos aus. 16 AacheDie Aachener Inszenierung der „Orestie“ unter der Regie von Florian Hertweck nimmt die Zuschauer mit auf eine Zeitreise ins antike Griechenland und zurück in die Gegenwart. von Jürgen Brenn Bei der derzeit am Aachener Schauspielhaus zu sehenden Inszenierung von „Die Orestie“ nach Aischylos läuft man Gefahr, nicht nur unterhalten zu werden, sondern auch etwas zu lernen. Ganz explizit erklären zu Beginn der Aufführung die Schauspielerinnen und Schauspieler Elina Schkolnik, Greta Ebling, Tim Knapper, Furkan Yaprak und Lukas Karlsch in einem Prolog, worum es an diesem Theaterabend geht, wie die 2.500 Jahre alte Trilogie von Aischylos einzuordnen ist und dass sie die erste schriftliche Darstellung demokratischen Wirkens im antiken Griechenland ist. Es ist der Ursprung unserer heutigen Regierungsform, die das Ensemble für das Publikum im wahrsten Sinne des Wortes erlebbar macht. Denn am Anfang und am Ende des Abends bekommt das Publikum die Möglichkeit, sich per Handzeichen an der demokratischen Willensbildung zu beteiligen. Ein Stück mit eingebauter direkter Demokratie. Damit der Abend unterhaltsam wird und alle Zuschauerinnen und Zuschauer in die Lage versetzt werden, der komplexen Handlung zu folgen, wird die gesamte Vorgeschichte der handelnden Personen, deren Verwandtschaftsverhältnisse, Verfehlungen und Morde abgehandelt, die letztlich zum Fluch der Tantaliden führten. Denn schon die Vorfahren der Protagonisten, die in der „Orestie“ auftreten, waren nicht zimperlich. Tantalos, auf den der Fluch der Götter zurückgeht, setzte diesen bei einem Gastmahl, das er für sie ausrichtete, seinen von ihm getöteten und gekochten Sohn Pelops vor, um die Allwissenheit der Götter auf die Probe zu stellen. Da die Götter allwissend sind, rührten sie das Mahl nicht an, sondern verfluchten das Tantalidengeschlecht. In jeder Generation sollte ein Nachkomme des Tantalos sich gegen die Familie wenden. Und so beginnt das Drama mit Pelops Söhnen Atreus und Thyestes. In dieTheater mit Bildungsauftrag Eine schöne Idee der Aachener Inszenierung von Florian Hertweck: Ein Sprechchor des Volkes begleitet den ersten Teil der „Orestie“ unter der Leitung von Bettina Scheuritzel im roten Mantel. Foto: Thilo Beu
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