Thema Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 13 Sollte es zu einem militärischen Angriff auf einen NATO-Partner Deutschlands kommen, würde das Land aufgrund seiner geografischen Lage zur logistischen Drehscheibe der Bündnispartner. Das bedeutet dem Expertenrat zufolge, dass die Logistik für hunderttausende alliierte Soldatinnen und Soldaten in und auf dem Weg durch Deutschland koordiniert werden müsste – inklusive der medizinischen Versorgung Verwundeter. Dazu käme im Ernstfall eine große Zahl von Flüchtlingen aus den Kampfgebieten, die ebenso versorgt werden müssten. Da die Sanitätskräfte der Bundeswehr maßgeblich im Rahmen der militärischen Verteidigung, sprich an der Front, gebunden wären, müssten die zivilen medizinischen Einrichtungen die Versorgung von Verwundeten unterstützen. Im Fall der letzten Eskalationsstufe, der Landesverteidigung, würden sich die Bedingungen weiter verschärfen, weil neben der Versorgung einer erheblichen Zahl von verwundeten Soldaten auch verletzte Zivilpersonen versorgt werden müssten, wobei davon auszugehen sei, dass durch die Kampfhandlungen auch die Gesundheitsinfrastruktur selbst beeinträchtigt wäre. „Mit den Vorbereitungen auf diese möglichen Szenare muss umgehend begonnen werden, um die Resilienz des Gesundheitssystems adäquat zu erhöhen und die Gesundheitssicherheit des Landes gewährleisten zu können“, fordert der Expertenrat in seiner Stellungnahme und gibt zugleich Empfehlungen. Entscheidend, so der Rat, sei eine deutlich verbesserte, strukturierte zivil-militärische Zusammenarbeit. Gemeinsame Verfahren müssten weiterentwickelt und regelmäßig geübt werden. Der Rat hebt hier besonders die Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung zwischen dem Sanitätsdienst der Bundeswehr, zivilen medizinischen Einrichtungen und Hilfsorganisationen wie dem Deutschen Roten Kreuz hervor. Um das Ganze auf rechtlich sichere Füße zu stellen, fordert der Expertenrat, das Gesundheitssicherstellungsgesetz, das Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach bereits im März 2024 angekündigt hatte, schnellstmöglich zu verabschieden. Der Expertenrat sieht in seiner Stellungnahme aber auch eine aktivere Rolle für die Bürgerinnen und Bürger vor. Sie müssten für die militärische Gefahrenlage sensibilisiert und motiviert werden, Vorsorge zu treffen und sich an der Verbesserung der Resilienz aktiv zu beteiligen. Auch die Bevorratung bestimmter Arzneimittel und Medizinprodukte sowie regelmäßige Ernstfallübungen für Gesundheitskrisen sollten gesetzlich verankert werden. Der Expertenrat stellt zugleich klar, dass auch im Krisen- und Bündnisfall neben der Versorgung von Verwundeten weiterhin die bestmögliche medizinische Versorgung der zivilen Bevölkerung, insbesondere vulnerabler Gruppen, sichergestellt werden müsse. Die Einschätzungen und Empfehlungen des Rates decken sich im Großen und Ganzen mit denen der Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Ärzteschaft, Katastrophenschutz und Bundeswehr, die im Oktober 2024 in Berlin zusammengekommen waren. Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte unter dem Motto: „Bedingt abwehrbereit? Die Patientenversorgung auf den Ernstfall vorbereiten“ zu einem Dialogforum eingeladen. „Unser Land erlebt eine Zeit wachsender Bedrohungen von innen wie außen“, erklärte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhard im Vorfeld der Veranstaltung. Die Frage nach der Krisenresilienz stelle sich in einer seit Jahrzehnten nicht gekannten Dringlichkeit. „Das gilt auch und gerade für das Gesundheitswesen, das für die Daseinsvorsorge und den gesellschaftlichen Zusammenhalt von zentraler Bedeutung ist“, so Reinhardt. Keine sichere Zeit „Ich fühle mich zurzeit bedroht“, beschrieb Generalstabsarzt Dr. Ralf Hoffmann in Berlin den Ernst der Lage. „Seit Beginn des Krieges in der Ukraine leben wir nicht mehr in einer sicheren Zeit.“ Die Bedrohung sei real und man könne ihr nur mit Stärke entgegentreten, mit dem Signal, dass man verteidigungsbereit und vorbereitet sei. Hoffmann betonte, dass es bereits jetzt einen engen Schulterschluss zwischen dem zivilen Sektor und der Bundeswehr gebe. So seien die bundesweit fünf Bundeswehrkrankenhäuser eng eingebunden in das zivile Versorgungssystem. „Die Bilder, die wir kennen, sind die von Angehörigen der Bundeswehr, die bei Naturkatastrophen zivile Helfer unterstützen“, sagte Hoffmann. Im Krieg wäre es umgekehrt. Darauf müsse man sich vorbereiten. „Bei einem Gefecht mit einem gleichwertigen Gegner rechnen wir mit 300 bis 1.000 krankenhauspflichtigen Patienten am Tag, die aus dem Einsatzgebiet zur Behandlung nach Deutschland zurückgeführt werden müssen“, so der Generalstabsarzt. Die Besonderheit an diesem Szenario: „Das findet nicht an ein, zwei oder drei Tagen statt, sondern über Monate oder Jahre hinweg – jeden Tag.“ Dafür müsse sich das Gesundheitssystem in Deutschland wappnen. Mit Blick auf die aktuelle Krankenhausreform regte Hoffmann an, sicherheitspolitische Herausforderungen mitzuberücksichtigen. Gesundheitssicherheit oder Health Security beschäftigt sich mit der Vorbereitung auf gesundheitliche Großschadenslagen und mit deren Bewältigung. Darunter fallen zum Beispiel Natur- oder andere Katastrophen, Anschläge und Krieg. Das Gesundheitsversorgungssystem, der öffentliche Gesundheitsdienst und der Gesundheitliche Bevölkerungsschutz sind gleichermaßen Gegenstand der Gesundheitssicherheit. Sind diese resilient aufgestellt, kann dies zum Schutz vor inneren und äußeren Risiken beitragen, erklärt der „Expertenrat Gesundheit und Resilienz“ in seiner siebten Stellungnahme. Über resiliente Systeme schreibt der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege in seinem Gutachten 2023, sie seien trotz unvorhergesehener Ereignisse in komplexen Situationen weiter funktionsfähig und gingen aus diesen idealerweise sogar gestärkt hervor. Gesundheitssicherheit und Resilienz
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