16 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 Spezial man im Gespräch mit ihr kaum. Sie redet gerne und lacht viel. Nur manchmal gerät sie ins Stocken und ringt nach Fachbegriffen. „Viele Menschen denken bei Demenz automatisch an das letzte Stadium der Erkrankung, wenn sich die Patienten nicht mehr selbst versorgen können. Dass manche Formen, wie beispielsweise die Lewy-Body-Demenz, einer Achterbahnfahrt gleichen, weiß kaum jemand,“ erklärt sie im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. So gebe es Tage, an denen sie sich äußerst fit fühle. Doch es gebe auch Tage und Momente, in denen sie unter Halluzinationen und starken Gleichgewichtsstörungen leide oder plötzlich erstarre. Bis zu ihrer Diagnose führte Lieselotte Klotz, die Freunde „Lilo“ nennen, „ein Leben auf der Überholspur“, wie sie sagt. Sie war Geschäftsführerin eines größeren IT-Unternehmens in Düsseldorf, trug Verantwortung für rund 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, engagierte sich politisch, zog drei Kinder größtenteils alleine groß und pflegte ihre an Alzheimer erkrankte Mutter. Dann änderte sich ihr Leben schlagartig. Im Jahr 2017 begannen die Halluzinationen. Sie sah Tiere, die nicht da waren. Bei der Arbeit verstand sie von ihr selbst erstellte Unterlagen nicht mehr, hatte Schwierigkeiten, längeren Meetings zu folgen und erkannte auf Veranstaltungen jahrelange Geschäftspartner nicht mehr. Klotz versuchte, die Symptome zu ignorieren, vermutete selbst einen Burn-Out. Ihre Kinder, die ebenfalls bemerkten, wie sich ihre Mutter veränderte, drängten sie dazu, die Symptome ärztlich abklären zu lassen. Auch Klotz‘ Arzt vermutete zunächst eine Depression oder einen Burn-Out. Den späteren Verdacht auf eine Lewy-Body-Demenz bei der damals 58-Jährigen bestätigte ein ausführlicher, mehrtägiger Test. „Ich habe zuerst versucht, so weiterzuleben wie bisher“, sagt Klotz. Doch die Bewältigung ihres Arbeitsalltags sei ihr zunehmend schwerer gefallen. Nach einem längeren Aufenthalt in einer neurologischen Klinik erhielt Klotz von ihrem Arbeitgeber die Kündigung — ohne Vorwarnung, ohne vorheriges Gespräch. Es folgte die Frühberentung. Der Verlust des Arbeitsplatzes sei ein schwerer Schlag für sie gewesen, schildert Klotz. Sie habe sich „nutzlos gefühlt“. Um die Situation zu verarbeiten, habe sie mehrere Monate in einer psychosomatischen Klinik verbracht. Die folgenden Jahre prägte das Stigma einer demenziellen Erkrankung: Langjährige Freunde brachen den Kontakt ab, zu manchen Feiern und Dorffesten wurde sie nicht mehr eingeladen. „Ich habe noch immer das Gefühl, dass ich von meinem Umfeld oft auf meine Erkrankung reduziert werde“, sagt Klotz. Die größte Herausforderung sei allerdings, bewusst zu erleben, wie sich der eigene Gesundheitszustand allmählich verschlechtert. Multitasking funktioniere nicht mehr, und sie leide unter Gangunsicherheit. Ihren Rollator habe sie zu Beginn gehasst, nun sehe sie ihn als Chance, um weiter mobil zu bleiben. Große Angst habe sie davor, ihre erwachsenen Kinder mit ihrer Erkrankung zu belasten. Sie erinnert sich, wie ihre in Japan lebende Tochter einmal sagte: „Mit jedem Besuch verliere ich meine Mutter ein Stückchen mehr.“ Lieselotte Klotz findet es schwierig, die psychischen Auswirkungen der Erkrankung abzufedern. „Mir hilft nur radikale Akzeptanz, nicht den Lebensmut zu verlieren“, betont sie. Mut schöpft sie auch aus ihren Ehrenämtern. Unter anderem engagiert sie sich bei der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, beim Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen sowie bei der European Working Group People with Dementia. Sie hält Vorträge, unterstützt Forschungsprojekte und setzt sich politisch für Menschen mit Demenz ein. „Ich will aufklären und damit zur Entstigmatisierung beitragen“, sagt sie. Demenz – oft zu spät erkannt Dass Menschen wie Lieselotte Klotz bereits in einem Alter von unter 65 Jahren an einer Demenz erkranken, sei selten, sagt Professor Dr. Frank Jessen, Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universitätsklinik Köln, im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. Nach Zahlen der Deutschen Alzheimer Gesellschaft sind von den rund 1,8 Millionen Patienten mit Demenz in Deutschland lediglich fünf Prozent jünger als 65 Jahre. Während ältere Patienten häufig an Alzheimer litten, seien die unter 65-Jährigen mehrheitlich von einer frontotemporalen Demenz betroffen, erklärt Jessen. Diese äußere sich im frühen Stadium bei jedem Patienten unterschiedlich und mache sich häufig durch Persönlichkeitsveränderungen, wie ein enthemmtes soziales Verhalten, oder Sprachstörungen bemerkbar. Erst in einem späteren Stadium träten dann Gedächtnisprobleme auf, die an Alzheimer erinnerten. Da demenzielle Erkrankungen bei jüngeren Menschen sehr selten vorkämen, seien sie schwierig zu diagnostizieren. Haus- und Fachärzte würden bei dieser Patientengruppe häufig nicht an demenzielle Erkrankungen denken, so Jessen. Vor wenigen Jahren habe er selbst einen 34-jährigen Patienten behandelt, der über Gedächtnisprobleme klagte. Anfangs habe er eine Depression vermutet. „Erst als im Verlauf der Zeit weitere kognitive Störungen auftraten, konnte ich die Diagnose einer Alzheimer-Erkrankung stellen“, erinnert sich Jessen. Dabei sei die Früherkennung bei Demenz besonders wichtig, denn die Erkrankung gehe mit einer dramatisch verkürzten Lebenszeit einher. Bei Ein Angebot, das sich speziell an jung an Demenz Erkrankte und ihre Angehörigen in Nordrhein-Westfalen richtet, ist das Selbsthilfeprojekt „JaDe.“ In kostenfreien Wochenendendworkshops und weiteren Formaten informiert JaDe zu Themen wie Vorsorge, persönliche Assistenz sowie Berufstätigkeit. Informationen: www.alzheimer-nrw.de/aktivitaeten-projekte/jade Ein Angebot für jung Erkrankte
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