Gesundheits- und Sozialpolitik 18 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 Um die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherung zu stabilisieren, forderte Reinhardt, versicherungsfremde Leistungen wie zum Beispiel die beitragsfreie Mitversicherung von Ehegatten oder die hälftige Finanzierung des Transformationsfonds im Rahmen der Krankenhausreform über Steuern zu finanzieren sowie die Mehrwertsteuer auf Arzneimittel von jetzt 19 auf sieben Prozent zu senken. Allein durch letztere Maßnahme würden die Krankenkassen jährlich etwa sechs Milliarden Euro einsparen, so der BÄK-Präsident. Außerdem sollten die Einnahmen aus der Alkohol- und Tabaksteuer direkt in den Gesundheitsfonds fließen. Um die Folgen des Ärztemangels zu mildern, schlug Reinhardt vor, Ärztinnen und Ärzte im Ruhestand mithilfe steuerlicher oder sozialversicherungsrechtlicher Vergünstigungen zu motivieren, sich weiter in die Patientenversorgung einzubringen. Auch der konsequente Abbau unnötiger Bürokratie könne erheblich dazu beitragen, Zeit für die Patientenversorgung frei zu machen. Das Potenzial dieser beiden Maßnahmen bezifferte der BÄKPräsident mit bis zu 40.000 ärztlichen Vollzeitstellen. Notwendig ist ein "Pakt für Selbstverwaltung" Ähnliche Forderungen hatte Anfang Dezember bereits die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) erhoben und sich zugleich für einen anderen Politikstil ausgesprochen. Notwendig sei ein „Pakt für Selbstverwaltung“, in deren Hände die Organisation der medizinischen Versorgung gehöre, heißt es im Positionspapier der KBV zur Bundestagswahl. Die Missachtung der Körperschaften von Ärzten, Krankenhäusern und Krankenkassen durch die Politik müsse beendet werden. Außerdem forderte die KBV, innerhalb der ersten 100 Tage einer neuen Bundesregierung, die Budgetgrenzen für alle ambulant tätigen Ärzte und Psychotherapeuten abzuschaffen. Leistung müsse sich wieder lohnen und jede ausreichende, zweckmäßige, wirtschaftliche und notwendige medizinische Leistung müsse vollständig vergütet werden. Um den Nachwuchs zu sichern, sei es zudem notwendig, die fachärztliche Weiterbildung in den Praxen zu fördern und die bereits 2013 in ihren Grundzügen erarbeitete Reform der Approbationsordnung endlich umzusetzen. Reinhardt, Anfang Januar in Berlin. Ein Ausbau von Prävention und Gesundheitskompetenz, eine bessere Steuerung der Patientinnen und Patienten, ein Abbau unnötiger Bürokratie und eine nachhaltige Sicherung der Finanzierung des Gesundheitswesens gehörten deshalb in den Fokus der neuen Bundesregierung, so Reinhardt. Insbesondere Prävention und Gesundheitskompetenz sollten nach Ansicht der BÄK ganz oben auf der gesundheitspolitischen Prioritätenliste stehen. Jährlich stürben in Deutschland hunderttausende Menschen an den Folgen vermeidbarer Krankheiten wie Diabetes mellitus Typ 2 oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Ein gesunder Lebensstil solle schon in Kitas und Schulen vermittelt und beispielsweise durch Werbeverbote für besonders fett- oder zuckerhaltige Lebensmittel und die Einführung einer Zuckersteuer gefördert werden. Allein Herz-Kreislauf-Erkrankungen führten nicht nur zu menschlichem Leid. Sie kosteten das Gesundheitssys- tem jährlich rund 60 Milliarden Euro, erklärte Reinhardt. Dabei könnten durch Prävention und gesunde Lebensführung 70 Prozent der Krankheitsfälle mit den daraus resultierenden Kosten vermieden werden. Um die Finanzierbarkeit der medizinischen Versorgung ohne Leistungseinschränkungen gewährleiten zu können, schlug Reinhardt vor, zunächst einmal „Redundanzen abzubauen“. Erreichen will er das unter anderem mit einer besseren Steuerung der Patienten. Deutschland leiste sich einen völlig ungeregelten Zugang zum Gesundheitswesen. Die Folge sei ein ungeordnetes Nebeneinander in der Versorgung. In manchen Regionen habe jeder Zweite im Schnitt zwei Hausärzte. „So etwas können wir uns bei zunehmender Personalnot und knappen Kassen nicht mehr leisten“, sagte Reinhardt. Er sprach sich deshalb für ein Primärarztmodell aus, bei dem sich Patienten freiwillig bei einer Haus- oder im Fall chronisch kranker Patienten auch in einer Facharztpraxis einschreiben, die dann die weitere Behandlung koordiniert. Versicherte, die sich für ein solches Modell entschieden, sollten mit Boni belohnt werden. Mehr Prävention und Gesundheitskompetenz, eine bessere Steuerung der Patienten, ein Abbau überbordender Bürokratie und eine nachhaltige Sicherung der Finanzierung des Gesundheitswesens sollten nach Ansicht der Bundesärztekammer ganz oben auf der gesundheitspolitischen Prioritätenliste der neuen Bundesregierung stehen. von Heike Korzilius Wichtige gesundheitspolitische Reformvorhaben liegen wegen des Bruchs der Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP auf Eis. Dazu gehören beispielsweise die bereits im Koalitionsvertrag versprochene Entbudgetierung der Hausärzte, eine Reform von Notfallversorgung und Rettungsdienst oder auch die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigte Entbürokratisierung. Auch bei der im Oktober 2024 verabschiedeten Krankenhausreform muss nach Ansicht von Ländern, Krankenhäusern und Ärzteschaft in der neuen Legislaturperiode noch nachgebessert werden, um zu verhindern, dass sich die Versorgung insbesondere auf dem Land verschlechtert. Zuckersteuer und Werbeverbote für gesünderen Lebensstil Im Vorfeld der vorgezogenen Bundestagswahl am 23. Februar haben sich nun zahlreiche ärztliche Körperschaften und Verbände mit ihren Anforderungen an ein zukunftsfähiges Gesundheitswesen an Politik und Öffentlichkeit gewendet (siehe auch Gesundheitsversorgung muss Priorität bekommen auf Seite 3). Eine Gesellschaft des langen Lebens, in der immer weniger medizinische Fachkräfte immer mehr ältere Menschen versorgen müssten, sowie die jüngsten erheblichen Beitragssatzsteigerungen in der gesetzlichen und privaten Krankenversicherung machten „mutige Reformen in allen Leistungsbereichen des Gesundheitssystems“ erforderlich, erklärte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Dr. Klaus Bundestagswahl: Ärzteschaft fordert „mutige Reformen“
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