Gesundheits- und Sozialpolitik Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 19 den Großteil der von Zwangsmaßnahmen Betroffenen ausmachten. In aller Regel gehe es dabei um die Verabreichung von Psychopharmaka. Die Entscheidung über den Ort der Verabreichung müsse der Präferenz der Betroffenen folgen. Hemmschwelle könnte sinken Weniger eindeutig formulierte die Bundesärztekammer ihren Standpunkt. Manchmal sei die zwangsweise Verabreichung von Medikamenten nur unter den besonderen Bedingungen einer stationären Behandlung durchführbar. Unter bestimmten, klar zu definierenden Voraussetzungen insbesondere in Bezug auf Qualifikation, Anwesenheit und nachträgliche Verfügbarkeit geeigneten Personals komme eine Zwangsmedikation in einigen Fällen aber auch außerhalb einer stationären Behandlung in Betracht. Auch für den Bundesverband der Berufsbetreuer*innen ist eine Zwangsbehandlung außerhalb des Krankenhauses in eng begrenzten Ausnahmefällen vorstellbar; zu befürchten sei allerdings, dass die Hemmschwelle für die Beantragung und Genehmigung ärztlicher Zwangsmaßnahmen durch die Einführung einer Ausnahmeregelung sinke, weil eine in der gewohnten Umgebung des Betroffenen durchgeführte Behandlung als weniger erheblicher Eingriff betrachtet werde als ein gewaltsam erzwungener Ortswechsel. Die Sorge, dass mit der möglichen nichtstationären Zwangsbehandlung eine Barriere vor der Anwendung von Zwangsmaßnahmen entfallen würde und eine Zunahme der Fälle zu befürchten sei, bewog andere vom BverfG Befragte, wie etwa die Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege oder die Bundesarbeitsgemeinschaft Selbsthilfe, sich für die Beibehaltung der Anforderung einer stationären Behandlung auszusprechen. Sehr viel heftigere Kritik gab es nach dem Urteilsspruch von den Verbänden, die die Interessen der Betroffenen vertreten und zuvor nicht zu einer Stellungnahme aufgefordert worden waren. Der Bundesverband und die Bundesarbeitsgemeinschaft Psychiatrie-Erfahrener zeigten sich bestürzt über das Urteil, mit dem das Selbstbestimmungsrecht von Patientinnen und Patienten massiv eingeschränkt werde. ausgegangen war, lag ein Einzelfall zugrunde, der dem BverfG vom Bundesgerichtshof zur verfassungsrechtlichen Bewertung vorgelegt worden war. Der Betreuer einer an paranoider Schizophrenie und einem schizophrenen Residuum leidenden Frau hatte beantragt, deren regelmäßig erforderliche Behandlung mit der Gabe eines Antipsychotikums im Zuge einer ärztlichen Zwangsmaßnahme statt im Krankenhaus in dem von der Frau bewohnten WohnverDas Bundesverfassungsgericht hält den bisher geltenden Vorbehalt, dass eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur im Krankenhaus durchgeführt werden darf, für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber wird aufgefordert, für eine Neuregelung zu sorgen. von Thomas Gerst Mit Urteil vom 26. November 2024 entschied das Bundesverfassungsgericht (Az.: 1 BvL 1/24), dass die bisher ausnahmslos geltende gesetzliche Vorgabe, nach der eine ärztliche Zwangsmaßnahme nur im Rahmen eines stationären Aufenthalts in einem Krankenhaus erfolgen darf (BGB § 1832), verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt ist. Der Gesetzgeber wird mit dem Urteil des Gerichts verpflichtet, spätestens bis Ende des Jahres 2026 eine Neuregelung umzusetzen. Zwar sieht das Bundesverfassungsgericht (BverfG) grundsätzlich die Vorgabe, eine Zwangsmaßnahme in einem Krankenhaus durchzuführen, wo die gebotene medizinische Versorgung einschließlich einer erforderlichen Nachbehandlung sichergestellt ist, als gerechtfertigt an. Es hält jedoch Ausnahmen davon für zulässig, wenn der betroffenen betreuten Person aufgrund der Durchführung der Zwangsmaßnahme in einem Krankenhaus „erhebliche Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit zumindest mit einiger Wahrscheinlichkeit drohen“. Eine solche Ausnahme gelte aber nur dann, wenn davon auszugehen ist, dass diese gesundheitliche Beeinträchtigung bei Durchführung der Maßnahme in der Einrichtung, in der die oder der Betreute untergebracht ist, vermieden werden kann; zudem müsse in der Einrichtung in Bezug auf die konkret erforderliche medizinische Versorgung „nahezu“ Krankenhausstandard erreicht werden. Die Entscheidung des Gerichts wurde mit der knappen Mehrheit von fünf zu drei Richterstimmen getroffen. Bei Stimmengleichheit hätte ein verfassungsrechtlicher Verstoß nicht festgestellt werden können. Dem Urteil, dem am 16. Juli 2024 eine öffentliche mündliche Verhandlung vorZwangsbehandlung auch ambulant möglich Foto: hkama/stock.adobe.com bund durchzuführen. Der Betreuer hatte dies damit begründet, dass in der Vergangenheit die Verlegung der psychisch Erkrankten ins Krankenhaus teilweise nur mittels ihrer Fixierung möglich gewesen sei, was bei ihr regelmäßig zu einer Retraumatisierung geführt habe. Das Betreuungsgericht hatte den Antrag des Betreuers auf ärztliche Zwangsbehandlung im Wohnumfeld der Betreuten abgelehnt, und der Fall landete auf dem Instanzenweg über den Bundesgerichtshof beim BverfG. Verlust des vertrauten Umfelds In der Urteilsbegründung fasst das Gericht die unterschiedlichen Standpunkte der zum Sachverhalt befragten Verbände und staatlichen Stellen zusammen. So wandte sich die Bayerische Staatsregierung gegen die Beschränkung der medizinischen Zwangsbehandlung auf den stationären Bereich. Bei Patienten mit Demenz sei die Einweisung ins Krankenhaus unter anderem wegen des Verlusts des vertrauten Umfelds häufig mit einer Verschlechterung des Gesamtzustands verbunden. Die niedersächsische Landesregierung verwies darauf, dass psychisch Erkrankte
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