Rheinisches Ärzteblatt 02/2025

24 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 Scale sollten bestimmte Interventionen nicht mehr erfolgen oder sehr kritisch hinterfragt werden. Es darf nicht sein, dass wir ab einem bestimmten Alter etwas nicht mehr machen, sondern wir müssen die Patienten in ihrer Gesamtheit gerade vor dem Hintergrund von Komorbiditäten anschauen und dann sehr individuell beraten, ob etwa das Risiko einer Operation oder einer Intervention nicht sehr viel höher ist als der mögliche Benefit. : Gibt es denn beispielsweise einen bestimmten Punkt, ab dem Sie sagen, dass eine künstliche Beatmung nicht mehr zum Einsatz kommt? Janssens: Es gibt einen Zeitpunkt, ab dem wir das diskutieren. In der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) haben wir schon vor Längerem Verfahrensanweisungen entwickelt zur Festlegung von Therapieplänen auf Intensiv- oder Normalstationen und in der Notaufnahme – insbesondere für den Fall, dass eine schwerwiegende Veränderung des Gesundheitszustands des Patienten eintritt. Manche kommen ja bereits mit einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung mit Beteiligung und Einschränkung vieler Organsysteme; dann prüfen wir, ob der Patient auf einen zeitlich begrenzten intensivmedizinischen Therapieansatz reagiert. Bei einem schwer lungenerkrankten Patienten auf Station haben wir in der Regel rechtzeitig die Gelegenheit, für den Fall einer schwerwiegenden Komplikation im Gespräch mit dem Patienten oder den Angehörigen festzulegen, was gemacht wird – zum Beispiel intensivmedizinische Behandlung, mit oder ohne invasive Beatmung, mit oder ohne weiterführende Organersatztherapie. Die Indikation zu einem ärztlichen Eingriff können nur wir Ärzte stellen vor dem Hintergrund eines Therapieziels, das wir mit Patienten oder Angehörigen abgestimmt haben und natürlich unter Berücksichtigung des Patientenwillens. : Wie kann man dieses Procedere in die Abläufe eines Krankenhauses einpassen? Janssens: Hier bei uns im Krankenhaus weisen die Assistenzärztinnen und -ärzte schon frühzeitig bei der Visite auf die Notwendigkeit einer Überprüfung der Therapieoptionen und Indikation einer intensivmedizinischen Behandlung bei schwerkranken Patienten hin. Alle Möglichkeiten des Ausgangs einer Operation oder anderer Maßnahmen sollten durchdekliniert von Herzschrittmachern darauf hingewiesen, dass bei einer kurzen Lebenserwartung des Patienten von unter einem Jahr eine Schrittmacherimplantation nicht erfolgen sollte. Solche konkreten Empfehlungen sind eine absolute Ausnahme. : Entscheidet dann das Alter über den Einsatz eines Schrittmachers? Janssens: Es geht nicht um einzelne Parameter wie beispielsweise das Alter, ab dem eine Therapie oder ein Verfahren zum Einsatz kommt oder nicht. Wenn zu uns ein 90-jähriger Patient mit der Indikation eines implantierbaren Defibrillators kommt und er sonst in guter gesundheitlicher Verfassung mit einer guten Lebensqualität und Lebenserwartung ist, dann wird das natürlich gemacht. Wir schauen uns hier im Krankenhaus die Patienten immer genau an, wir erheben standardmäßig die FrailtyScale, wir schauen darauf, ob ein Patient noch in der Lage ist, sich selbst zu versorgen, beziehungsweise wie eingeschränkt er ist, und blicken auch auf seine eigene, empfundene Lebensqualität. Es gibt eine ganze Reihe von Kriterien, die auf den Ausgang einer Behandlung hindeuten. Bei einem Wert von 6 oder 7 auf der Frailty- : Herr Professor Janssens, Sie sprechen offen das Problem einer medizinischen Überversorgung am Lebensende an. Wie konnte es nach Ihrer Einschätzung zu dieser Entwicklung kommen? Janssens: Im Krankenhaus gibt es zunehmend die Wahrnehmung einer Medizin, die keine Beschränkungen mehr kennt. Wir investieren sehr viel in teure und aufwendige Therapieverfahren und finden keine Grenze, ab der wir uns fragen, ob deren Einsatz überhaupt noch sinnvoll ist. Es gibt mittlerweile eine Medikalisierung des Todes. Je mehr wir erfolgreich eingreifen in früher potenziell tödliche Verläufe, quasi den Tod behandeln, umso mehr verlernen wir, uns mit der Sinnhaftigkeit unserer Maßnahmen auseinanderzusetzen. : Geht es dabei um eine Überversorgung in Form unsinniger Therapien? Janssens: Nein, so ist das nicht zu verstehen. Es gibt in vielen Bereichen neue Verfahren, die sinnvoll zum Nutzen der Patienten eingesetzt werden können. Man muss nur im Einzelfall immer wieder prüfen, was deren Einsatz an patientengewollter Lebensqualität und Lebenszeit bringt. So wird in den Leitlinien zur Implantation Interview „Wir haben verlernt, über das Lebensende zu sprechen“ Medizinische Überversorgung in der letzten Lebensphase ist ein Thema, zu dem Professor Dr. Uwe Janssens, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin und Internistische Intensivmedizin am St.-Antonius-Hospital Eschweiler, mehrfach öffentlich Stellung bezogen hat. Er spricht sich dafür aus, bei der Indikationsstellung sehr viel mehr darauf zu achten, welchen konkreten Nutzen eine intensivmedizinische Intervention für die Patientin oder den Patienten hat. Foto: privat

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