Rheinisches Ärzteblatt 02/2025

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 25 Interview werden, um dann nach ausführlicher Beratung und Erfassung des Patientenwillens das weitere Vorgehen festzulegen. Auf dieser Grundlage wird dann ein Therapiebegrenzungsbogen angelegt, der in unserer elektronischen Patientenakte hinterlegt wird und jederzeit einsehbar ist. Wenn dies umgesetzt ist, fangen wir nicht erst im Notfall mit der Diskussion darüber an, was alles gemacht wird. Grundsätzlich gilt: Je früher und je intensiver man das Gespräch mit den Patienten oder Angehörigen sucht und diese durch die schwere Erkrankung führt, je früher man auf diesem Weg herausfindet, warum eine bestimmte Therapie gewünscht wird, die nicht mehr sinnvoll ist, je mehr Raum und Zeit man den Betroffenen gibt, desto weniger gerät man dann später in eine nicht lösbar scheinende Situation. : Wie lassen sich denn solche vorbereitenden Gespräche in einem an Fallpauschalen gebundenen Vergütungssystem abbilden? Janssens: Mit der DIVI haben wir mehrere Anläufe gemacht, um einen OPS-Code für eine Angehörigenbesprechung zu etablieren. Aber das wurde vom Bundesgesundheitsministerium und vom GKVSpitzenverband nicht gewollt. Es war nicht gewollt und gewünscht, die sehr aufwendigen Gespräche unter Beteiligung aller Berufsgruppen mit den Angehörigen und/ oder Patienten zu vergüten. Es ist doch sinnvoll, im Zuge einer intensiven Kommunikation den Patientenwillen auszuloten und dann im Fall berechtigter Zweifel einen zeitlich begrenzten Therapieversuch festzulegen. Führt dieser nicht zum gewünschten Ergebnis, muss man sich gegebenenfalls mit dem Patienten oder den Angehörigen über ein Therapiezieländerung verständigen. Das alles macht sehr viel Arbeit, die ich allerdings gerne mache und die sehr erfüllend ist, und ist auf jeden Fall besser als der unreflektierte Einsatz aller lebenserhaltenden Prozeduren. : Reicht denn eine Patientenverfügung – sofern es sie gibt – nicht aus für die Therapieentscheidung im Krankenhaus? Janssens: In aller Regel passt die Patientenverfügung nicht genau auf die konkrete Behandlungssituation. Sie muss dann entsprechend weiterentwickelt und auf die aktuelle Situation – so denn möglich – angepasst werden. Aber das Vorliegen einer Patientenverfügung ist schon sehr hilfreich; sie ist schon einmal eine Grundlage für den Austausch mit den Patienten oder ihren Angehörigen. Wenn man so eine vorausschauende Behandlungsplanung auch in den Pflegeheimen flächendeckend umsetzen würde, könnte man beispielsweise Schwerstpflegepatienten, die mit einer Lungenentzündung noch zur intensivmedizinischen Behandlung ins Krankenhaus gebracht werden, viel Leid ersparen und frühzeitig für eine „best supportive care“ vor Ort im Pflegeheim sorgen. Hier in der Region kenne ich allerdings kein Pflegeheim, in dem konsequent ein „advanced care planning“ umgesetzt wird. : Und was passiert, wenn ein Patient oder dessen Angehörige gegen die ärztliche Überzeugung den Einsatz aller zur Verfügung stehenden lebenserhaltenden Interventionen einfordern? Janssens: Das ist natürlich eine sehr schwierige Situation. Da geht es um das Einfordern einer nicht angemessenen Therapie. Das passiert gelegentlich; in der Regel sind das verzweifelte Angehörige, sei es mit Verlustängsten oder mit der Angst, eine Entscheidung treffen zu müssen. Wir versuchen natürlich auch dann, eine gemeinsame Entscheidung herbeizuführen. Das sind komplexe Prozesse, die Zeit benötigen und denen man sich stellen muss. Über einen Zeitraum von fast 20 Jahren hat es bei uns nur einen Fall gegeben, in dem wir keine gemeinsame Entscheidung finden konnten. Dieser Patient wurde dann in eine andere Klinik verlegt und dort mit ähnlichem Verlauf weiterbehandelt. : Es gibt ja auch den Vorwurf, dass aufwendige Interventionen am Lebensende durchgeführt werden, weil sie den Krankenhäusern viel Geld bringen. Wie lässt sich mit dem Druck umgehen, der dadurch entsteht, dass bestimmte Prozeduren besonders lukrativ für das Krankenhaus sind? Janssens: Ich bin nie direkt oder indirekt aufgefordert worden, Indikationen breiter zu stellen. Aber wir Ärzte sind natürlich in ein erlösoptimierendes System eingebunden. Dass die Politik in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten die Übernahme von Kliniken durch börsennotierte Unternehmen in großem Umfang zugelassen hat, ist sicherlich neben vielen anderen Problemen eine der Hauptursachen, dass wir in Deutschland im europäischen Vergleich in vielen Bereichen der stationären Medizin eine Überversorgung erleben. Krankenhäuser können und sollen Gewinn erwirtschaften können, der darf aber aus meiner Sicht definitiv nicht zur Gewinnausschüttung für Aktionäre verwendet werden, sondern sollte direkt in die Krankenversorgung zurückfließen. Das war die ursprüngliche Idee eines solidarisch finanzierten Gesundheitssystems. : Gewinnorientiertes Handeln und gute Indikationsqualität würden sich demnach ausschließen? Janssens: In der Tendenz wird es so sein. Es wird dann Medizin mit einem zunehmend ökonomisch beeinflussten Blick gemacht. Diese Prozesse laufen aber implizit ab – keine Ärztin oder Arzt würde diese Entwicklung in der Öffentlichkeit bestätigen. Mittlerweile stehen alle Krankenhäuser unter enormem wirtschaftlichem Druck, und solange das so ist, löst sich auch nicht so einfach das Problem einer indikationsgerechten Versorgung. : Sie kritisieren aber auch, dass in der Gesellschaft insgesamt zu wenig über eine gerechte Verteilung der Ressourcen, die für die Gesundheitsversorgung zur Verfügung stehen, diskutiert wird. Janssens: Beim Thema Versorgungsgerechtigkeit ist unser Gesundheitssystem aus dem Gleichgewicht. Ich halte es für eine große Ungerechtigkeit, dass wir bei der Versorgung pflegebedürftiger alter Menschen eine völlige Unterversorgung haben und auf der anderen Seite ohne Weiteres bereit sind, eine CAR-T-Zell-Therapie bei einem Tumorkranken, die Kosten bis zu 300.000 Euro verursacht, zu bezahlen. Wer das eine macht, darf aber das andere nicht aus den Augen verlieren; denn da entsteht ein Ungleichgewicht. Wenn ich sehe, dass wir bei über 80-Jährigen VA-ECMOs in einer schwierigen Beatmungssituation anlegen und diese Patienten in Deutschland eine 30-Tages-Sterblichkeit von 90 Prozent hatten – und wir wissen nicht, was aus den anderen geworden ist, die die 30 Tage überlebt haben –, ist das eine enorme Investition bei extrem schlechtem Ergebnis. Das kann man machen; man sollte dann aber darüber diskutieren, ob man es nicht in bestimmten Bereichen der Spitzenmedizin etwas übertrieben hat, anstatt eine gerechtere Versorgung in der Breite sicherzustellen. Aber das können Ärzte und Ärztinnen nicht alleine entscheiden. Die gerechte Verteilung der Mittel muss in einer gesamtgesellschaftlichen Debatte diskutiert und festgelegt werden. Das Interview führte Thomas Gerst.

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