Rheinisches Ärzteblatt 02/2025

26 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 eine Korrektur der Schraubenfehllage empfohlen worden, ohne jedoch Hoffnung auf eine Erholung der geschädigten nervalen Strukturen machen zu können. Diese Einschätzung sei im weiteren Verlauf bestätigt worden. Der Patient leide nach wie vor an der Fußheberschwäche rechts und habe starke Schmerzen, sogar noch mehr als vor der Operation. Sachverhalt Laut den Behandlungsunterlagen der belasteten Klinik wurden bei der Erstvorstellung im Oktober 2022 eine schwere sagittale Imbalance bei lumbaler Kyphosierung und eine zervikale Myelopathie bei Spinalkanalstenose diagnostiziert. Anamnestisch bestand seit einem Jahr eine ausgeprägte Gangstörung mit deutlicher Kraftlosigkeit in den Beinen, am ehesten als Zeichen einer Dekompensation. Die kernspintomografische Untersuchung der Lendenwirbelsäule (LWS) von August 2022 zeigte erhebliche multisegmentale degenerative Veränderungen mit neuroforaminalen Stenosierungen, insbesondere bei L4/5 und L5/S1 beidseits, ohne Vorliegen einer zentralen Spinalkanalstenose höheren Ausmaßes. Eine Magnetresonanztomografie (MRT) der Brustwirbelsäule aus dem März des gleichen Jahres ergab einen medianen thorakalen Bandscheibenvorfall T7/8 ohne Zeichen der Myelopathie; ein zusätzliches MRT der Halswirbelsäule zeigte eine relative Stenosierung bei C5/6 und C6/7 im Sinne einer Spinalkanalstenose der Halswirbelsäule. Es wurde eine komplexe multifaktorielle Erkrankung der Wirbelsäule mit im Vordergrund stehender sagittaler Imbalance festgestellt; vorgeschlagen wurde eine operative Versorgung über eine PSO L4 und eine dorsale Instrumentierung L1-S2 mit Ala-Ilium-Schrauben. Der Patient wurde darauf hingewiesen, dass es sich um einen sehr großen Eingriff handele, und es wurde die Einholung einer Zweitmeinung empfohlen. Im März des Folgejahres wurde der Patient in der beklagten Klinik aufgenommen. Drei Tage vor dem Eingriff wurde ein schriftlich dokumentiertes AufklärungsWissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 145 Bei Wirbelsäulenoperationen aufgrund einer sagittalen Imbalance gibt es – neben typischen Komplikationen – auch eine Reihe von Fehlermöglichkeiten. Bei diesen komplexen wirbelsäulenchirurgischen Eingriffen muss aufmerksam auf die Indikationsstellung, die Wahl der anzuwendenden Operationsmethode(n), die präoperative Aufklärung, aber insbesondere auch auf das Komplikationsmanagement geachtet werden. von Andreas Krödel, Burkhard Gehle und Tina Wiesener Eine sagittale Imbalance der Wirbelsäule – als Abweichung von einem normalen, physiologischen Wirbelsäulenprofil – liegt vor, wenn sich die Krümmungen der Wirbelsäule (Lordose der Lenden- und Halswirbelsäule und Kyphose der Brustwirbelsäule) zum Beispiel infolge vorbestehender idiopathischer Skoliose, früherer Rückenoperationen, Traumata oder auch Degeneration beziehungsweise Muskelschwäche so verändern, dass die Wirbelsäule tendenziell nach vornüber kippt. Die aufrechte Körperhaltung beim Stehen und Gehen wird dabei durch unbewusst ablaufende muskuläre Kompensationsmechanismen wiederhergestellt, was eine Asymmetrie der lumbalen Bewegungselemente und zusätzlich eine Retroversion des Beckens nach sich ziehen kann. Die kyphotische Haltung mit Zugbelastung der dorsalen Elemente und Druckbelastung der ventralen Elemente führt zu einer unökonomischen Haltung und schnelleren Ermüdung der Rückenmuskulatur. Neben anderen Faktoren bewirken insbesondere die eintretende Fehlstellung der Nachbarsegmente und die unphysiologische Lastverteilung eine besondere Belastung ligamentärer, vertebragener und myogener Strukturen mit der Folge von Schmerzen und Funktionseinschränkungen bis hin zur Immobilität. Nachlassende Muskelkraft, individuelle Faktoren, aber auch ein höheres Lebensalter begünstigen diese Entwicklung. Die häufigste Indikation zur Operation ist die deutliche Einschränkung der Lebensqualität, maßgeblich verursacht durch chronische Schmerzen. Mit der Operation wird eine Rebalancierung des sagittalen Profils der Wirbelsäule durch Verlängerung der ventralen und Verkürzung der dorsalen Säule unter ausreichender Dekompression der neuralen Strukturen angestrebt. Die Gutachterkommission hatte sich im Fall einer operativen Behandlung einer schweren sagittalen Imbalance insbesondere mit der Bewertung des postoperativen Komplikationsmanagements auseinanderzusetzen. Behandlungsfehlervorwurf Den behandelnden Ärzten einer orthopädischen Klinik wurde von einem 58-jährigen Patienten vorgeworfen, bei der Operation einer ausgeprägten sagittalen Imbalance fehlerhaft vorgegangen zu sein. Der vereinbarte Operationsumfang, insbesondere die Pedikelsubtraktionsosteotomie (PSO), sei nicht durchgeführt worden. Postoperative Beschwerden, insbesondere Klagen über eine Fußheberschwäche rechts bereits ab dem ersten postoperativen Tag, seien unberücksichtigt geblieben. Es sei daraufhin zwar eine Computertomografie (CT) der Wirbelsäule angefertigt worden, der Operateur sei aber zu der unzutreffenden Auffassung gelangt, dass „alles in Ordnung“ sei, die Nerven wahrscheinlich „gereizt“ seien und die eingebrachten Schrauben „nicht an den Nerv stoßen“ würden. Bei der Nachuntersuchung durch den Operateur habe dieser acht Wochen später nochmals bekräftigt, dass die beiden Schrauben im Bereich des 5. Lendenwirbels (L5) nicht ursächlich für die Fußheberparese seien. Erst im Rahmen der hausärztlichen Weiterbehandlung mit Überweisung zur neurologischen und neurochirurgischen Abklärung sei die Fußheberschwäche ursächlich auf eine Schraubenfehllage L5 rechts zurückgeführt und anhand der nach der Operation erstellten Röntgenbilder festgestellt worden, dass noch immer eine sagittale Imbalance bestehe. Es sei Fehlerhaftes Komplikationsmanagement nach Wirbelsäulenoperation bei sagittaler Imbalance

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