Rheinisches Ärzteblatt 02/2025

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 27 werden konnte. Unter Berücksichtigung der pelvinen Parameter hätte eine Korrektur der Lordose von insgesamt etwa 50–60 Grad erreicht werden müssen, um die Wirbelsäule insgesamt zu balancieren. Dies hätte allerdings eine deutliche Erweiterung des Eingriffs und Erhöhung der Belastung des Patienten bedeutet, sodass auf eine ergänzende PSO verzichtet worden sei. Die Abweichung von der im Aufklärungsformular erwähnten PSO und dynamischen Fixation berührt die Frage nach dem Inhalt des Behandlungsvertrags, den ärztlichen Informationspflichten aus § 630c Abs. 2 S. 1 BGB, den Aufklärungspflichten nach § 630e Abs. 1 BGB und der Einwilligung des Patienten in den Eingriff nach § 630d Abs. 1 BGB. Nach den Umständen der vorbereitenden Gespräche hätten die Eintragungen in das Formular aus der verständigen Sicht des Patienten dahin verstanden werden müssen, dass es sich bei den erwähnten Maßnahmen lediglich um Möglichkeiten des operativen Vorgehens handelte, deren sachliche Rechtfertigung sich erst im Zuge des Eingriffs selbst klären ließ, sodass der Verzicht des Chirurgen hierauf weder eine Abweichung vom Behandlungsvertrag noch von den Voraussetzungen der Einwilligung darstellte. Der Gutachter betonte, dass insoweit ein vorwerfbarer Behandlungsfehler nicht vorliege. Auch die intraoperative radiologische Kontrolle der Lage der Pedikelschrauben habe während der Operation keine eindeutige Fehllage der Schrauben gezeigt. Ausweislich des Verlegungsberichts von der Intensivstation bestanden allerdings mit Beginn des ersten postoperativen Tages neurologische Symptome im Bereich der unteren Extremität, zunächst als starke Schmerzen in der rechten Wade, später als eine Fuß- und Großzehenheberparese rechts, sodass die Indikation zur CT-Untersuchung zutreffend gestellt wurde. Hierbei wurde eine Fehllage der Pedikelschrauben L5 beidseits mit Tangierung des Rezessus und damit des Nervenwurzelkanals festgestellt. Dieser Befund sei, so der Sachverständige, von den behandelnden Ärzten jedoch nicht als Auslöser für die bestehende neurologische Symptomatik interpretiert worden, da der Reserveraum für die Nervenwurzel gegenüber dem präoperativen Befund in der Bildgebung erweitert gewesen sei. Stattdessen sei der neurologische Rückenschmerzen festgestellt. Zur Verbesserung der Situation wurde eine Umpositionierung der Pedikelschrauben L5 und L4 sowie eine PSO L4 vorgeschlagen. Bei einer ergänzend hierzu eingeholten neurochirurgischen Einschätzung vom gleichen Tag wurde die Fußheberschwäche rechts auf die Pedikelschraubenfehllage L5 zurückgeführt und ebenfalls eine erneute Operation mit Schraubenkorrektur und Osteotomie der Wirbelsäule zur sagittalen Balancierung empfohlen. In der schließlich konsultierten orthopädischen Universitätsklinik wurde gleichlautend zu den vorangegangenen Einschätzungen eine Dekompression der Nervenwurzel L5 rechts und eine Korrekturosteotomie in Betracht gezogen, allerdings erst nach Scheitern einer vorangestellten konservativen Therapie. Zur Linderung der Schmerzen wurde eine Thermokoagulation des Iliosakralgelenks beidseits empfohlen. Elektromyografisch bestand knapp vier Monate nach der Operation eine floride Denervierung der Wurzel L5 rechts und Mm. tibialis anterior und posterior rechts. Begutachtung Der Sachverständige stellte fest, dass zum Zeitpunkt der ersten Vorstellung des Antragstellers in der orthopädischen Klinik klinisch und radiologisch eine eindeutige sagittale Dekompensation der Wirbelsäule aufgrund eines multisegmentalen Bandscheibenschadens, vorwiegend in der LWS, bestanden habe. Unter anderem hätten die Störungen des sagittalen Profils der Wirbelsäule zu einer Verschiebung des Körperschwerpunkts nach ventral und somit zu einer Erhöhung der Sturzgefahr geführt, sodass es dem fachärztlichen Standard entsprochen habe, dem Patienten eine komplexe Korrekturoperation vorzuschlagen. Sowohl die Indikationsstellung als auch die Vorbereitung der dann nach umfassender Aufklärung drei Tage später durchgeführten Korrekturoperation hätten fachärztlichem Standard entsprochen. Gemäß Operationsbericht wurden nach dem Freilegen des Operationsbereichs die geplanten Pedikelschrauben in Freihandtechnik appliziert und intraoperativ kontrolliert. Zur Korrektur der Deformität und Dekompression der spinalen Stenosierungen seien mehrsegmentale Smith-PetersenOsteotomien mit ventraler Abstützung in vier Segmenten erfolgt, sodass eine Gesamtkorrektur von etwa 40 Grad erreicht gespräch mithilfe des Aufklärungsbogens „Stabilisierende Operationen bei Verschleiß/Fehlstellung (Lendenwirbelsäule, Übergang Brust-Lendenwirbelsäule)“ (Thieme Compliance) geführt. Dieser beschreibt die geplanten Operationsschritte sowie die Risiken, Komplikationsmöglichkeiten und Erfolgsaussichten und beinhaltet unter „weitere Maßnahmen“ die Einträge „PSO“ und „dynamische Fixation“. Gemäß Operationsbericht über den drei Tage später erfolgten Eingriff wurden eine komplexe „Re-Lordosierungsspondylodese T10-S1 mit spinopelviner Verbindung“ und eine „TLIF L2-S1“ (Transforaminale Lumbar Interbody Fusion) zur Versteifung der Wirbelsäule, jedoch keine PSO und auch keine dynamische Fixation durchgeführt. Am Abend nach der Operation beklagte der Patient zunächst eine Armhebeschwäche links und am Folgetag ein neu aufgetretenes Taubheitsgefühl im Bereich der rechten Finger D1 bis D3, aber vor allem eine Fuß- und Großzehenheberschwäche rechts, die Anlass für eine CT am ersten postoperativen Tag war. Dabei zeigte sich bei L5 eine Tangierung des Recessus beidseits durch den Schraubenverlauf, der Reserveraum für die intraforaminalen Wurzeln wurde allerdings als ausreichend beurteilt und der Schraubenverlauf im späteren Entlassungsbrief als „ohne klinische Relevanz“ bewertet. Die beklagte Fußheberparese rechts mit einem dokumentierten Kraftgrad II/V und die Großzehenheberschwäche rechts, Kraftgrad I/V, wurden vom Operateur auf die durchgeführte Lordosierung der LWS bei gleichzeitig vorhandener zervikaler Myelopathie zurückgeführt und als Neuropraxie gewertet. Bei einer Kontrolluntersuchung zwei Monate nach der Operation wurde vom Operateur ein zeitgerechter Heilungsverlauf attestiert, für die Fußhebeschwäche allerdings keine Besserung festgestellt. Im Arztbrief wurde auf die Aussage des Patienten verwiesen, er komme mit der Fußheberschwäche gut zurecht. Der Patient bestritt, diese Aussage gemacht zu haben. Er stellte sich in einer anderen orthopädischen Klinik zur Einholung einer Zweitmeinung vor. Dort wurde eine Schraubenfehllage L5 rechts, mit Fußheberschwäche rechts und positivem Trendelenburgzeichen rechts, bei weiterhin bestehender sagittaler Fehlstellung und vorliegenden tiefen lumbalen Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 145

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