Rheinisches Ärzteblatt / Heft 2 / 2025 37 und unkeusches Leben galt. Zwar wird der Name der Geschlechtskrankheit mit keinem Wort erwähnt, allerdings setzte Ibsen klare Schlüsselsignale, die in der damaligen Zeit eindeutig erkannt werden konnten. Als kranker Mann hat sich Osvald, gespielt vom ältesten der Gruppe, Jörg Ratjen, zur Eröffnung des Kinderheims von Paris nach Norwegen begeben. Sofort beginnt er, mit der Haushaltshilfe und Gesellschaftsdame der Hausherrin, der jungen Regine Engstrand zu flirten. Kristin Steffen spielt beeindruckend die selbstbewusste Frau, die fleißig französisch gelernt hatte, in der Hoffnung, der Enge der norwegischen Provinz zum Beispiel mithilfe von Osvald entfliehen zu können. Aber auch diesen Traum lässt Helene Alving zerplatzen. Denn Regine ist die leibliche Tochter des Hauptmanns, der die Hausangestellte Johanne schwängerte und von Helene dabei erwischt wurde. Um den Skandal zu vertuschen, wurde damals Aufnahmen ausgeht. Die Hochzeit ist lange her, und der Gatte ist nun schon seit zehn Jahren tot. Zu dessen Gedenken und Ehre soll am nächsten Tag ein neues Kinderheim feierlich eingeweiht werden. Helene hat aus den ererbten Mitteln das Haus errichten lassen und der Allgemeinheit gestiftet. Der enge Freund und Seelsorger der Familie Alving, Pastor Manders, gespielt von Benjamin Höppner, drängt die Witwe, das Haus nicht zu versichern, als Zeichen dafür, dass das Kinderheim unter Gottes Schutz stehe. Prompt geht das Heim für verwaiste Kinder noch vor der Eröffnung unter mysteriösen Umständen in Flammen auf. Dies scheint allerdings niemanden im Hause Alving groß zu verwundern und wird eher beiläufig zur Kenntnis genommen. Das Kölner Schauspiel zeigt „Gespenster“ von Henrik Ibsen auf einer minimalistisch gestalteten Bühne. von Jürgen Brenn Streng blickt Henrik Ibsen von seinem Sockel vor dem Nationaltheater im norwegischen Bergen auf die Ankömmlinge herab. Markant sind sein zugeknöpfter Mantel und der typische, buschige Backenbart, der dem norwegischen Dramatiker ein beinahe herrisches Aussehen verleiht. Ibsen lebte von 1828 bis 1906 unter anderem auch in Italien und Deutschland. Er gilt neben William Shakespeare als der weltweit am häufigsten aufgeführte Dramatiker und als Begründer des Modernismus im Theater. Von 1851 bis 1857 war er Hausdichter und künstlerischer Leiter am Norske Theater, dem heutigen Nationaltheater in Bergen, vor dem er nun Wache steht. Das 1881 in München entstandene Familiendrama „Gespenster“, das derzeit im Kölner Schauspielhaus zu sehen ist, heißt im Original „Gengangere“, was so viel wie „Die Widergänger“ bedeutet. Es ist eines der düstersten Stücke Ibsens und macht vor gesellschaftlichen und moralischen Abgründen nicht halt. Das Stück löste vor allem in den skandinavischen Ländern einen Sturm der Entrüstung aus. In Norwegen unterlag „Gespenster“ jahrelang der Zensur. Thomas Jonigk zeichnet als Regisseur für die Kölner Inszenierung verantwortlich. Die fünf Schauspielerinnen und Schauspieler agieren in einem beinahe leeren Bühnenraum, der von einer Art Trauerflor umgeben ist. Eine schwarze Bankreihe dient als Sitzgelegenheit oder Versteck, in das die Figuren schlüpfen. Ein Diaprojektor, einige Stühle und Tische sind das spärliche Interieur des Bühnenbildes von Lisa Däßler, die das Landgut der Familie Alving symbolisieren. Die generelle Stimmung ist wie das norwegische Wetter: düster, grau und regnerisch. Versonnen sitzt die Witwe Helene Alving, gespielt von Anja Laïs, auf dem Boden und schaut sich Dias ihrer Hochzeit mit dem Hauptmann Alving an. So richtig glücklich wirkt das Brautpaar auf den Bildern nicht. Auch der in braun gehaltene Stil der 1980erJahre drückt auf die Stimmung, die von den Kulturspiegel Es spukt an der Schanzenstraße Alles ist mit allem verwoben im Hause Alving. Von links nach rechts: Jörg Ratjen als Osvald Alving, Benjamin Höppner als Pastor Manders, Kristin Steffen als Regine Engstrand, Marek Harloff als Tischler Engstrand und Anja Laïs als Helene Alving Foto: Thomas Aurin So wie das Haus in sich zusammenbricht, sorgt die Witwe Alving nach und nach dafür, dass der reine Name ihres Gatten demontiert wird. Ihre Enthüllungen reichen weit in die Vergangenheit zurück und haben großen Einfluss auf die Gegenwart. Schon kurz nach der Heirat entpuppte sich ihr Ehemann als untreuer und gewalttätiger Wüstling, vor dem Helene nach einem Jahr Eheleben davonlief. Sie suchte damals Hilfe bei Pastor Manders, der sie allerdings zurückwies und sie an ihre ehelichen Pflichten erinnerte. Das Martyrium ging also weiter. Ihren Sohn Osvald schickte sie so bald wie möglich nach Frankreich, wo er als Maler zeitweise erfolgreich war. Sie hoffte, auf diese Weise den Sohn vom schlechten Einfluss des Vaters fernhalten zu können. Allerdings trug Osvald bereits die Syphilis in sich, die damals als vererbbar und als Symbol für ein lasterhaftes Johanne mit dem Tischler Engstrand verheiratet. Marek Harloff spielt den Stiefvater mit linkischer Bauernschlauheit. Er ahnte, dass Regine nicht seine eigene Tochter ist. Für Gewissheit sorgt mit Blick auf die zwei turtelnden Halbgeschwister wiederum Helene Alving. Wütend und enttäuscht, dass sie nicht nach Paris kommt, macht Regine Engstrand ihrem Ärger zweisprachig Luft. Kristin Steffen beeindruckt in dieser Szene mit ihrem schauspielerischen Können, das wie ein Sturm aus ihr hervorbricht. Nachdem alle Schatten aus der Vergangenheit ans Licht der Gegenwart gezerrt wurden, bleiben Helene und Osvald zurück. Die Zukunft beginnt mit einem Sonnenstrahl, der das trübe Wetter mit Helligkeit vertreibt. Informationen unter www.schauspiel.koeln und Tel.: 0221 2212-8400.
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