Rheinisches Ärzteblatt 03/2025

18 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2025 Spezial entwurfs. Mit dem Bruch der Ampel-Koalition im November 2024 fand das Gesetzgebungsverfahren ein abruptes Ende. Ein Trost für die niedergelassenen Vertragsärzte in Nordrhein mag da immerhin sein, dass es hier seit dem vergangenen Jahr eine Prüfvereinbarung zwischen Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenkassen gibt, nach der Prüfanträge bei Sprechstundenbedarf erst ab einem Wert von 150 Euro je Betriebsstättennummer und Quartal zulässig sind. Wie sehr sich Ärzte insbesondere durch Einzelfallprüfungen zu Verordnungen und Praxisbedarf im Bagatellbereich belastet fühlen, zeigt die im Jahr 2023 erschienene Studie „Auswirkungen der Regressgefahr auf die Tätigkeit von Hausärzt*innen und Orthopäd*innen – Bundesweite Befragung“ (in: Gesundheitswesen 2023; 85: 111–8). Rund die Hälfte der befragten Hausärzte und Orthopäden gab an, dass sie das Thema Regressgefahr im Praxisalltag stark bis sehr stark beschäftige. Viele der Befragten berichteten über eigene Regresserfahrungen mit Krankenkassen, zumeist Einzelfallregresse, die im Vergleich zu Richtgrößenverfahren, von denen nur noch wenige Ärzte betroffen sind, mit deutlich geringeren Rückforderungen einhergingen, aber gleichwohl als emotional belastend empfunden wurden. Während die Prüfung verordneter Leistungen bei den Krankenkassen in aller Regel automatisiert erfolgt, ist für niedergelassene Ärztinnen und Ärzte die Überprüfung des Sachverhalts und gegebenenfalls ein Widerspruch gegen den Regressbescheid mit einem Aufwand verbunden, der in Relation zu der infrage stehenden Forderung unangemessen erscheint. Hierzu ein Beispiel aus einer Hausarztpraxis am Niederrhein: Einem Patienten wird Testosteron verordnet, weil er das Hormon tumorbedingt nicht mehr selbst produzieren kann. Der Arzt wird für die bereits zwei Jahre zurückliegende Verordnung wegen nicht erfolgter Kodierung in Regress genommen. Nach erläuternder Mitteilung an die Krankenkasse wird der Regress zurückgenommen. Der Arzt glaubt den Vorgang damit erle- digt; aber für das darauffolgende Quartal wird auf dieselbe Verordnung erneut mit einem Regress reagiert, obwohl der Krankenkasse der Sachverhalt bekannt sein müsste. Frustration im ohnehin bürokratisch überlasteten Arbeitsalltag ist die Folge. Frustrierend ist auch, wenn die Vorgaben zur eigentlich sinnvollen Digitalisierung von Prozessen in der Arztpraxis für zusätzlichen Aufwand sorgen, wie etwa bei der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU). Hier ist der niedergelassene Arzt zur Ausstellung der eAU verpflichtet, muss gleichwohl Patienten auf Wunsch aber einen Ausdruck der AU zur Verfügung stellen. Ärgerlich ist auch, wenn gerade öffentliche Einrichtungen, wie zum Beispiel Polizei oder Arbeitsagentur, noch nicht in der Lage sind, auf die eAU zuzugreifen. Ohnehin scheint Digitalisierung in der Arztpraxis kein Selbstläufer in Sachen Arbeitserleichterung zu sein. Oft nehmen mit deren Einsatz die Anforderungen an die Dokumentationsprozesse zu, komplexe Systeme erfordern einen größeren Aufwand. Laut Zi-Umfrage von 2024 geht mittlerweile nur noch jeder zweite niedergelassene Arzt davon aus, die Praxis bis zum altersbedingten Ruhestand fortzuführen. „Bürokratische Auflagen, Kostenanstiege und IT-Chaos treiben immer mehr Praxisführende aus der vertragsärztlichen Versorgung“ – so bringt das Zi seine Bewertung der Umfrageergebnisse auf den Punkt. Bei allen Klagen über Bürokratie, die immer schon zum Standardrepertoire davon Betroffener gehörten, sollte man allerdings nicht vergessen, dass Bürokratie im modernen Rechtsstaat grundsätzlich eine wichtige Funktion erfüllt und insbesondere für die einheitliche Befolgung vorgeschriebener Verfahren sorgt. Als überbordend wird Bürokratie aber dann bezeichnet, wenn bei Vorgaben und Tätigkeiten der Arbeitsaufwand in einem sehr ungünstigen Verhältnis zu Notwendigkeit und Nutzen steht. Dringender Handlungsbedarf Wenn Krankenhausärzte laut einer Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts im Jahr 2024 zu rund einem Drittel ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Aufgaben befasst sind und nicht für die ärztliche Kerntätigkeit zur Verfügung stehen, scheint hier das vorrangige Ziel einer guten medizinischen Versorgung, dem sich die Bürokratie unterzuordnen hat, verloren gegangen zu sein. Die Dokumentation habe sich über viele Jahre von einer notwendigen Nebentätigkeit zu einer extremen Last entwickelt, urteilte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Dr. rer. pol. Gerald Gaß, angesichts der Umfrageergebnisse. Das Problem von medizinisch und pflegerisch viel zu oft nicht notwendiger Schreibarbeit sei völlig außer Kontrolle geraten. Dass hier dringend etwas passieren muss, scheint mittlerweile allgemeiner Konsens zu sein, und deshalb mangelt es aktuell nicht an Einzelvorschlägen zum Bürokratieabbau in Krankenhäusern und Praxen. Zuletzt trat noch im November 2024 die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung mit ihren Empfehlungen zum Abbau überbordender Bürokratie auf den Plan. Und die FDP-Bundestagsfraktion suchte kurz vor Jahresende mit einer 74 Einzelposten umfassenden Vorschlagsliste bei ihrer Klientel zu punkten. Um die bereits vorliegenden Einzelvorschläge zu prüfen und gegebenenfalls umzusetzen, schlug der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, zum Jahresbeginn 2025 eine Bürokratie-Taskforce von Politik und Selbstverwaltung vor. Sehr viel radikaler will der BKK-Dachverband das Bürokratieproblem bei der medizinischen Versorgung angehen. Das Sozialgesetzbuch müsse vollständig neu geschrieben werden, fordert er in einer aktuellen Stellungnahme. Das bestehende Sozialgesetzbuch habe sich zu einem bürokratischen Monstrum entwickelt, das das Gesundheitswesen über das gesunde Maß hinaus reguliert – zum Beispiel mit einem anachronistischen, kafkaesken ärztlichen Vergütungsrecht, das kaum noch jemand verstehe –, ohne die Qualität der Versorgung der Patientinnen und Patienten spürbar zu verbessern.

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