Rheinisches Ärzteblatt 03/2025

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2025 23 Rund 2.800 Anfragen von Gerichten und Staatsanwaltschaften erreichen die Ärztekammern Nordrhein und WestfalenLippe jährlich mit der Aufforderung, geeignete ärztliche Sachverständige zu benennen. Deren Expertise wird dringend benötigt, um medizinische Beweisfragen zu klären. Das Problem: Es stehen immer weniger Gutachter zur Verfügung. von Marc Strohm Für Dr. Harald Scheele ist der Beruf des Gutachters eine Berufung: Bereits während seiner Weiterbildung in einer berufsgenossenschaftlichen Klinik gehörte die Begutachtung zu seinem Arbeitsalltag, nach seiner Weiterbildung spezialisierte sich der Facharzt für Chirurgie und Unfallchirurgie sowie Verkehrsmedizin als Gesellschaftsarzt auf eine gutachtliche Tätigkeit. Der 64-Jährige ist einer von aktuell 438 Ärztinnen und Ärzten, die im Sachverständigenregister der Ärztekammer Nordrhein eingetragen sind. Auf das Register greift die Kammer unter anderem regelmäßig zurück, wenn Gerichte bei Prozessen auf ärztlichen Sachverstand insbesondere aus dem niedergelassenen Bereich angewiesen sind. Doch dort mangelt es inzwischen an geeigneten Experten. So hat eine Analyse der Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe ergeben, dass es insbesondere an Gutachtern aus den Reihen niedergelassener Fachärztinnen und Fachärzte fehlt – und zwar aus allen Fachrichtungen (siehe Kasten). Scheele stuft das ärztliche Gutachten im Gerichtsprozess als neutrale und qualifizierte Bewertung eines Sachverhalts ein, die es dem Gericht ermöglicht, ein gerechtes Urteil fällen zu können. Bei der Entscheidung darüber, ob man als Sachverständiger ein Gutachten annehmen könne, sei es aber auch wichtig, die eigenen fachlichen Grenzen zu kennen. „Als Chirurg und Verkehrsmediziner kann ich nur die physischen Ursachen von Beschwerden beurteilen, aber nicht, ob den Beschwerden der untersuchten Person psychische Ursachen zugrunde liegen“, erklärt Scheele. Bei möglichen Überschneidungen mit anderen Fachgebieten veranlasse er deshalb in der Regel weitere Untersuchungen durch andere Experten und Expertinnen und fertige gemeinsame interdisziplinäre Gutachten an. Zu Scheeles Tätigkeitsspektrum gehört auch die Prüfung von Ansprüchen auf eine Erwerbsminderungsrente oder auf Entschädigung beispielsweise nach einem Unfall. In solchen Fällen untersuche er, ob der Unfall ursächlich für vorliegende Beschwerden des Antragstellers ist. „In der Regel stütze ich mich bei der Prüfung auf die gerichtlichen Akten. Aber ich führe auch selbst Untersuchungen durch — etwa bei Arzthaftungsprozessen, wenn es darum geht, zu klären, ob beispielsweise tatsächlich eine falsch platzierte Schraube nach einer Operation Schmerzen verursacht“, sagt Scheele im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. Wie sich die Gutachtertätigkeit mit der Tätigkeit als niedergelassener Arzt vereinen lässt, weiß Dr. Robert Hansten. Der 65-Jährige war bis Anfang des Jahres mit eigener Praxis in Erkrath niedergelassen. Gutachter für die Gerichte ist er seit mehr als zwei Jahrzehnten. Als Psychiater liegt sein Schwerpunkt auf dem Betreuungsrecht und der Testierfähigkeit. Er komme unter anderem zum Einsatz, wenn Zweifel am freien Willen eines Vertragspartners auftreten, erklärt Hansten. Häufig geschehe dies im Rahmen von Erbstreitigkeiten, wenn eine benachteiligte Partei beim Verstorbenen zum Zeitpunkt der Testamentserstellung beispielsweise eine demenzielle Erkrankung vermute und in der Folge das Testament anfechte. Seine gutachterliche Bewertung erstellt er in der Regel nach Aktenlage. Dabei kann die medizinische Dokumentation durchaus bis zu 500 Seiten stark sein. Für ein ausführliches Gutachten braucht Hansten sieben bis acht Stunden. Als er noch in eigener Praxis tätig war, fiel seine Gutachtertätigkeit deshalb häufig auf die Zeit nach Feierabend oder das Wochenende. „Das ist schon sehr zeitintensiv, wird aber auch angemessen vergütet“, sagt der Psychiater (siehe Kasten). Manchmal muss er sein Gutachten auch selbst vor Gericht verteidigen. Dort gelte es dann, dem Richter ein plausibles und argumentativ schlüssiges Bild über den Zustand des Patienten darzulegen. „Dabei sollte man nicht allzu konfliktscheu sein und professionelle Distanz walten lassen, wenn etwa die Anwälte der Gegenpartei deutliche Kritik am Gutachten üben“, rät Hansten. Praxis Ärztliche Expertise dringend gesucht Haben Sie Interesse an der anspruchsvollen und abwechslungsreichen Tätigkeit als ärztliche Gutachterin oder Gutachter? Möchten Sie in das Sachverständigenregister der Ärztekammer Nordrhein aufgenommen werden? Dann schreiben Sie eine E-Mail an sachverstaendige@aekno.de. Mit Ihrem Engagement leisten Sie einen wertvollen Beitrag, dem zunehmenden Mangel an ärztlichen Gutachtern entgegenzuwirken. Die Ärztekammer Nordrhein sucht Sachverständige insbesondere aus den Reihen der niedergelassenen Fachärzte, der frühen Ruheständler und der Fachärztinnen und Fachärzte in Elternzeit. Gesucht werden Ärzte aller Fachrichtungen, insbesondere Allgemein- und Augenärzte, Psychiater, Urologen sowie Orthopäden und Unfallchirurgen. Gerichtliche Sachverständigengutachten werden gemäß Justizvergütungs- und Entschädigungsgesetz honoriert. Das Honorar bemisst sich nach der Schwierigkeit der Begutachtung und liegt zwischen 80 und 120 Euro pro Stunde. Informationen zu den notwendigen Qualifikationen als Gutachter finden sich unter www.aekno.de/patienten/aerztlichegutachter. Informationen zur curricularen Fortbildung „Medizinische Begutachtung“ finden sich unter www.akademie-nordrhein.de/ medizinische-begutachtung Welche Grundlagen zur Erstellung eines tragfähigen ärztlichen Gutachtens notwendig sind, ist unter anderem Thema der Online-Veranstaltung „Expertinnen und Experten gesucht: Ärztliche Sachverständige für Gericht“, die am 8. April von 18 Uhr bis 20:15 Uhr stattfindet. Das Programm sowie die Anmeldung unter www.aekno. de/veranstaltung-sachverstaendige Interesse an einer Tätigkeit als Gutachter?

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