24 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2025 Die Assistenz beim Suizid ist in Deutschland erlaubt. Einzige Voraussetzung: Die Entscheidung, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, muss freiverantwortlich getroffen werden. Doch wer definiert nach welchen Kriterien, ob das der Fall ist? Und welche Rolle sollten Ärztinnen und Ärzte dabei übernehmen? Darüber diskutierten Expertinnen und Experten Ende Januar in der Veranstaltungsreihe „Update Ethik“ der Ärztekammer Nordrhein. von Heike Korzilius Etwa 1.000 Menschen haben sich im vergangenen Jahr in Deutschland mithilfe einer Sterbehilfeorganisation das Leben genommen. Tendenz steigend. So vermeldete beispielsweise die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben 623 assistierte Suizide gegenüber 418 im Jahr 2023 und 229 im Jahr 2022. Die Vereine können seit 2020 hierzulande wieder legal tätig sein. Damals kippte das Bundesverfassungsgericht das 2015 eingeführte Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, das unter anderem auf die Sterbehilfe- Vereine zielte, und bekräftigte das Recht eines jeden auf ein selbstbestimmtes Sterben. Das schließt nach Auffassung der Karlsruher Richter die Freiheit ein, sich das Leben zu nehmen und dabei auf die freiwillige Hilfe Dritter zurückzugreifen – und zwar unabhängig von Alter oder Krankheit. Einzige Voraussetzung: Die Entscheidung, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen, muss freiverantwortlich getroffen werden. Das Bundesverfassungsgericht habe für die Freiverantwortlichkeit vier Kriterien zugrunde gelegt, erklärte Professor Dr. Dominik Groß, Leiter des Instituts für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen beim Online-Kammersymposium Update Ethik der Ärztekammer Nordrhein am 29. Januar. Danach müssen die Suizidenten in der Lage sein, den eigenen Willen frei und unbeeinflusst von einer akuten psychischen Störung zu bilden und nach dieser Einsicht zu handeln. Sie müssen über sämtliche Informationen – insbesondere über Alternativen zum Suizid – verfügen, um das Für und Wider ihrer Entscheidung abwägen zu können. Die Betroffenen dürfen zudem keinen unzulässigen Einflussnahmen oder Druck ausgesetzt sein. Schließlich kann von einem freien Willen nur dann ausgegangen werden, wenn der Entschluss, das eigene Leben zu beenden, von einer gewissen Dauerhaftigkeit und inneren Festigkeit getragen ist. Ärztliche Expertise erwünscht Vor diesem Hintergrund gebe es gute Gründe, Ärztinnen und Ärzte in die Suizidassistenz einzubeziehen, erklärte Groß. Sie verfügten über die fachliche Expertise, die freie Willensbildung zu beurteilen, über Alternativen zum Suizid, wie zum Beispiel die Möglichkeiten der palliativen oder psychotherapeutischen Versorgung, aufzuklären oder auch Medikamente zur Ausübung des Suizids zu verordnen. Das könne außerhalb des Medizinsystems kaum geleistet werden. Der Medizinethiker betonte zugleich, dass niemand zur Suizidassistenz gezwungen werden dürfe. Das sei neben der Freiverantwortlichkeit eine weitere Leitplanke, die das Bundesverfassungsgericht eingezogen habe. Auch Ärztinnen und Ärzte seien bei der Entscheidung für oder gegen eine Beihilfe zur Selbsttötung einzig ihrem Gewissen verpflichtet. Auf die Bedeutung der medizinisch-fachlichen Kompetenz bei der Beurteilung der Freiverantwortlichkeit verwies auch die Vorsitzende des Nationalen Suizidpräventionsprogramms, Professor Dr. Barbara Schneider. So müssten jeweils im Einzelfall die Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Suizidwilligen festgestellt sowie eine geistige Behinderung oder eine psychische Störung, die die Urteilsfähigkeit einschränke, ausgeschlossen werden. Die Psychiaterin verwies darauf, dass eine psychische Erkrankung nicht per se freiverantwortliches Handeln ausschließe. Gestört sei die Einsichts- und Urteilsfähigkeit jedoch in der Regel bei Debilität und Demenz (Nichterkennen von Tatsachen), Wahn (falsche Beziehungssetzungen), Depression (gedankliche Einengungen) und zum Teil auch bei Abhängigkeitserkrankungen. „Was genau ,Freiverantwortlichkeit‘ in der Entscheidung zum Suizid bedeutet und inwieweit Menschen sich im suizidalen Prozess frei, autonom, unabhängig, wohlüberlegt entscheiden können, ist bisher nicht wissenschaftlich geklärt“, bilanzierte Schneider. Sie plädierte deshalb für einen Ausbau der Suizidprävention, damit die Betroffenen die Hilfe finden könnten, die sie benötigten. Soll der Staat vor diesem Hintergrund Verfahrensregeln für Suizid und Suizidassistenz in einem eigenen Gesetz aufstellen, oder es Forum Suizidhilfe: Gesetzliche Regelung steht weiterhin aus Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020 veröffentlichte die Bundesärztekammer „Hinweise zum ärztlichen Umgang mit Suizidalität und Todeswünschen“. Sie beschreibt dort unter anderem, was Ärztinnen und Ärzten im Rahmen der Suizidbeihilfe erlaubt ist, aber auch was verboten bleibt, nämlich die Tötung auf Verlangen. Ebenfalls in Reaktion auf das Urteil hob der 124. Deutsche Ärztetag das berufsrechtiche Verbot des ärztlich assistierten Suizids auf. Er stellte zugleich klar, dass die Mitwirkung von Ärzten bei der Selbsttötung keine ärztliche Aufgabe ist. Im Mai 2024 hat die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin eine Handlungsempfehlung zum Umgang mit dem Wunsch nach Suizidassistenz in hausärztlichen Praxen veröffentlicht. Gemeinsam mit weiteren medizinischen Fachgesellschaften hat die Akademie für Ethik in der Medizin bei der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften (AWMF) eine Leitlinie angemeldet, die Ärzte und andere Gesundheitsberufe im Umgang mit Anfragen nach Assistenz bei der Selbsttötung unterstützen soll. Veröffentlicht wird sie voraussichtlich im November 2025. Eine S3-Leitlinie zum Umgang mit Suizidalität, die in erster Linie auf die Suizidprävention zielt, haben mehrere psychiatrische Fachgesellschaften bei der AWMF angemeldet. Sie soll im Januar 2026 erscheinen. Zum Umgang mit Suizidwünschen
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