Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2025 25 Forum nie alle Einzelfragen beantworten oder alle Graubereiche auflösen können. „Letztlich wird die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit immer eine Einzelfallentscheidung bleiben, die die handelnden Personen zu verantworten haben“, betonte Frister. Er mahnte zugleich an, die gesellschaftlichen Ursachen anzugehen, die zu Suizidgedanken führten. Dazu gehörten beispielsweise neben einem Ausbau der Palliativmedizin auch Strategien gegen Einsamkeit. „Wir müssen ein Angebot schaffen, damit Menschen das Leben dem Tod vorziehen“, forderte er. Neuer Anlauf nach der Wahl? Das vorzeitige Aus der Ampel-Koalition hat dazu geführt, dass geplante gesetzliche Regelungen zur Suizidassistenz und zur Suizidprävention erst einmal auf Eis liegen. Ein bereits vom Kabinett gebilligtes Gesetz zur Suizidprävention schaffte es nicht mehr über die parlamentarischen Hürden. Auch die Arbeit an einem neuen parteiübergreifenden Gesetzentwurf zur Suizidbeihilfe konnte nicht mehr abgeschlossen werden, nachdem im Sommer 2023 bereits zwei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe zur Neuregelung der Sterbehilfe im Parlament gescheitert waren. Eine Gruppe von Abgeordneten um Lars Castellucci (SPD) beabsichtigte damals, die Arbeit von Sterbehilfe-Vereinen grundsätzlich wieder unter Strafe zu stellen, aber Ausnahmen vorzusehen, um dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu genügen. Eine Gruppe um Katrin HellingPlahr (FDP) vertrat einen liberaleren Ansatz, stellte klar, dass Hilfe zur Selbsttötung straffrei und erlaubt ist und wollte sichere Zugangsmöglichkeiten zu tödlichen Medikamenten schaffen. Beide Gesetzentwürfe sahen zudem unterschiedliche Beratungspflichten und -fristen für die Sterbewilligen unter anderem durch Ärzte vor. Den Abgeordneten des Deutschen Bundestags sei es nach wie vor ein Anliegen, zu einer gesetzlichen Regelung zu kommen, sagte Helling-Plahr jetzt beim Kammersymposium. „Wir haben uns auf eine Zusammenführung unserer Gesetzentwürfe verständigt, und ich hoffe, dass wir das in der nächsten Wahlperiode umsetzen können.“ Castellucci sprach sich erneut dafür aus, die Aktivitäten von Sterbehilfevereinen zu stoppen. „Es darf kein Geschäft mit dem Tod, keine Normalisierung dieser Art zu sterben geben,“ forderte er. Zugleich gelte es, Menschen einen Weg zu eröffnen, ihren Sterbewunsch zu realisieren. juristischen Fakultät der Universität Düsseldorf, Professor Dr. iur. Helmut Frister, ein. Allerdings sei die Kategorie der Freiverantwortlichkeit für die Bewertung von Suizid und Suizidbeteiligung im Strafrecht schon vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2020 allgemein anerkannt gewesen. Das Strafrecht bewerte seit jeher die Unterstützung eines nicht freiverantwortlichen Suizids als eine Fremdtötung, die als fahrlässige Tötung, als Totschlag oder sogar als Mord strafbar sein könne. „An dieser strafrechtlichen Bewertung würde auch eine mögliche gesetzliche Regelung der Suizidassistenz nichts ändern“, betonte Frister. Kein Abhaken von Checklisten Der Jurist sprach sich beim Kammersymposium für eine gesetzliche Regelung bestimmter Aspekte der Suizidassistenz aus, darunter die Abgabemodalitäten für todbringende Medikamente. Zugleich warnte er vor dem „Abhaken von Checklisten“. Zwar legten die hohen Anforderungen, die man an die Freiverantwortlichkeit einer Suizidentscheidung stelle, zunächst ein stark formalisiertes, Fehler so weit wie möglich ausschließendes Verfahren nahe, sagte Frister. Doch kosteten solche Verfahren Zeit, die man beim assistierten Suizid nicht habe. Zudem laufe man Gefahr, eine ganzheitliche Betrachtung der individuellen Umstände aus den Augen zu verlieren. Eine gesetzliche Regelung werde beim Status quo belassen? Das Bundesverfassungsgericht hatte dem Gesetzgeber Spielräume zum Schutz vor Missbrauch gelassen. Doch die Meinungen darüber gehen auseinander. Sterbehilfevereine wie die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben oder Dignitas sehen keinen weiteren Handlungsbedarf. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sei die Sache klar. Medizinethiker Groß sprach sich dagegen beim Kammersymposium für eine gesetzliche Regelung aus, die es den Menschen ermögliche, den eigenen Suizidwunsch umzusetzen, und die zugleich Rechtssicherheit für Ärztinnen und Ärzte schaffe, die Patienten im Einzelfall beim Suizid unterstützen wollten. Für ein Gesetz scheinen auch die Fälle von zwei Ärzten zu sprechen, die zurzeit dem Bundesgerichtshof zur Revision vorliegen. Die Ärzte hatten jeweils schwer psychisch kranken Patienten beim Suizid assistiert und waren beide wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt worden. Die Gerichte waren in beiden Fällen zu der Ansicht gelangt, dass die Suizidenten aufgrund ihrer psychischen Erkrankung die Entscheidung, ihrem Leben ein Ende zu setzen, nicht mehr freiverantwortlich treffen konnten. „Aktuell schreibt das Gesetz kein Verfahren für die Beurteilung der Freiverantwortlichkeit vor“, räumte der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats und Direktor des Instituts für Rechtsfragen der Medizin an der Assistierter Suizid: Braucht es eine gesetzliche Regelung? Sterbehilfevereine meinen Nein. Der Deutsche Bundestag will in der nächsten Legislaturperiode aber offenbar einen neuen Anlauf nehmen. Foto: Pitchayanan Kongkaew/istockphoto.com
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