Rheinisches Ärzteblatt 03/2025

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2025 29 Eleminierung noch weit entfernt Anlässlich des Internationalen Tages der Nulltoleranz gegenüber der Genitalverstümmelung bei Frauen und Mädchen am 6. Februar kamen Expertinnen und Experten aus Medizin, darunter Agata Romanski-Ordas und Dr. Christoph Zerm, und Politik im Düsseldorfer Haus der Ärzteschaft zu einer Fortbildung des Instituts für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein (IQN) zusammen. Josefine Paul, Ministerin für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW, betonte dabei die Wichtigkeit der Aufklärungsarbeit: „Wir sind von den Plänen der Vereinten Nationen, weibliche Genitalverstümmelung bis 2030 weltweit zu eliminieren, leider noch sehr weit entfernt. Davor dürfen wir auch hier in Nordrhein-Westfalen nicht die Augen verschließen. Für betroffene Frauen und Mädchen muss es Beratung und Unterstützung geben.“ Die Beschneidung dürfe dabei nicht isoliert betrachtet werden, da sie in der Regel nur einen Aspekt der Gesamtbiografie darstelle, sagte die Ministerin. Ein kultursensibler Umgang sei hier besonders wichtig. Es benötige Vertrauen, Geduld und Empathie, damit Betroffene die erlernten Traditionen schrittweise hinterfragen. „Für die Aufklärungs- und Präventionsarbeit ist die Zusammenarbeit mit den Communities und die Sensibilisierung der Fachkräfte ein enorm wichtiger Baustein.“ chologischen Aspekte der Traumatisierungen der betroffenen Frauen und Mädchen zu erfassen. „Solange dies nicht oder nicht angemessen berücksichtigt wird, neben weiteren Aspekten, wird es bei einer unangemessen hohen Ablehungsquote bleiben, die dem Leid und der Bedrohung der Frauen nicht gerecht wird“, so Zerm im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. Ein solides Grundwissen für den Umgang mit FGM/C-Patientinnen, so der Gynäkologe, sei unumgänglich und sollte Teil der Weiterbildung sein. „Um dieses Wissen im Medizinstudium und der Weiterbildung zu implementieren, erarbeitet die AG FIDE derzeit Lehrmodule.“ ohne Überweisung. Dorthin kommen auch Patientinnen, die nicht krankenversichert sind. FGM/C ist in vielen Fällen asylwirksam, und auch das untersucht RomanskiOrdas bei den Frauen und Mädchen, die sich vorstellen. „Im Laufe eines Asylverfahrens fordert das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ein ärztliches Gutachten. Als schwere Menschenrechtsverletzung ist FGM/C eine Form geschlechtsspezifischer Verfolgung und somit unter anderem ein Grund für Flüchtlingsanerkennung nach dem Deutschen Asylrecht von 2006.“ Dies gelte insbesondere für Mädchen und junge Frauen, die vor einer drohenden Genitalbeschneidung fliehen. Aber auch bereits betroffene Frauen könnten FGM/C unter Umständen als Asylgrund geltend machen, wenn ihnen nach einer Entbindung eine erneute Beschneidung oder nach der Rekonstruktion des Genitals soziale Ächtung und unter Umständen auch eine erneute Beschneidung drohe. Dr. Christoph Zerm, Facharzt für Gynäkologie und Geburtshilfe, schreibt solche Gutachten in seiner ehrenamtlichen Tätigkeit bereits seit 2005. „Zwar haben wir die internationalen Konventionen, die besagen, dass Frauen, die geschlechtsspezifisch verfolgt werden, Asylrecht haben, in der Praxis sieht es aber leider oft anders aus“, so der FGM-Beauftragte des Vorstands des Vereins AG FIDE e.V. (Frauengesundheit in der Entwicklungszusammenarbeit). Laut Zerm beziehen sich die Gutachten, die das BAMF für den Asylantrag wünscht, lediglich auf die verschiedenen FGM/C-Typen (siehe Kasten unten), ohne dabei die psyForum a) Bei unverletztem Genital: → Es reicht aus, dass beschrieben wird, dass die Genitalien unverletzt sind. b) Bei Verletzung des Genitals: → Welcher Typ von FGM/C nach WHO (Typ 1–4) liegt vor? Welche Verletzungen sind zu erkennen? → gesundheitliche Folgen der FGM/C → Welcher Behandlungsbedarf besteht gegebenenfalls? → Welche Folgen hätte eine Nichtbehandlung? → Körperliches Empfinden sollte zusätzlich dokumentiert werden. Oftmals haben betroffene Personen massive Schmerzen beim Wasserlassen, während der Periode oder beim Geschlechtsverkehr. → gegebenenfalls Risiko, Schwangerschaft, Reiseunfähigkeit aus medizinischen Gründen Quelle: Flüchtlingsrat Niedersachsen e.V. Was muss in dem medizinischen Attest oder Gutachten für das BAMF stehen? Mit dem Aufmacherfoto aus dem Kurzfilm #TheOtherVulva von Sarah Fürstenberg zur Aktion „Gemeinsam gegen Genitalverstümmelung“ gewann die Hilfsorganisation Plan International Deutschland e.V. 2021 den ersten Preis für das beste PR-Bild. Foto: Sarah Fürstenberg für Plan International

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