Mein Beruf Rheinisches Ärzteblatt / Heft 3 / 2025 51 Melissa Zobel, Transplantationsbeauftragte Ärztin „Wir brauchen in Deutschland eine Kultur der Organspende“ Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind. : Frau Zobel, was hat Sie dazu bewegt, Transplantationsbeauftragte Ärztin zu werden? Zobel: Schon während meiner Zeit als Assistenzärztin hatte ich erste Berührungspunkte mit dem Thema Organspende. Im zweiten Jahr meiner anästhesiologischen Weiterbildung lag auf unserer Station ein Patient, der als Organspender infrage kam. Ich wollte damals unbedingt bei der Organentnahme dabei sein und bin eigens dafür mitten in der Nacht in die Klinik gekommen, obwohl ich keinen Dienst hatte. Was mich damals besonders beeindruckt hat, war die respektvolle Atmosphäre im OP-Saal. Noch heute bekomme ich Gänsehaut, wenn ich an den Moment zurückdenke, als der Herzchirurg feststellte, dass das Herz des Spenders für eine Transplantation geeignet war. In diesem Augenblick habe ich an den Organempfänger gedacht, der durch die Spende die Möglichkeit erhielt weiterzuleben. : Wie erleben Sie die Gespräche mit den Angehörigen, die oft unter Schock und Trauer stehen? Zobel: Ich führe die Gespräche immer in einem ruhigen, respektvollen Rahmen und ohne vorgefasste Erwartungen, damit die Angehörigen eine Lösung finden können, die für sie selbst und den Verstorbenen stimmig ist. Manchmal erlebe ich, dass die Angehörigen nach dem Tod des Patienten hin- und hergerissen sind. Ein Fall ist mir besonders in Erinnerung geblieben. Damals sagte die Ehefrau eines Verstorbenen zu mir, dass eine Organtransplantation dem Tod ihres Mannes einen höheren Sinn verleihen würde. : Wie bereiten Sie sich auf solch sensible Gespräche vor? Zobel: Als Transplantationsbeauftragte Ärztin bin ich in der Kommunikation mit Trauernden geschult und habe gelernt, wie man einen angemessenen Gesprächsrahmen schafft. Das war für mich zu Beginn schon etwas herausfordernd, denn ich habe im Studium nie wirklich etwas über Patientenwaren anfangs zuversichtlich, dass die junge Frau überleben würde, doch leider mussten wir feststellen, dass sie nicht mehr selbstständig atmete und ihre Schutzreflexe ausgesetzt hatten. In diesem Moment habe ich Kontakt zu den Angehörigen aufgenommen, um zu klären, ob eine Organspende in Frage käme. Zum Glück hatte die Patientin zu Lebzeiten einer Organspende zugestimmt, sodass ich sofort mit der Hirntoddiagnostik beginnen konnte. Da wir nur alle paar Jahre einmal den Hirntod diagnostizieren, war ich sehr dankbar dafür, dass mir meine lokale Kontaktperson der DSO im gesamten Prozess beratend zur Seite stand. Letztendlich konnten wir Herz, Nieren und die Leber explantieren. Foto: GFO Kliniken Niederrhein Melissa Zobel (41) studierte Medizin in Düsseldorf und absolvierte ihre Weiterbildung zur Anästhesistin in Moers und Oberhausen. Seit 2014 arbeitet die gebürtige Niederrheinerin in den GFO Kliniken Niederrhein am Standort St. Vinzenz Hospital in Dinslaken, seit 2021 ist sie dort Transplantationsbeauftragte. kommunikation gelernt. Ich bin überzeugt, dass diese Fähigkeit allen Ärzten im Berufsalltag eine wertvolle Unterstützung sein kann. Zusätzlich kann ich für das Patientengespräch auch auf Informationsmaterial der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) zurückgreifen. : Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? Zobel: Meine erste selbstständig begleitete Organentnahme bewegt mich noch immer. Damals habe ich den gesamten Prozess von Anfang bis Ende begleitet. Als Notärztin hatte ich eine Patientin nach einem Einsatz in die Klinik gebracht und dort reanimiert. Wir Nahezu jeder würde ein Spenderorgan annehmen, aber nur wenige sind bereit, zu spenden. : Was läuft nicht gut bei der Organspende? Zobel: Ich empfinde die Rahmenbedingungen oft als unbefriedigend. Unser Krankenhaus hat zum Beispiel mit großem administrativem Aufwand eine Schnittstelle zum Organspenderegister geschaffen. Doch seitdem das Register im letzten Jahr nach langer Verzögerung an den Start ging, hatte ich hier nicht einen potenziellen Spender. Dazu kommt, dass eine Steigerung der Organspendezahlen trotz aller Bemühungen nach wie vor nicht in Sicht ist. : Was muss Ihrer Meinung nach getan werden, um die Zahl der Organspenden zu erhöhen? Zobel: Wir brauchen in Deutschland eine „Kultur der Organspende“. So gut wie jeder würde ein Spenderorgan annehmen, aber nur wenige sind bereit zu spenden. Ich denke, die Widerspruchslösung könnte dazu beitragen, dass sich mehr Menschen intensiv mit dem Thema auseinandersetzen. Gleichzeitig muss das Thema Organspende weiter offen in der Gesellschaft diskutiert und Ängste abgebaut werden. Ein sinnvoller Schritt wäre zum Beispiel, das Thema im Biologieunterricht der weiterführenden Schule zu behandeln. Allerdings scheitern nicht alle Organtransplantationen an den Entscheidungen der Patienten oder ihrer Angehörigen. Oft verhindern auch die Todesursache oder die zugrundeliegenden Vorerkrankungen eine Organspende. Das Interview führte Marc Strohm
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