Thema 16 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 4 / 2023 Kritikpunkte am Notfallversorgungskonzept der Regierungskommission Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein unterstützt die Regierungskommission für die Krankenhausreform in ihrem Anliegen, die Notfallversorgung der einzelnen Sektoren im Gesundheitswesen besser aufeinander abzustimmen und, soweit möglich, integrierte Strukturen zu schaffen. Insbesondere die Etablierung eines einheitlich genutzten, sektorübergreifenden Ersteinschätzungssystems wird unterstützt. Allerdings werden von der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein wichtige Aspekte der Stellungnahme der Regierungskommission kritisiert: Für die Ausgestaltung des vertragsärztlichen Notdienstes darf keineswegs das Ziel aus dem Auge verloren werden, die Stabilisierung der gesundheitlichen Situation der Patientinnen und Patienten bis zu den nächsten vertragsärztlichen Sprechstundenzeiten zu erreichen. Der vertragsärztliche Not- und Bereitschaftsdienst ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kein Surrogat einer regelmäßigen vertragsärztlichen Behandlung. Angebote einer KV-Notdienstpraxis zu Öffnungszeiten der vertragsärztlichen Praxen stehen diesem Grundsatz entgegen und würden zu einer unvertretbaren Mehrbelastung der Ärzteschaft und der nicht ärztlichen Mitarbeitenden führen, was eine weitere Abwanderung aus der Patientenversorgung absehbar werden lässt. Der in der Stellungnahme anerkannte Personalmangel in den Notaufnahmen/ Bereitschaftspraxen/INZ von Kliniken und KV muss gerade zu einer ressourcenschonenden Beschränkung der Anzahl, der Öffnungszeiten und der erforderlichen Personalausstattung der INZ und KINZ und der telemedizinischen Angebote auf ein entsprechend dem Wirtschaftlichkeitsgebot nach SGB V genanntes Maß führen. Telemedizinische Angebote dürfen nur nach einer wissenschaftlichen Prüfung der Umsetzbarkeit und Risikoabwägung und stufenweise eingeführt werden. Dabei sind Videosprechstunden nur dann sinnvoll, wenn sie sowohl gegenüber telefonischen Kontakten einen Mehrwert bieten als auch dadurch bei vielen Patienten eine persönliche Untersuchung vermieden werden kann. Dies wird z.B. für die Fachgebiete HNO-, Augen- und Frauenheilkunde nicht gesehen. Ebenso wird ein telemedizinisches allgemein- und kinderärztliches Angebot in integrierten Leitstellen insbesondere zu regulären Praxisöffnungszeiten abgelehnt. Die haus- und kinderärztlichen Praxen kennen die von ihnen betreuten Patientinnen und Patienten und können sie besser und ressourcensparsamer versorgen. Außerdem würden dadurch Ärztinnen und Ärzte und nicht ärztliche Mitarbeitende für die Versorgung in den Praxen fehlen mit entsprechenden Lücken in der Regelversorgung. Die gleichzeitige bundesweite Einführung einheitlicher Strukturen in der Notfallversorgung wird als kritisch angesehen. Die Auswirkungen vieler Maßnahmen sind nicht absehbar und mit deren deutlichen Interaktionen keinesfalls evident wissenschaftlich kalkulierbar. Sinnvoller ist es, auf bewährten Strukturen in den Regionen aufzubauen, einzelne Maßnahmen in ausgesuchten Regionen umzusetzen und aus den Erfahrungen der Umsetzung zu lernen. Dadurch könnten aktuelle Änderungen in der Notdienstversorgung wie zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen, wo gerade eine umfassende Reform der KV-Notfallversorgung kurz vor dem Abschluss steht, auch gewürdigt werden und die Erfahrungen in die langfristige Entwicklung eingebracht werden. Für die Einführung von Facharztbezeichnungen und die Definition der Weiterbildungsinhalte und -zeiten sind die Ärztekammern zuständig. Die Vorgabe zur Einführung einer neuen Facharztqualifikation z.B. „Notfallmedizin“ durch die Politik und den Gesetzgeber wird ebenso wie die Forderung nach Zusatzqualifikationen durch die KVen abgelehnt. Das bestehende Angebot der ärztlichen Weiter- und Fortbildungen im Bereich der Notfallversorgung wurde unter Berücksichtigung der aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnis und der medizinischen Erfordernisse in der Ärzteschaft konsentiert und als ausreichend differenziert angesehen. Reform der Notfallversorgung (Regierungskommission) Die Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein stellt fest, dass die Regierungskommission für die Krankenhausreform die tieferen Ursachen für die Fehlinanspruchnahme des Rettungsdienstes und der Krankenhausambulanzen durch ambulant zu versorgende Patienten nicht in den Blick genommen hat, sondern an Symptomen herumkuriert. Eine spürbare Kostenbeteiligung in sozialverträglicher Ausgestaltung ist der einzig realistische Weg, den Versicherten den Wert der von ihnen beanspruchten Leistungen vor Augen zu führen, in der Höhe gestaffelt nach den Versorgungsstufen. Das würde mittelfristig auch die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung verbessern, denn die mögliche Vermeidung von Kosten ist ein guter Anreiz, sich um Gesundheitskompetenz selbst zu kümmern. Entschließungen der Kammerversammlung vom 11. März 2023 im Wortlaut
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