Rheinisches Ärzteblatt 4/2023

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 4 /2023 45 Armin Petras adaptierte den Film „Aus dem Nichts“ von Fatih Akin für das Theater. Aisha Abo Mostafa inszeniert das beklemmende Stück am Theater Essen. von Jürgen Brenn 9. Juni 2004: In der Keupstraße im Kölner Stadtteil Mülheim explodiert eine mit Nägeln und Sprengstoff gefüllte Gasflasche. 22 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. In der Keupstraße haben sich vor allem türkische Läden und Geschäftsleute niedergelassen. Die Ermittlungen der Polizei zeichnen sich durch Pannen und eine einseitige Ermittlungsrichtung aus. Denn obwohl der Verfassungsschutz auf Parallelen des hiesigen Anschlags mit rechtsextremistisch motivierten Bombenanschlägen in London im Jahr 1999 hinweist, ermitteln die Beamten nicht weiter in diese Richtung. Vielmehr suchen die Behörden den oder die Täter im Banden-, Rotlicht- und Drogenmilieu. Eine fatale Fehleinschätzung, wie sich herausstellen sollte. Erst sieben Jahre später wird der Nagelbombenanschlag von Köln dem Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) zugerechnet. Regisseur Fatih Akin nahm die Ereignisse in der Kölner Keupstraße und die Ermittlungsarbeit der Sicherheitsbehörden als Blaupause für seinem Film „Aus dem Nichts“, der im Jahr 2017 entstand und 2018 bei den Golden Globe Awards den Preis „Bester fremdsprachiger Film“ erhielt. Armin Petras adaptierte das Drehbuch für die Theaterbühne und Aisha Abo Mostafa setzte den Stoff im „Casa“ des Essener Grillo-Theaters ebenso beeindruckend wie bedrückend um. Die Handlung setzt kurz nach dem Attentat ein und spielt in Hamburg. Im Mittelpunkt steht die junge Katja, intensiv gespielt von Silvia Weiskopf, die ihren kurdischstämmigen Mann Nuri und ihren sechsjährigen Sohn bei dem Bombenanschlag verloren hat. Auf einen Schlag ist die lebensfrohe Gattin und Mutter zur kinderlosen Witwe geworden. Mit ihrer Trauer und Verzweiflung bleibt sie weitgehend allein, da weder ihre Eltern noch ihre Schwiegereltern, die in der Türkei leben, der Heirat von Katja und Nuri ihren Segen gegeben hatten. Die Schwiegermutter gibt unverblümt Katja die Schuld am Tod ihres Sohnes. Nuri, ein Kleinkrimineller, betätigte sich als Drogendealer, als er Katja als Konsumentin kennen- und später auch lieben lernte. Sie heirateten, während Nuri im Gefängnis saß. Dort studierte er BWL und schaffte mit Katjas Unterstützung den Sprung aus dem Milieu. Nach seiner Entlassung eröffnete er ein erfolgreiches Übersetzungs- und Steuerbüro. Zu den wenigen Menschen, die Katja zugewandt sind, gehören ihre Freundin Birgit und ihre Anwältin, die beide von Olga Prokot auf der Bühne verkörpert werden. Katja versucht, ihre Trauer und Verzweiflung mit Alkohol, Tabletten und Drogen zu dämpfen. Ein ermittelnder Polizist, gespielt von Sven Seeburg, deutet bei einem Besuch an, dass Nuri kein zufälliges Opfer sein könnte, worauf seine kriminelle Vergangenheit und auch Katjas Drogenmissbrauch hindeuten würden. Opfer und Angehörige werden wegen ihrer Herkunft und Vergangenheit zu potenziellen Tätern abgestempelt und geraten immer mehr ins Fadenkreuz der Fahnder. Den verzweifelten Kampf gegen die Vorurteile des juristischen Apparats macht Silvia Weiskopf mit ihrem intensiven Spiel beinahe körperlich spürbar. Dann taucht ein Verdächtiger aus der rechten Szene auf. Ausgerechnet der Vater des mutmaßlichen Täters gibt den Ermittlungsbehörden den entscheidenden Tipp. Es kommt zum Prozess. Katja schöpft neue Hoffnung, dass ihrem Sohn und Mann doch noch Gerechtigkeit widerfährt. Aber ein gewitzter Anwalt des Angeklagten sowie der auf dem rechten Auge blinde Richter machen auch diese Hoffnung zunichte. Was Katja bleibt, ist, nach dem alttestamentarischen Rechtssatz „Auge um Auge“ zu handeln. Und die Katastrophe nimmt ihren Lauf. Informationen unter Tel.: 0201 8122-200 und unter www.theater-essen.de Kulturspiegel Am Anfang und am Ende steht der Tod Olga Prokot (links) schlüpft in dem Stück „Aus dem Nichts“ in mehrere Rollen. Hier ist sie die Anwältin und Sparringspartnerin von Katja, gespielt von Silvia Weiskopf. Foto: Birgit Hupfeld Im April laufen in Oberhausen die Kurzfilm-Projektoren Die 69. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen finden in diesem Jahr von Mittwoch, 26. April bis Montag, 1. Mai statt. In den bekannten Spielstätten Lichtburg Filmpalast und Kulturzentrum Altenberg heißt es dann wieder von morgens früh bis abends spät: Film ab! In den Sparten International, Deutsch, NRW, Kinder und Jugend werden Preise vergeben, dazu wird ein Wettbewerb für Musik-Videos veranstaltet, unter anderem mit einem Online-Publikumspreis. Traditionell gibt es bei den Kurzfilmtagen in Oberhausen ein separates Sparten-Thema. 2023 lautet es „Against Gravity. The Art of Machinima“. In diesem recht neuen Genre der Filmkunst haben Künstlerinnen und Künstler die „Codes“ von Video-Spielen „geknackt“ und in die virtuelle Gaming-Welt ihre eigene animierte Wirklichkeit „implantiert“. Es werden interessante Beispiele dieser neuen Art, Kino zu interpretieren, auf dem Kurzfilmfestival zu sehen sein. Gesprächsrunden mit Experten, Treffen mit Filmemachern, Retrospektiven anderer Festivals und Preisträger runden das Programm ab. Das Festivalbüro öffnet am 26. April im Bert-Brecht-Haus, Langemarckstr. 19–21, Oberhausen, Tel.: 0208 8253 061, E-Mail: guestoffice@kurzfilmtage.de. Dort gibt es den Festival-Pass. Einzelne Tickets können im Lichtburg-Filmpalast, Elsässer Str. 26, Oberhausen, zu den jeweiligen Vorstellungen erworben werden. Weitere Informationen und das gesamte Programm finden sich unter www.kurzfilmtage.de. rh

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