Rheinisches Ärzteblatt 4/2024

20 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 4 / 2024 Deutschen Bundestag überhäuften sich die Koalitionäre geradezu mit Lob für die ausgezeichnete Zusammenarbeit bei dessen Erarbeitung. Doch die emotionale und in Teilen turbulente Aussprache im Parlament spiegelte auch die gesellschaftliche Zerrissenheit bei dem Thema. Während Ampel und Linke leidenschaftlich für die geplante Legalisierung eintraten, kam aus der Unionsfraktion und der AfD scharfe Kritik. Doch weder der heftige Widerstand aus Teilen der Opposition noch die Warnungen vonseiten der Ärzteschaft, der Polizei und der Justiz vor den Folgen konnten verhindern, dass das „Gesetz zum kontrollierten Umgang mit Cannabis“ nach langer politischer Auseinandersetzung mit großer Mehrheit verabschiedet wurde. Es soll am 1. April in Kraft treten. Da es im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist, ist es aufgrund der Mehrheitsverhältnisse dort äußerst unwahrscheinlich, dass die Länderkammer die Teil-Legalisierung von Cannabis noch verhindern kann. Medienberichten zufolge zeichnet sich unter den Ländern jedoch eine Mehrheit dafür ab, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um die Freigabe der Droge zu verschieben. Ansonsten fehle genügend Zeit für die Umsetzung. Die nächste Sitzung des Bundesrates ist am 22. März, nach Redaktionsschluss dieser Ausgabe. Das Cannabisgesetz erlaubt den Besitz und Konsum der Droge für Erwachsene ab 18 Jahre. Sie dürfen künftig bis zu 25 Gramm Cannabis für den Eigenkonsum mit sich führen und zu Hause bis zu 50 Gramm getrocknetes Cannabis aus dem Anbau von maximal drei Pflanzen bevorraten. Das entspricht – glaubt man den Angaben aus einschlägigen Quellen im Internet – dem Stoff für 100 bis 200 Joints. Ab dem 1. Juli soll auch der gemeinschaftliche, behördlich kontrollierte Anbau von Cannabis in sogenannten Anbauvereinigungen erlaubt werden. Zum Schutz von Kindern und Jugendlichen soll der Cannabis-Konsum in Sichtweite von Schulen, Kindergärten, Sportstätten und Spielplätzen verboten bleiben (zu den Einzelheiten siehe Kasten). Weg von Bestrafung und Tabuisierung Ziel des Gesetzes sei es, den Schwarzmarkt für Cannabis auszutrocknen sowie den Gesundheits- und den Kinder- und Jugendschutz auszubauen, hatte Bundesgesundheitsminister Professor Dr. Karl Lauterbach, der selbst jahrelang zu den Gegnern einer Legalisierung gehörte, im Bundestag betont. Die derzeitige Lage sei nicht befriedigend. Zwischen 2011 und 2021 sei die Zahl der jugendlichen Cannabis-Konsumenten, die besonders gefährdet seien, um 50 Prozent gestiegen. In der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen habe die Zahl der Konsumenten in zehn Jahren um 100 Prozent zugenommen. „Wir haben zunehmend Probleme mit Beimengungen; Cannabisprodukte sind unrein. Wir haben toxische Konzentrationen: THC-Anteile von 30 bis 40 Prozent werden gemessen – mit unmittelbaren Auswirkungen auf die Psyche der Konsumenten“, warnte der Minister. Dazu komme eine steigende Anzahl an Drogendelikten: 180 000 belegte Delikte im ZusammenSpezial hang mit Cannabiskonsum pro Jahr. Angesichts dieser Lage dürfe man den Kopf nicht in den Sand stecken. Suchtforscher wiesen hier den Weg: weg von der Bestrafung, weg von der Tabuisierung. „Es ist der Weg der Wissenschaft, dem wir folgen“, so Lauterbach. Eine Steilvorlage für jeden Dealer Politiker unter anderem aus der Unionsfraktion sahen das anders. „Das ist der größte Blödsinn, den ich je gehört habe“, erklärte der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge im Anschluss an Lauterbachs Ausführungen. Seine Parteikollegin Simone Borchardt warnte vor einer zusätzlichen Belastung für das ohnehin angespannte Gesundheitssystem durch ein „völlig unnötiges, verworrenes Cannabisgesetz“. „Wir haben im Jahr 2.000 Drogentote. Es ist ein Anstieg des Drogenkonsums zu verzeichnen, und die Patientenzahlen, vor allem in der Suchttherapie, steigen ständig an“, sagte Borchardt. Der Kinder- und Jugendschutz, den das Gesetz vorsehe, sei nicht mehr als ein Lippenbekenntnis. Und auch der Anbau von Cannabis zu Hause lasse sich nicht kontrollieren. „Das ist ein Kontrollverlust und eine Steilvorlage für jeden Dealer“, warnte die CDU-Politikerin. In Deutschland ist Cannabis mit rund 4,5 Millionen erwachsenen Nutzern die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Diese Zahlen hatte Dr. Ina Falbrede, Referentin der Abteilung für medizinische Grundsatzfragen der Ärztekammer Nordrhein, Ende vergangenen Jahres bei einer internen Veranstaltung präsentiert. Jeder Zweite aus der Altersgruppe der 18- bis 25-Jährigen habe einer Befragung zufolge bereits einmal Cannabis probiert, jeder Achte konsumiere regelmäßig. Cannabis sei nach Alkohol zudem der häufigste Grund für eine Suchtbehandlung, erklärte Falbrede und bezog sich dabei auf Daten der Deutschen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht. In ambulanten Suchthilfeeinrichtungen sei die Abhängigkeit von Cannabis in 20,1 Prozent der Fälle Hauptdiagnose (Alkohol: 48,5 Prozent), in stationären Einrichtungen liege die Rate bei 9,9 Prozent (Alkohol: 63,7 Prozent). Dabei steige mit zunehmendem THC-Gehalt in Cannabisprodukten der Bedarf an Suchtberatung und Suchttherapie. Vor den gesundheitlichen Folgen einer Cannabisfreigabe insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene warnen Ärzteschaft und Psychologische Psychotherapeuten seit Bekanntwerden der Ampel-Pläne vor drei Jahren. „Der Gesetzgeber nimmt in Kauf, dass durch die Legalisierung eine Droge verharmlost und verbreitet wird, die nachgewiesenermaßen abhängig macht und gerade bei Jugendlichen zu schweren und irreparablen Entwicklungsschäden führt“, kritisierte Rudolf Henke am Rande der Kammerversammlung der ÄkNo am 2. März in Wuppertal. Die Abgeordneten forderten die Politik auf, den Fokus der zukünftigen Drogenpolitik auf eine deutliche Ausweitung evidenzbasierter Präventionsstrategien und die Förderung von Interventionsprogrammen zu legen, die zudem ausreichend finanziert werden müssten. Vor allem Kinder und

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