38 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2023 Bücher Verschwundene Krankheiten Der Urvater aller nordrheinwestfälischen Ärzte, Johannes Weyer (1515 – 1588), beschrieb 1564/65 in seinem Werk über „Seltene Erkrankungen“ eine Seuche am Niederrhein, gekennzeichnet durch Fieber, Kurzatmigkeit, Stechen in der Seite, Bluthusten und Tod meist nach einer Woche. Er hielt diese Krankheit, die entlang des Rheins bis in die Schweiz ausgebrochen war, für eine „pestilenzialische“ Pleuritis, obwohl die Bubonenpest zu der Zeit erloschen war. Der Oberstadtarzt von Zürich hatte wegen des hohen Mortalitätsrisikos der Seuche seinen Kollegen geraten, von Hausbesuchen bei den ohnehin „unmäßigen, unleitsamen Menschen, wie die Einwohner Zürichs sind“ abzusehen, um sich nicht selbst zu gefährden. Mit Verschwinden der Pest nahm auch die Bedeutung dieser Epidemie ab, bis sich im 19. Jahrhundert der Schweizer Arzt Johann Jakob Guggenbühl erneut dafür interessierte. Er sammelte Daten über kleinere Ausbrüche jener historisch bekannten Rippenfellentzündung, beobachtete den letzten Ausbruch von 1837 selbst vor Ort und beschrieb die Symptomatik. Er nannte die bedrohliche Krankheit „Alpenstich“, die nachfolgend tatsächlich unter diesem Namen auch immer wieder in der medizinisch-wissenschaftlichen Literatur auftauchte. Trotz zunehmender Entwicklung der pathologischen Anatomie und Histologie wie der Bakteriologie fanden sich nie spezifische Befunde, sodass 1913 beim 17. International Congress of Medicine in London der „Alpenstich“ als eine Erfindung Guggenbühls bezeichnet wurde und im Orkus der Medizingeschichte verschwand. Die Medizin ist bekanntlich eine Geschichte ihrer Irrtümer, vor allem so lange sie sich vor dem Zeitalter der akademischwissenschaftlichen Medizin auf Spekulation und sogenannte Erfahrung gründete und der Krankheitsmechanismus nicht genauer identifiziert werden konnte. In ihrem medizinhistorischen Streifzug behandelt die Kinderärztin Sophie Seemann zwanzig verschwundene Krankheiten: darunter Erkrankungen, die Dank zunehmender Kenntnis der Ätiopathogenese, effizienter Behand- lung, Impfung oder umfassender Hygienemaßnahmen ihren Schrecken verloren. Beispiele hierfür sind Diphterie, Pocken oder Trichinose. Auch geänderte Arbeitsbedingungen trugen zum Verschwinden von Krankheiten bei wie beispielsweise mercurielle Stomatitis oder Phosphornekrose. Das hitzige Frieselfieber, an dem Wolfgang Amadeus Mozart verstarb, war bakteriologisch nie genauer identifizierbar und wurde, auch weil schwere Choleraausbrüche zunehmende Aufmerksamkeit verlangten, in der Medizin vergessen. Rätselhaft bleibt die Haffkrankheit Ostpreußens zwischen 1924 und 1940, die Günter Grass in der „Blechtrommel“ literarisch aufgegriffen hat. Ätiologisch nie aufgeklärt, ist aber auch diese Erkrankung wieder verschwunden, ebenso wie der „Englische Schweiß“, der in fünf großen Epidemien des 16. Jahrhunderts den Engländern Angst und Schrecken einjagte. Der geschwürig-zerstörende Wangenbrand „Noma“ ist mit zunehmender Verbesserung der Ernährung und der hygienischen Verhältnisse in Europa weitgehend verschwunden. Die Erkrankung wurde allerdings vom Autor dieser Zeilen 1972 in Äthiopien gesehen. Harmloser erscheint da der Cello-Hoden, der 1974 publiziert in die medizinische Literatur Eingang gefunden hatte, bis die Erstautoren 2009 ihn als freie Erfindung bezeichneten. Sophie Seemann war im Rahmen ihrer Dissertation über Rudolf Virchow auf das interessante Thema der verschwundenen Krankheiten gestoßen. Sachkundig, interessant und unterhaltsam geschrieben sowie mit einem Sach- und Personenverzeichnis versehen, wird das Buch unter Medizinern zahlreiche Leser finden. Ein umfangreiches Literaturverzeichnis zu den beschriebenen Krankheiten lädt zu weiterer Beschäftigung mit der Thematik ein. Dr. Johannes Vesper, Facharzt für Innere Medizin, Wuppertal Sophie Seemann: Verschwundene Krankheiten. 2. Auflage 2020, 272 Seiten, 29 Abbildungen, 26,80 Euro, ISBN: 978-3-86599-451-6, Kulturverlag Kadmos, Berlin. Ärztliche Körperschaften im Internet Ärztekammer Nordrhein www.aekno.de Kassenärztliche Vereinigung Nordrhein www.kvno.de Aus Fehlern lernen In der Fachzeitschrift Aktuelle Dermatologie werden in der Rubrik „Fehler und Irrtümer“ anonym Behandlungsfehler dokumentiert, damit andere Ärztinnen und Ärzte diese vermeiden können. Daraus haben die Herausgeber des vorliegenden Buches mehr als 40 Fallbeispiele zusammengefasst. Die Fälle stammen aus den Themenbereichen der konservativen Behandlungsmethoden der Dermatoonkologie, der operativen Dermatologie, der Laserdermatologie und Allergologie sowie der kosmetischen Dermatologie. Die Beiträge beschränken sich nicht allein auf die Fehlerbeschreibungen, sondern liefern Analysen und praxisnahe Empfehlungen zur Fehlerprävention. Neben Hintergründen zu den Fehleinschätzungen, -entscheidungen und -handlungen werden die Konsequenzen für die Patientensicherheit diskutiert, Beurteilungen durch Gutachterkommissionen und Ärztekammern dokumentiert sowie Empfehlungen für ein professionelles Fehlermanagement gegeben. Sogenannte „Take Home Massages“ fassen die Tipps und Ratschläge kompakt zusammen. bre Elsner, P., Meyer, J., Lehmann, P., Bircher, A., J. (Hrsg): Fehler und Irrtümer in der Dermatologie und Allergologie. Patientensicherheit und Qualitätsmanagement. 2022, 260 Seiten, 54 Abbildungen, 129,99 Euro, ISBN 978-3-13-243257-4, Thieme Verlag, Stuttgart, New York.
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=