20 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2025 Spezial den dicken Mauern des Maßregelvollzugs, seit 2017 ist er dort als Chefarzt tätig. Strahls Patienten sind jugendliche Straftäter, die aufgrund einer psychischen Erkrankung von den Gerichten als schuldunfähig befunden wurden. In der Forensik sollen sie sich einer Therapie unterziehen, damit sie später wieder ein Leben in Freiheit führen können. „Die meisten Patienten im Jugendmaßregelvollzug leiden unter Persönlichkeitsstörungen, Intelligenzminderungen, Paraphilien wie Pädophilie sowie Verhaltensstörungen durch psychotrope Substanzen“, sagt Strahl im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. Verurteilt wurden seine Patienten unter anderem aufgrund von Körperverletzungsdelikten, Sexualstraftaten und Mord. Besonders heikel, aber zum Glück auch selten, sei der Umgang mit psychisch kranken Terroristen und Extremisten. In den letzten zehn Jahren habe er etwa 100 Patienten betreut, von denen drei Kontakt zu terroristischen Gruppen hatten. In solchen Fällen arbeite er eng mit der Polizei zusammen, um einschätzen zu können, wie gefährlich diese Patienten sind. Breitgefächerte Therapieangebote Zu den Bewohnern in der Jugendforensik hat Strahl durch seine herzliche und offene Art ein vertrauensvolles Verhältnis. „Herr Dr. Strahl, bester Mann! Ich habe heute mein Zimmer extra für Sie aufgeräumt“, ruft ein Teenager in hellblauer Fleecejacke, als der Psychiater den Gemeinschaftsraum betritt. Drei Jugendliche sitzen dort auf den schwarzbezogenen Sofas und reden miteinander. Insgesamt leben derzeit 24 junge Männer zwischen 14 und 21 Jahren in den Einzel- und Doppelzimmern der forensischen Psychiatrie, verteilt auf zwei Stockwerke. Das Zimmer des Teenagers mit der Fleecejacke besteht aus einem Bett und einer schwarzen Kommode, auf der ein Wecker mit digitaler Ziffernanzeige Platz findet. Blickt man durch das vergitterte Fenster nach draußen, fällt eine rote Tartanbahn mit zwei Basketballkörben ins Auge, die von einem hohen Maschendrahtzaun umgeben ist. Dort treiben die Jugendlichen Sport, insbesondere Mannschaftssport wird gefördert, um den Teamgeist zu wecken. Im Stacheldraht über dem Zaun hängen aufgerissene Lederbälle. Ursprünglich waren zwei der Zimmer in der Jugendforensik als Mädchenzimmer konzipiert, doch der derzeitige Verteilungsschlüssel sieht nicht vor, dass Mädchen hier untergebracht werden, bedauert Strahl. Denn vielen jugendlichen Straftätern würde der Kontakt zu gleichaltrigen Mädchen guttun, ist der Psychiater überzeugt. So erinnert er sich an einen besonders vorlauten Patienten, der sich in eine Mitpatientin verliebte und sie auf einem Grillfest der Forensik ganz schüchtern und verlegen fragte, ob sie sich einen Teller Kartoffelsalat teilen. „In solchen Fällen bekräftigen wir eine gesunde Beziehungsbildung und geben den Jugendlichen Tipps an die Hand, wie sie ihre Gefühle einordnen können.“ Der Maßregelvollzug hat zum Ziel, die Jugendlichen auf ein selbstständiges, straffreies Leben außerhalb der Einrichtung vorzubereiten. „Es geht immer um Resozialisierung“, betont Strahl. Dazu gebe es innerhalb der imposanten Zäune der Forensik ein breitgefächertes Therapieangebot. Neben Gesprächstherapien griffen die Psychologen und Psychiater in der Einrichtung unter anderem auf kreativtherapeutische Optionen zurück. In einem sonnigen Raum mit Staffeleien und Leinwänden findet die Kunsttherapie statt. Hier bringen die Jugendlichen Emotionen zu Papier, für die ihnen die Worte fehlen. Viele entscheiden sich für farbenfrohe Motive. Die Bilder zeigen blühende Obstbäume oder bunte Muster. Die Werke hängen überall in den ansonsten sterilen Fluren der Forensik. Aus dem Nebenzimmer schallt laute Popmusik durch den Korridor, ein junger Mann sitzt mit seiner Therapeutin hinter einer Glastür und arbeitet an einem selbstgeschriebenen Song. „Auch Musik ist für die Patienten ein Mittel, um ihre Gefühle auszudrücken,“ sagt Strahl. Es gebe sogar eine eigene Forensik-Band, die einmal im Jahr auf dem Sommerfest der Viersener LVRKlinik auftrete. Begleitend zu den Therapien erlernten die Jugendlichen auch allgemeine Umgangsformen. Die „Hausregeln“ hängen an der hölzernen Tür des Gemeinschaftsraumes: „Wir hören einander zu. Wir lassen uns aussprechen“, steht unter anderem darauf. Thema in den Therapiesitzungen ist auch, wie man Konflikte ohne Gewaltanwendung lösen kann. Der Tag der Patienten sei straff strukturiert, es werde auf Körperpflege geachtet und es würden alltägliche Herausforderungen geübt, wie der Wocheneinkauf oder das Kaufen einer Busfahrkarte. Ein wesentlicher Teil ihres Alltags ist für die Jugendlichen der Schulunterricht, den zwei Lehrerinnen abhalten. Das Klassenzimmer befindet sich im zweiten Stockwerk des Gebäudes und sieht – bis auf die vergitterten Fenster – aus wie ein gewöhnlicher Klassenraum. Die Stuhlreihen sind U-förmig angeordnet, auf dem Whiteboard stehen in blauer Permanentmarkerschrift die binomischen Formeln. Im Deutschunterricht lesen die Patienten aktuell den Jugendroman „Tschick“, die Figurenkonstellation aus dem Buch klebt als buntes Plakat an der weißen Wand. „In der Forensik werden die Jugendlichen auf die Zentrale Abschlussprüfung am Ende der zehnten Klasse vorbereitet“, betont Strahl, manchen gelinge auch das Abitur. „Einer meiner Patienten war im letzten Jahr sogar einer der Jahrgangsbesten in Nordrhein-Westfalen“, sagt Strahl stolz. Ein Teil des Lehrplans sieht auch Medienkompetenz vor. Dazu erhalten die Schüler in der Unterrichtsstunde Tablets. Die Nutzung des Internets erfolgt dabei unter Aufsicht der Lehrerinnen und mit einer Kindersicherung, denn das Risiko ist groß, dass die Jugendlichen unbeaufsichtigt nach verbotenen Inhalten wie Kinderpornografie suchen würden. Wachsamkeit im Alltag Als Arzt ist Strahl in erster Linie für die Arzneimitteltherapie der Patienten verantwortlich. Insbesondere bei Schizophrenie sei eine begleitende Pharmakotherapie notwendig. Daneben versorge er alle auftretenden Erkrankungen bei den Patienten, darunter beispielsweise Dr. David Strahl ist seit 2017 Chefarzt der Jugendforensik in Viersen. Seinen Patienten begegnet der erfahrene Psychiater mit Offenheit und Humor. Foto: LVR-Klinik Viersen
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=