Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2025 21 Leben in Freiheit eine gute Prognose, nur etwa 20 Prozent der Jugendlichen begingen in Freiheit erneut Straftaten. Im gewöhnlichen Justizvollzug werde mehr als die Hälfte der Delinquenten wieder straffällig. Nicht zuletzt liegt das Strahl zufolge an der engmaschigen Betreuung der Jugendlichen in der Forensik: Insgesamt 25 Angestellte kümmerten sich interprofessionell um die Jugendlichen, darunter Pflegende, psychologische Psychotherapeuten und drei Psychiater, sagt Strahl. Doch der Fachkräftemangel wirke sich auch zunehmend auf die forensische Psychiatrie aus: Pfleger seien immer schwerer zu finden, Ärztinnen und Ärzte mit der Schwerpunktweiterbildung „Forensische Psychiatrie“ seien eine Seltenheit. Gleichzeitig beobachtet Strahl mit Sorge, dass die Zahlen der Patienten steigen. Im Jahr 2012 startete die Jugendforensik mit zwölf Plätzen. Innerhalb von 13 Jahren habe sich die Zahl der Patienten auf 24 verdoppelt, aktuell herrsche Überbelegung. Eine größere Einrichtung mit zehn weiteren Plätzen sei daher bereits im Bau. Für die steigenden Zahlen macht Strahl unter anderem die Folgen der Coronapandemie verantwortlich, die auch zu einem Anstieg psychischer Erkrankungen führte. Zudem würden viele Jugendliche durch die sozialen Medien zunehmend mit brutalen Gewaltdarstellungen konfrontiert, die zu einer stärkeren Verrohung beitrügen. Oft fehlten auch geeignete Versorgungsstrukturen für psychisch auffällige Jugendliche, die Tiere quälten, „zündelten“, Amokläufe androhten oder Klassenkameraden mit Messern bedrohten. „Viele Patienten weisen bereits ein beachtliches Vorstrafenregister auf, bevor sie als letzte Möglichkeit in der Forensik untergebracht werden“, erklärt Strahl. Eltern, Schulen und Jugendämter zeigten sich häufig ratlos im Umgang mit solchen „Systemsprengern“ und die Anbindung an entsprechende Hilfseinrichtungen funktioniere oftmals nicht richtig. Um psychisch auffällige Jugendliche aufzufangen, bevor es zu einer Unterbringung in der Forensik kommt, bietet der engagierte Psychiater eine „jugendforensische Präventionsambulanz“ an. In seiner Sprechstunde erstellt er unter anderem Risikoeinschätzungen für delinquente Patienten und gibt notwendige Interventionsmöglichkeiten an die Hand, um die Gefährlichkeit zu reduzieren und Straftaten zu verhindern. „Mit Blick auf die steigenden Zahlen im Bereich der Jugendkriminalität bin ich froh, Maßnahmen anbieten zu können,“ sagt Strahl. Die Jugendforensik könne delinquenten Jugendlichen eine neue Lebensperspektive schaffen, doch besser sei es, diese Jugendlichen aufzufangen, bevor sie in die Forensik kommen. grippale Infekte oder Bauchschmerzen. Stoße er an seine Grenzen, überweise er die Patienten zu anderen Fachärzten, die auf dem weitläufigen Gelände der LVR-Klinik arbeiteten. Auf diesen Stationen würden die Jugendlichen dann unter besonderen Sicherheitsvorkehrungen behandelt. Zwar verlaufe der Alltag in der Jugendforensik zumeist harmonisch, doch im Umgang mit seinen Patienten sei er stets wachsam, so Strahl. Von vielen Patienten gehe große Gefahr aus, nicht wenige Jugendliche bastelten provisorische Waffen, zum Beispiel aus den Klingen eines Anspitzers. Mehrmals sei er bereits in gefährliche Situationen geraten, die er jedoch deeskalieren konnte. Um in solchen Situationen angemessen reagieren zu können, absolviere er regelmäßig Trainings, auch in Kooperation mit der Polizei. Im letzten Schritt helfe nur noch die Isolation des Patienten in einem dafür vorgesehenen Raum mit einer schweren, durch zwei dicke Riegel geschützten Tür. Für diese freiheitsentziehende Maßnahme sei allerdings eine richterliche Anordnung sowie die dauerhafte Überwachung des Patienten durch einen Mitarbeiter notwendig. „Auch nach vielen Arbeitsjahren geht es nicht spurlos an mir vorbei, wenn ein Jugendlicher plötzlich ausrastet und mit Stühlen nach mir wirft“, sagt Strahl. Einen Ausgleich findet der Arzt in seiner Freizeit unter anderem bei der Gartenarbeit auf seiner Streuobstwiese und beim Schmieden. Erschütternde Schicksale Doch es gibt auch Fälle, die den erfahrenen Psychiater auch nach Jahren nicht loslassen, so wie der von Marvin (Name geändert). Er wuchs im Alkohol- und Drogenmilieu auf und wurde seit frühester Kindheit von seiner Mutter misshandelt und sexuell missbraucht. In der Folge entwickelte er einen tiefsitzenden Hass auf Frauen und vergewaltigte seine Opfer später besonders brutal. Aber es gebe auch Fälle, in denen Jugendliche ein gewöhnliches Leben führten, bis sie sich aufgrund einer psychischen Erkrankung immer weiter von ihrem sozialen Umfeld abkapselten und schließlich Körperverletzungen, Sexualstraftaten oder Morde begingen. Insbesondere der Umgang mit Jugendlichen, die nach außen hin höflich und zuvorkommend auftreten, doch für Mord oder sexuelle Übergriffe an Kindern verurteilt wurden, geht dem Psychiater nahe. „Da ist einfach die Diskrepanz so groß“, sagt Strahl. Treffe ihn ein Fall zu sehr, übernehme ein Kollege die Therapie des Patienten. Im Schnitt verbringen die Jugendlichen dreieinhalb Jahre im Maßregelvollzug, bis sie als therapiert entlassen werden können. Machten die Jugendlichen gute Therapiefortschritte, könne ein Gericht sukzessiv Lockerungen anordnen. Dies sehe unter anderem den Umzug in eine weniger streng bewachte Einrichtung vor — ohne vergitterte Fenster und hohen Maschendrahtzaun. Im letzten Schritt lebten die Jugendlichen in eigenen Wohnungen oder Heimen, wo sie regelmäßig durch Therapeuten Kontrollbesuche erhielten, die die Fortschritte dokumentierten. Viele der Jugendlichen hätten bei einem Spezial Die LVR-Klinik Viersen bietet für alle interessierten Ärztinnen und Ärzte Hospitationen in der Forensik und Jugendforensik an. Interessierte können sich dazu wenden an: Dr. David Strahl, Tel: +49 (0)2162 96-4801, E-Mail: david.strahl@lvr.de Einblicke in die Forensik
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=