26 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2025 Forum Ärztinnen und Ärzten zu? Wie positioniert sich die Gesellschaft zu dem Thema? Nach Ansicht von Woopen hat sich der gesellschaftliche „Echoraum“ geändert. „Die Auffassungen zum Schwangerschaftsabbruch sind breiter geworden und die Debatten darüber friedlicher“, erklärte die Medizinethikerin. Sie habe es deshalb nicht verstanden, dass der Gesetzgeber die Empfehlungen der Regierungskommission nicht aufgegriffen habe. „Ich würde dem Streit eher gelassen entgegen gehen“, so Woopen. Ab wann gilt die Menschenwürde? Allein zum Status des Embryos gebe es ein „Riesenspektrum an Auffassungen“, erklärte die Medizinethikerin. Am einen Ende der Skala schreibe man bereits der diploiden Zelle nach der Verschmelzung von weiblicher Ei- und männlicher Samenzelle die Menschenwürde zu, wohingegen am anderen Ende der Skala erst die Geburt den Würdeschutz auslöse. „Man kann nicht zwingend begründen, warum eine Zygote über Würde verfügt“, sagte Woopen. Das gehe aus vom jeweils eigenen Menschenbild. „Man muss das aber nicht teilen. Unterschiedliche Menschenbilder sind möglich“, betonte sie. Das Bundesverfassungsgericht sei 1993 davon ausgegangen, dass der Embryo ab dem Zeitpunkt der Nidation über eine eigene Würde verfüge. Das Gericht verfügte damals, dass das grundsätzliche Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs weiterhin bestehen bleiben müsse. Dieses Festhalten an einer strafrechtlichen Verankerung des Schwangerschaftsabbruchs sei inzwischen aber auch unter Verfassungsrechtlern umstritten, erklärte Woopen. Gegen das Recht des Ungeborenen auf Leben gelte es, das Selbstbestimmungsrecht der Frau abzuwägen, das Woopen zufolge mentiert, dass sinnvolle Beratung nur dann stattfinden könne, wenn die Frauen das Angebot freiwillig annehmen. Die Befürworter hielten dem entgegen, dass man mit einer Beratungspflicht auch diejenigen Frauen erreiche, die sich in schwierigen Lebenssituationen oder Gewaltkontexten befänden. Solchen Frauen ermögliche die Pflichtberatung oft erstmals Kontakt zum Hilfesystem. Die Regierungskommission habe sich schließlich in dieser Frage nicht eindeutig positioniert und dem Gesetzgeber einen Gestaltungsspielraum zugebilligt – allerdings mit der Maßgabe, ein flächendeckendes, niedrigschwelliges, barrierearmes und vielsprachiges Beratungsangebot vorzuhalten. Mit Blick auf die Rolle der Ärztinnen und Ärzte beim Schwangerschaftsabbruch betonte Woopen wie zuvor schon Kammerpräsident Dreyer deren Gewissensfreiheit. „Diese muss erhalten bleiben, es sei denn, das akute Überleben der Frau hängt davon ab“, sagte Woopen. Ihrer Ansicht nach könnte die Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs mit dazu beitragen, die Versorgungssicherheit zu verbessern. Es schaffe mehr Rechtssicherheit für die Ärzte und entkräfte das von der derzeitigen Regelung ausgehende Signal: „Das, was du da tust, ist moralisch und rechtlich falsch.“ Die Bemühungen um eine Entkriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs sind für Woopen jedoch nur ein Teil der Lösung. Um Schwangerschaftsabbrüche zu vermeiden, muss nach Ansicht der Medizinethikerin mehr zur Verhinderung ungewollter Schwangerschaften getan werden. Dazu gehöre eine bessere Aufklärung ebenso wie der kostenfreie Zugang zu Verhütungsmitteln. „Das könnte die Situation deutlich entschärfen“, so Woopen. insbesondere im internationalen Recht deutlich an Gewicht gewonnen hat. Aus Sicht der Weltgesundheitsorganisation und des Kommissars für Menschenrechte des Europarats sei es menschenrechtlich geboten, den Schwangerschaftsabbruch vollständig zu entkriminalisieren sowie einen effektiven und legalen Zugang zu einem solchen Eingriff vorzusehen. Mit der Verankerung des Schwangerschaftsabbruchs im Strafrecht spreche der Staat hierzulande ein Werturteil über die Entscheidung der ungewollt Schwangeren aus, das er aber in letzter Konsequenz nicht durchsetzen könne, weil der Embryo im frühen Stadium der Schwangerschaft außerhalb des Mutterleibs nicht über- lebensfähig sei, sagte Woopen. Kontroverse um Beratungspflicht Über die Frage, ob das Recht auf Abtreibung weiterhin mit einer Beratungspflicht verbunden werden sollte, habe es in der Regierungskommission große Kontroversen gegeben. Gegner einer Pflicht hätten arguZurzeit regelt § 218 StGB, dass eine Abtreibung zwar rechtswidrig ist, aber straffrei bleibt, wenn sie innerhalb der ersten zwölf Schwangerschaftswochen und nach einem verpflichtenden Gespräch in einer anerkannten Beratungsstelle stattfindet. Hintergrund ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 1993, das eine reine Fristenlösung verworfen und entschieden hatte, dass das grundsätzliche Verbot eines Schwangerschaftsabbruchs bestehen bleiben müsse, da das Grundgesetz den Staat verpflichte, menschliches Leben zu schützen. Dazu zähle auch das Leben des Ungeborenen. Das Gericht hatte aber eingeräumt, dass eine Abtreibung unter bestimmten Bedingungen straffrei bleiben kann. Das regelt das Gesetz „Es gilt, sowohl das Recht der Frauen auf Leben, Gesundheit und Selbstbestimmung als auch das Lebensrecht des Ungeborenen zu beachten.“ Dr. Lydia Berendes, Vorstandsmitglied der Ärztekammer Nordrhein Foto: Jochen Rolfes
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=