Rheinisches Ärzteblatt / Heft 5 / 2025 27 Forum Das Ende des humanitären Systems? Das Aus der US-Entwicklungshilfebehörde USAID bringt das globale humanitäre System ins Wanken. Millionen Menschenleben stehen auf dem Spiel. Impfkampagnen gegen Krankheiten wie Masern und Diphterie bei Kindern oder Behandlungsprogramme gegen HIV oder Tuberkulose sind ebenso in Gefahr wie die basale Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser für Menschen in Not. Ist das globale humanitäre System noch zu retten? von Jocelyne Naujoks Es wurden 83 Prozent der US-Entwicklungshilfeprogramme beendet, insgesamt 5.200 Programme gestrichen, fast alle Mitarbeiter im In- und Ausland wurden entlassen. Anfang Juli soll die US-amerikanische Entwicklungshilfebehörde USAID laut US-Außenminister Marco Rubio komplett geschlossen werden, verbleibende Programme sollen ins US-Außenministerium eingegliedert werden. Donald Trumps Amtsantritt am 20. Januar dieses Jahres begann wie schon seine erste Amtszeit im Jahr 2017 mit einer Welle an Dekreten, darunter die Zerschlagung von USAID. Mit einem Budget von knapp 43 Milliarden USDollar waren die Vereinigten Staaten von Amerika bis dahin die weltweit größten Geber von Entwicklungsgeldern. „Dieser Schritt ist ein Erdbeben für das gesamte System“, sagt Lara Dovifat. Als Leiterin der politischen Abteilung von Ärzte ohne Grenzen (MSF) Deutschland befürchtet sie, dass der Rückzug eines der größten Geber im humanitären System die gesamten Versorgungsketten destabilisiert. „USAID hat rund 50 Prozent der Tuberkulose-Medikamente in Kenia finanziert. Fallen diese weg, droht ein dramatischer Rückschritt in der Behandlung.“ Im Sudan und dessen Nachbarländern waren schon vor der Auflösung von USAID viele Menschen unterversorgt, berichtet Dovifat. Nun fehlten selbst die grundlegendsten Hilfen. Der Druck auf Akteure wie MSF wachse, die Lücken zu füllen. Doch auch deren Kapazitäten seien begrenzt. Bereits jetzt entstehen laut Dovifat in vielen Einsatzländern akute Engpässe, weil Organisationen Programme einstellen mussten oder Medikamente nicht mehr geliefert werden können. „In Kinshasa etwa fehlen aktuell antiretrovirale Medikamente. Mehr als 2.000 HIV- und Tuberkulose-Patienten sind gefährdet. Das Risiko für Resistenzen und Krankheitsprogression steigt deutlich“, so Dovifat. Millionen Kinder bleiben ungeimpft Besonders gefährdet sind Dovifat zufolge Regionen mit schwacher Gesundheitsinfrastruktur, wie viele Länder in Subsahara-Afrika, aber zum Beispiel auch Haiti. Dort finanzierte die US-Regierung 2024 mehr als 60 Prozent der humanitären Hilfe. Nach dem Rückzug mangele es nun an Wasser, und tödliche Krankheiten wie Cholera drohten. Ärzte ohne Grenzen habe daher seine Wasseraktivitäten auf Haiti ausgeweitet, berichtet Dovifat. In Somalia seien im Jahr 2024 rund 1,7 Millionen Kinder mangelernährt gewesen – jetzt drohe eine Katastrophe. Hier habe MSF nun seine Ernährungshilfe verstärkt. Ebenso hart trifft es Dovifat zufolge die globale Impfallianz Gavi, die zu einem wesentlichen Teil mit US-Geldern finanziert wurde. „Der Wegfall dieser Mittel könnte in den nächsten fünf Jahren dazu führen, dass 75 Millionen Kinder nicht geimpft werden – mit der Folge von mehr als 1,2 Millionen zusätzlichen, vermeidbaren Todesfällen durch Krankheiten wie Masern, Lungenentzündung oder Diphtherie.“ Mehr als die Hälfte der Impfstoffe, die Ärzte ohne Grenzen in seinen Projekten einsetzt, stammen aus nationalen Gesundheitssystemen. Diese beziehen ihre Impfstoffe wiederum über Gavi. Auch wenn MSF sich selbst beinahe ausschließlich über private Spenden finanziere, treffe der Stopp der US-Hilfen so indirekt auch die eigenen Programme, warnt Dovifat. Diese Ansicht teilen auch andere Hilfsorganisationen. Viele Partner von action medeor seien von den Kürzungen Trumps betroffen, sagt Sid Peruvemba, Vorstandssprecher des größten Medikamenten-Hilfswerks Europas aus Tönisvorst am Niederrhein. Peruvemba berichtet, dass bereits jetzt Ernährungsprogramme für Binnenflüchtlinge in Somalia gestoppt und Forschungs- und Behandlungsprogramme gegen HIV, Malaria und Tuberkulose in Tansania ausgesetzt werden. Partner-Krankenhäuser von action medeor hätten teilweise Personal entlassen müssen, das aus USAID-Mitteln finanziert wurde. „Unsere internationalen Partner, die über unsere Tochtergesellschaft labworks günstige Medikamente beziehen, müssen teilweise ihre Bestellungen stornieren. Wir versuchen, das soweit wie möglich aus unseren eigenen Mitteln zu kompensieren. Das ist 1,25 Millionen Menschen sterben jährlich an Tuberkulose. MSF versucht, Tuberkulose rechtzeitig zu identifizieren und zu behandeln wie hier in Tondo auf den Philippinen. Foto: Ria Kristina Torrente
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