Rheinisches Ärzteblatt 06/2025

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 6 / 2025 19 nahmen kontinuierlich neu erfasst. Auf dem vor den Toren das Lagers gelegenen spätantiken Friedhof wurden insbesondere Angehörige des Militärlagers bestattet. Die dort im Jahr 1999 geborgenen Skelette aus römischer Zeit werden nun im Rahmen einer weiteren Dissertation von Alessia Bareggi am BoCAS mit den Methoden der Bioarchäologie untersucht. Wenig überraschend ergaben die Untersuchungen, dass zwar beide Geschlechter und alle Altersstufen vertreten waren, es sich in der Mehrzahl aber um 30- bis 40-jährige Männer handelte, wie es bei einem Militärlager zu erwarten gewesen sei. „Als ein überraschendes Ergebnis der paläopathologischen Untersuchungen zeigte sich, dass die Tuberkulose weit verbreitet war“, erläutert Alice Toso. Im mittelalterlichen Gräberfeld in Vilvenich sei man lediglich auf einen Fall von Rindertuberkulose gestoßen. Die Verbreitung von Tuberkulose sei in der Regel mit städtischen Lebensbedingungen verbunden, das heißt mit dem Zusammenleben vieler Menschen auf engstem Raum. Toso sieht darin eine Bestätigung für die überlieferten römischen Quellen, nach denen es sich in Bonn um ein sehr großes Militärlager gehandelt habe. Die Isotopenanalyse der Zähne der im römischen Gräberfeld im Bonner Norden Bestatteten, die aktuell noch nicht abgeschlossen ist, deute darauf hin, dass diese aus allen Teilen des römischen Imperiums stammten. So gibt die Untersuchung der Zähne auf Strontiumisotope, die während des Zahnwachstums absorbiert werden, Hinweise auf die geografische Herkunft. Diese Untersuchungsmethode liefert allerdings nur verlässliche Ergebnisse, solange Erzeugnisse aus regionaler Produktion konsumiert wurden. Kohlenstoff- und Stickstoffisotope im Zahn- und Knochenmaterial geben Hinweise auf die Art der Ernährung. Bioarchäologen können auf der Grundlage von Veränderungen am Knochen erkennen, dass dort Krankheiten wie Arthrose, Tuberkulose oder Tumorerkrankungen ihre Spuren hinterließen; bei der Einschätzung, wie sich diese Veränderungen auf die Lebensbedingungen auswirkten oder umgekehrt, setzen die Bonner Archäologinnen auf den Austausch mit Ärztinnen und Ärzten. Welche Rückschlüsse lassen die Knochenbefunde zum Beispiel auf schmerzhafte Bewegungseinschränkungen zu? Fragen wie diese hofft man, in Zusammenarbeit mit Ärztinnen und Ärzten klären zu können. sprechen würden.“ Bei rund 90 Prozent der Skelette hätten sich Fehlstellungen der Beine in der Ausprägung als Genu varum oder valgum gefunden. Als Ursache habe man zunächst an einen Vitamin-D-Mangel gedacht, doch bei der Vielzahl der betroffenen Skelette halte man es mittlerweile für wahrscheinlicher, dass es sich um eine angeborene Fehlstellung in einer isolierten Gemeinschaft gehandelt habe. Möglich sei aber auch, betont die Bioarchäologin, dass die gefundenen Auffälligkeiten am Skelett im Zusammenhang mit einer bestimmten AktiviSpezial Das BoCAS sucht Ärztinnen und Ärzte, die sich ehrenamtlich an einem Konsil zu archäologischen Fällen beteiligen wollen. Unterstützung erhofft sich das Institut bei der Stellung von Diagnosen und Differentialdiagnosen und bei der Einschätzung gesundheitlicher Einschränkungen bei den „archäologischen Patienten“. Ärztinnen und Ärzte, die Interesse an interdisziplinären Diskussionen haben – je nach Fall per E-Mail, Zoom oder in Präsenz, zeitlich flexibel und ohne regelmäßige Verpflichtung – , können sich per E-Mail wenden an: e.rosenstock@uni-bonn.de BoCAS sucht medizinische Expertise Knochenproben für weitere Analysen Foto: Thomas Gerst tät gestanden hätten; denn die bisher untersuchten Skelette von Kindern zeigten bis zum zehnten Lebensjahr keine solchen Verkrümmungen. Allerdings habe man bisher keine Vorstellung davon, welche Gewohnheiten zu dieser Veränderung geführt haben könnten. Die Skelette aus dem Vilvenicher Gräberfeld würden zudem Verformungen an den Füßen aufweisen, erklärt Toso – das sogenannte Müller-Weiss-Syndrom, bei dem äußere Knochenanteile des Kahnbeins absterben. Viele der Skelette zeigten ein fortgeschrittenes Stadium der Erkrankung. Die Schädigung könnte die Folge einer dauerhaften Fehl- oder Überbelastung der Füße sein, sagt Toso, letztlich sei aber noch ungeklärt, wie es dazu gekommen ist. Landwirtschaft sei die vorherrschende Wirtschaftsform in Vilvenich im Mittelalter gewesen, einen Zusammenhang mit der Schädigung könne man aber darin nicht erkennen. Bezüglich der Ernährung der Bewohner Vilvenichs im Mittelalter wiesen erste Isotopen-Ergebnisse auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern hin, was nicht ungewöhnlich für diese Zeit sei, erklärt Toso. Üblicherweise hätten Frauen eine insgesamt weniger proteinreiche pflanzliche Ernährung zu sich genommen, Männer hätten mehr tierisches Protein verzehrt. Weit verbreitete Tuberkulose Ein deutlicher Zeitsprung zurück führt in ein weiteres regionales Forschungsprojekt der Bonner Bioarchäologie, das sich mit den menschlichen Überresten des römischen Legionslagers Bonna im heutigen Stadtteil Bonn-Castell befasst. Ein Großteil der baulichen Grundstrukturen des Lagers – „eines der am besten erhaltenen Legionslager nördlich der Alpen“ – ist bis heute unter der bebauten Oberfläche erhalten und wird im Zuge von Neubaumaß­

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