Wenn die Kur zum Trauma wird Viele „Verschickungskinder“ leiden bis heute Frau und angestellt – die neue Ärztegeneration Die Medizin wird weiblich, bis auf die Spitzenpositionen Der Wunsch nach dem perfekten Körper Der ungesunde Einfluss von Social Media auf Jugendliche August 2025 Heft 8 / 31.07.2025 80. Jahrgang Körperschaft des öffentlichen Rechts Körperschaft des öffentlichen Rechts Arzneimittel Preise auf dem Prüfstand
Begrüßung und Grußworte Minister Karl-Josef Laumann MdL, Dr. med. Sven Dreyer, Dr. med. Johannes Albert Gehle Einführung und Moderation Prof. Dr. med. Sabine Oertelt-Prigione Geschlechtersensible Gesundheitsversorgung in der Allgemeinmedizin am Beispiel Schmerztherapie Univ.-Prof. Dr. med. Achim Mortsiefer Geschlechterspezifische Unterschiede bei Herzkrankheiten Prof. Dr. med. Burkhard Sievers Podiumsdiskussion Dr. med. Anke Diehl, Dr. med. Peter Kaup, Univ.-Prof. Dr. med. Achim Mortsiefer, Prof. Dr. med. Burkhard Sievers Immunsystem: Geschlechtersensible Perspektiven Dr. med. Jenny Bischoff und Tal Pecht Ph.D. Geschlechterspezifische Unterschiede in der Pharmakotherapie Prof. Dr. med. Petra Thürmann Podiumsdiskussion Dr. med. Jenny Bischoff, Tal Pecht Ph.D., Barbara Steffens, Prof. Dr. med. Petra Thürmann Veranstaltungsinformationen: Nähere Informationen zu den Referierenden finden Sie online. Die Veranstaltung ist kostenfrei und mit 4 Fortbildungspunkten anerkannt! Anmeldung erforderlich unter www.iqn.de. Geschlechtersensible Gesundheitsversorgung Unterschiedlich behandelt – besser versorgt! Präsenzveranstaltung im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf Freitag, 19.09.2025, von 14:00 bis 17:45 Uhr Die geschlechtsabhängigen Unterschiede sind in Praxis und Klinik bedeutsam für eine bessere medizinische Versorgung. Renommierte Expertinnen und Experten werden die Relevanz des Themas für die praktische Tätigkeit beleuchten und gemeinsam diskutieren.
Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 3 Heft 8 • August 2025 Krankenhausreform: Nachbesserungen erwünscht Am 3. Juli haben sich Bund und Länder auf Nachbesserungen zum Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetz (KHVVG) geeinigt, das Anfang des Jahres in Kraft getreten ist. Diese Nachbesserungen sollen in einem „Anpassungsgesetz“ finalisiert werden. Das Gesetz soll in der ersten Septemberwoche das Bundeskabinett passieren, so der Zeitplan von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken. Dass Nachbesserungen am KHVVG erfolgen, ist unbedingt erforderlich. Nur so kann eine am Bedarf orientierte Krankenhausreform gelingen. Begrüßenswert ist daher das von Bund und Ländern angekündigte Vorhaben, die Prüfung der Leistungsgruppen durch den Medizinischen Dienst zeitlich zu verschieben, da die Systematik der Leistungsgruppen im Bund in wichtigen Punkten überarbeitet werden muss. Das gilt unter anderem für die Qualitätskriterien und damit zusammenhängende Regelungen wie beispielsweise die Berücksichtigung von Zahl und Qualifikationen von Fachärztinnen und Fachärzten, für die Definition von Fachkliniken und für die Rahmenbedingungen für Belegärztinnen und Belegärzte. Erst wenn diese Anpassungen erfolgt sind, verfügen die Länder über eine verlässliche und einheitliche Grundlage für die Zuweisung der Leistungsgruppen. Mit diesen Korrekturen allein ist es jedoch nicht getan. Grundlegende Instrumente zur Umsetzung der Reform gehören auf den Prüfstand. Dies betrifft insbesondere den bundesweiten Grouper des Instituts für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK), der jeden stationären Krankenhausfall genau einer Leistungsgruppe zuordnet. Die zugrundeliegende Logik der Zuordnung ist jedoch so komplex, dass die formale Beschreibung mehrere tausend Seiten füllt. Die Zuordnung einzelner Fälle ist mit menschlichem Sachverstand oft nicht mehr nachvollziehbar, dies erschwert die Planung erheblich. Warum sich das Bundesgesundheitsministerium so schwer tut, die bewährten, nachvollziehbaren und pragmatischen Leistungsgruppen-Definitionen aus der NRW-Krankenhausplanung zu übernehmen, ist schleierhaft. Hier sollte dringend nachjustiert werden. Intensiv sollten wir uns auch noch einmal mit der Vorhaltevergütung beschäftigen, die in jetziger Form das intendierte Ziel verfehlen wird, den ökonomischen Druck von den Krankenhäusern gerade in strukturschwachen Gebieten zu nehmen. Denn nach wie vor orientiert sich die Ermittlung der Vorhaltebudgets zu großen Teilen an den Fallzahlen der Krankenhäuser. Damit auch in Zukunft die kleinen, aber bedarfsnotwendigen Häuser, vornehmlich auf dem Land, mit ihrem Portfolio an meist wenig lukrativen Grundleistungen wirtschaftlich überleben können, braucht es eine echte Finanzierungsreform, die fallzahlunabhängig unterschiedliche Vorhaltekosten, vor allem alle notwendigen Personalkosten der direkten Patientenversorgung, berücksichtigt. Aktuell steht eine solche Überarbeitung leider nicht in Aussicht. Dafür hat die Bundesgesundheitsministerin angekündigt, die Konvergenzphase von zwei auf drei Jahre zu verlängern, sodass die Bundesländer mehr Zeit erhalten, um zu beurteilen, wie sich die Finanzierungsänderung auf die Standorte und Leistungsgruppensystematik auswirkt. Wenn sich dann allerdings zeigt, dass die Vorhaltepauschalen in der beschlossenen Form nicht funktionieren, bleibt kaum Zeit, das System nachzubessern. Mein Fazit: Mit dem Anpassungsgesetz sind wir immerhin auf dem Weg, die bestehenden Schwächen der Krankenhausreform anzugehen. Und wenn wir bei schneller und gründlicher Prüfung feststellen, dass noch weiterer Nachbesserungsbedarf besteht, sollten wir weiter offen für Veränderungen sein. Dr. Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein Foto: Jochen Rolfes
Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein Tersteegenstraße 9, 40474 Düsseldorf Tel.: +49 211 4302-2751 E-Mail: iqn@aekno.de Die Veranstaltungen sind kostenfrei und mit 2 bzw. 3 Fortbildungspunkten anerkannt! Anmeldung erforderlich: www.iqn.de/Fortbildungen des IQN Internet: www.iqn.de Umgang mit Transidentität Mittwoch, 24. September 2025, 15:30 – 17:45 Uhr, Live Online-Seminar • Herausforderungen in der interdisziplinären Versorgung transidenter Patientinnen und Patienten • Hormontherapie bei Transidentität • Operative Möglichkeiten an Brust und inneres Genitale • Trans Sein: Herausforderungen im Jugendalter – Eine kindertherapeutische Perspektive • Perspektive eines Transmannes und Peer-Beraters Dipl.-Psych. Bernadette Bajog, Ute Ebert, Dr. med. Eleni Giannakidou-Jordan, Dipl.-Psych. Gudrun Hoika-Messing-Flöter, David Scholz, Dr. med. Sabine Mewes Neue Impulse für den Praxisalltag: Professionelle Versorgung von Patientinnen und Patienten mit individuellen Bedürfnissen Mittwoch, 8. Oktober 2025, 16:00 – 17:30 Uhr, Live Online-Seminar • Interaktion mit demenziell veränderten Patientinnen und Patienten • Kommunikation und Interaktion mit Patientinnen und Patienten mit Behinderungen • Diversitäts- und kultursensibler Umgang mit Patientinnen und Patienten im Praxisalltag Serin Alma, Dr. Sandra Falkson, Dr. med. Sabine Mewes u.a. 95. Fortbildungsveranstaltung „Aus Fehlern lernen“ in Zusammenarbeit mit der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein Geburtshilfe im Fokus zwischen Risikogeburt und Hebammenkreißsaal Dienstag, 25. November 2025, 17:30 – 19:45 Uhr, Live Online-Seminar • Mütterliche Geburtsverletzungen – schicksalhaft oder aufklärungspflichtig • Geburtsplanungs-Sprechstunde in der Klinik – Inhalte, Aufgaben und Fallstricke • Neonatale Asphyxie – Was ist vermeidbar? Prof. Dr. med. Markus Fleisch, Univ.-Prof. Dr. med. Thorsten Orlikowsky, Dr. med. Patricia Van de Vondel, Prof. Dr. med. Friedrich Wolff, Dr. med. Sabine Mewes Für Hebammen anerkannt gemäß § 7 Abs. 2 Berufsordnung für Hebammen NRW
Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 5 Heft 8 • August 2025 Meinung Krankenhausreform: Nachbesserungen erwünscht Seite 3 Magazin Seite 6 bis 10 Verstöße gegen Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung · Vor 50 Jahren · Laienreanimation in Schulen wird Pflicht · NRW stärkt Drogenhilfe · Kammer Online · Erfolgreicher Ausbildungsabschluss für 2.000 MFA · MammografieScreening senkt Sterberate bei Brustkrebs · Studium und Berufseinstieg Thema Arzneimittel: Preise auf dem Prüfstand Seite 12 Spezial Elend statt Erholung Seite 14 Gesundheits- und Sozialpolitik Angestellt und weiblich – die neue Ärztegeneration Seite 18 Praxis Notdienste digital selbst verwalten Seite 20 Hausbesuche im Notdienst neu gedacht Seite 21 Berufsunwürdigkeit wegen Falschabrechnung – Folge 148 der Reihe „Arzt und Recht“ Seite 22 Forum Resilienz des Gesundheitssystems stärken Seite 23 Gefährliche Vorbilder auf Social Media Seite 24 Wissenschaft und Fortbildung Fehlerhafte Behandlung einer distalen Radiusfraktur – Folge 147 der Reihe „Aus der Arbeit der Gutachterkommission“ Seite 26 Fortbildungsveranstaltungen der Ärztlichen Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein Seite 28 RÄ Regional Seite 32 Bücher Seite 35 An Rhein und Ruhr Seite 36 Kulturspiegel Die frei erfundene Wahrheit Seite 37 Amtliche Bekanntmachungen Seite 38 Amtliche Bekanntmachungen der Ärztekammer Nordrhein auf www.aekno.de Amtliche Bekanntmachungen der KV Nordrhein auf www.kvno.de Impressum Seite 38 Mein Beruf „Bei frühzeitiger Intervention sind große Fortschritte möglich“ Seite 43 Titelgestaltung: Eberhard Wolf Foto: peterschreiber.media/istockphoto.com Weiterbildung Für eine bessere Lehre Elend statt Erholung Viele „Verschickungskinder“ kehrten in den 1950er- bis 1980er-Jahren traumatisiert aus ihren Kuraufenthalten nach Hause zurück. Sie leiden zum Teil bis heute unter den Folgen. Die mittlerweile stattfindende Aufarbeitung verdeutlicht die Dimension des Geschehens. Angestellt und weiblich – die neue Ärztegeneration Die aktuelle Ärztestatistik der Bundesärztekammer zeigt: Die Medizin ist erneut weiblicher geworden. Auf den Spitzenpositionen in Kliniken und Universitäten dominieren hingegen nach wie vor die Männer. Ärztinnenverbände versuchen gegenzusteuern. Die gesetzliche Krankenversicherung wies im vergangenen Jahr ein Defizit von rund 6,2 Milliarden Euro auf. Das Problem: Die Einnahmen halten mit den wachsenden Ausgaben nicht Schritt. Unter anderem steht die Preispolitik der Pharmaindustrie auf dem Prüfstand. Arzneimittel Preise auf dem Prüfstand
6 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 Magazin Klinische Studien Ethik-Kommission nimmt Arbeit auf Die Spezialisierte EthikKommission für besondere Verfahren hat am 1. Juli ihre Arbeit aufgenommen. Das unabhängige Gremium ist am Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn angesiedelt und künftig für die ethische Bewertung spezifischer, hochkomplexer klinischer Prüfungen zuständig. Die Spezialisierte EthikKommission mit ihren 98 Mitgliedern aus Medizin, Recht und Ethik soll die Arbeit der bestehenden EthikKommissionen nach Landesrecht ergänzen. Bewerten soll sie unter anderem Studien, bei denen Arzneimittel für neuartige Therapien oder neue Arzneimittel erstmalig am Menschen getestet werden. Die Kommission sei ein wichtiger Baustein des Medizinforschungsgesetzes zur Stärkung der klinischen Forschung in Deutschland, so das BfArM. HK Register Hohe Bereitschaft zur Organspende Mehr als 90 Prozent der Einträge im Organspende-Register dokumentieren die Zustimmung zu einer Spende im Fall des Todes. 7,4 Prozent widersprechen einer Organspende und 1,6 Prozent übertragen die Entscheidung auf eine andere Person. Das geht aus dem ersten Jahresbericht des Registers hervor, das beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte in Bonn angesiedelt ist. Seit März 2024 können Bürger ihre Entscheidung online dokumentieren. Dem BfArM zufolge haben das bisher 330.000 Menschen getan. HK Universitätskliniken Verstöße gegen Vorschriften zur Arbeitszeiterfassung Bei rund 80 Prozent der Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken findet keine manipulationssichere elektronische Zeiterfassung statt, obwohl der zwischen dem Marburger Bund (MB) und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder geschlossene Tarifvertrag TV-Ärzte dies vorschreibt. Das ist das Ergebnis einer bundesweiten Befragung von rund 3.500 Ärztinnen und Ärzten an landeseigenen Unikliniken, die der MB im April dieses Jahres durchgeführt hat. Insgesamt arbeiten der Ärztegewerkschaft zufolge etwa 20.000 Ärztinnen und Ärzte an den tarifgebundenen Universitätskliniken. Die Unikliniken in Hamburg, Berlin, Mainz und Hessen gehören nicht zum Geltungsbereich des TV-Ärzte, dort gelten abweichende Regelungen. Bei der Umfrage erklärten nach Angaben des MB nur 17 Prozent der Teilnehmenden, dass ihre Arbeitszeit tarifvertragskonform zum Beispiel über ein Zeiterfassungsterminal erfasst wird. Bei knapp 62 Prozent finde lediglich eine digitale Dokumentation statt, zum Beispiel von Soll-Arbeitszeiten in Dienstplanprogrammen. Weitere 17 Prozent dokumentierten die Arbeitszeit manuell, etwa handschriftlich oder in einer Excel-Liste. Bei 4,3 Prozent der Befragten finde gar keine Erfassung statt. Rund 60 Prozent der Befragten gaben darüber hinaus an, dass wöchentlich bis zu zehn geleistete Arbeitsstunden nicht berücksichtigt würden. Der MB hat angekündigt, gegen „den Rechtsbruch der Arbeitgeber“ vorgehen zu wollen. HK Behandlungsfehler Erste Schlichtungsstellen nehmen Arbeit auf „Kunstfehler“ lautet die schlichte Überschrift über einer Nachricht in der Rubrik „Aktuelles aus Bonn“, die in der zweiten August-Ausgabe des Rheinischen Ärzteblatts 1975 zu finden war. Der Artikel bezog sich auf eine parlamentarische Anfrage des Bundestagsabgeordneten Dr. Rudolf Schöfberger an die Bundesregierung, wie sie „der Tatsache begegnen wolle, daß medizinisch Geschädigte in der Mehrzahl der Fälle keinen inländischen Arzt finden könnten, der prozeßverwertbare Gutachten über Art, Ausmaß und Folgen von Behandlungs- und Kunstfehlern eines Berufskollegen erstelle“. Der damalige Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium Karl Fred Zander erklärte, dass die Regierung „keine unmittelbare Einwirkungsmöglichkeit auf die Ärzteschaft“ habe und verwies auf die Landesgesundheitsministerien als Aufsichtsbehörden. Dennoch scheine bei der Ärzteschaft die Bereitschaft zu wachsen, „Vorwürfe über Kunst- und Behandlungsfehler aufzuklären“. Im April 1975 wurde bei der Bayerischen Landesärztekammer „erstmals und versuchsweise“ eine Schlichtungsstelle zur außergerichtlichen Erledigung von Haftpflichtstreitigkeiten zwischen Patienten und Ärzten eingerichtet. Die Stelle war mit dem Recht ausgestattet, Gutachten einzuholen. „Sollten weitere Schlichtungsstellen im Bereich der übrigen Landesärztekammern eingerichtet werden, so wäre nach Meinung der Bundesregierung damit zu rechnen, daß dann in vielen Fällen Prozesse vermieden werden könnten.“ Die Gutachterkommission für Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein ist kurz nach der Bayerischen Schlichtungsstelle aus der Taufe gehoben worden. Am 22. November 1975 beschloss die Kammerversammlung ein entsprechendes Statut, das am ersten Dezember des gleichen Jahres in Kraft trat. bre Mithilfe manipulationssicherer elektronischer Zeiterfassungsterminals dokumentieren nur 17 Prozent der Ärztinnen und Ärzte an Universitätskliniken ihre Arbeitszeit. Foto: Ralf Gaithe/istockphoto.com
Magazin Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 7 Kooperationsvereinbarung Laienreanimation in Schulen wird Pflicht An den Schulen in Nordrhein-Westfalen werden ab dem Schuljahr 2026/2027 Schulungen zur Laienreanimation verpflichtend eingeführt. Mit der Unterzeichnung einer Kooperationsvereinbarung zwischen Schulministerium und Vertreterinnen und Vertretern von Stiftungen, den beiden Ärztekammern des Landes, Hilfsorganisationen sowie medizinischen Fachgesellschaften am 8. Juli wurde die Verankerung im Schulalltag verbindlich. Künftig sollen die Schülerinnen und Schüler mindestens einmal in den Klassen 7, 8 oder 9 eine Schulung zur Laienreanimation im Umfang von 90 Minuten erhalten und mit dem lebensrettenden Schema „Prüfen – Rufen – Drücken“ vertraut gemacht werden. Der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer, setzt sich seit Langem für das Projekt ein. „Wer als junger Mensch an die Laienreanimation herangeführt wird, wird auch als Erwachsener ganz selbstverFachpraktiker- Ausbildung Die Ärztekammer Nordrhein bietet auch im kommenden Ausbildungsjahr die Ausbildung zum Fachpraktiker im Gesundheitswesen an. Das Angebot richtet sich an junge Menschen mit Lernbeeinträchtigung, für die eine reguläre Ausbildung zur Medizinischen Fachangestellten nicht infrage kommt. Die dreijährige Ausbildung ist stark praxisorientiert und theoriereduziert. Sie bereitet auf Tätigkeiten in Arztpraxen und Klinikambulanzen vor und orientiert sich inhaltlich am Beruf der MFA. Voraussetzung ist unter anderem die Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs durch den berufspsychologischen Dienst der Agentur für Arbeit (Reha- Abteilung). MST Kurz gemeldet Berufskolleg Stolberg sucht Ärzte als Lehrer Für den medizinischen Fachkundeunterricht angehender Medizinischer Fachangestellter (MFA) sucht das Berufskolleg Simmerath/Stolberg der Städteregion Aachen ab dem 1. September eine Ärztin oder einen Arzt. Die nebenberufliche Lehrkraft soll am Schulort Stolberg die Auszubildenden im Fach Medizinische Assistenz unterrichten. Der Umfang der Lehrtätigkeit beträgt mindestens drei und maximal neun Stunden je Woche. Ärztinnen und Ärzte, die an einer Lehrtätigkeit am Berufskolleg Simmerath/ Stolberg interessiert sind, können sich direkt bei Schulleiterin Mandy Richter melden, E-Mail: mandy.richter@ bk-simmerath-stolberg.de, Telefon: 02402 95120, www. bksimmerathstolberg.de ÄkNo Preis für Projekt der Krebsprävention in NRW Das Projekt „Leicht gesagt und einfach gemacht – Vorsorge und Früherkennung von Darm- und Hautkrebs“ ist mit dem mit 5.000 Euro dotierten Felix Burda Award für das „Engagement des Jahres“ ausgezeichnet worden. Das Gemeinschaftsprojekt von Evangelischer Stiftung Volmarstein, Hochschule Bochum, Ärztekammer Nordrhein und Krebsgesellschaft NRW richtet sich an Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen oder Lern-, Lese- und Verständnisschwierigkeiten. Nach Ansicht der Juroren adressieren die Projektverantwortlichen mit ihrer Kampagne ein Defizit in der deutschen Gesundheitslandschaft: die barrierefreie Aufklärung und Information über gesundheitsrelevante Themen. HK Facharztprüfungen Anmeldeschluss und Termine Der nächste zu erreichende Prüfungszeitraum zur Anerkennung von Facharztkompetenzen, Schwerpunktbezeichnungen und Zusatz-Weiterbildungen bei der Ärztekammer Nordrhein ist vom 17. bis 21. November 2025. Anmeldeschluss: Freitag, 19. September 2025 Ärztinnen und Ärzte, die zur Prüfung zugelassen sind, erhalten eine schriftliche Ladung mit dem genauen Prüfungstermin und der Uhrzeit mindestens 14 Tage vorher. www.aekno. de/Weiterbildung/Prue fungen ÄkNo Lösungen zur Zertifizierten Kasuistik Folge 84 Eisenmangelanämie bei einem 50 Jahre alten Mann Richtige Antworten: 1d, 2c, 3a, 4e, 5d, 6a, 7b, 8a, 9c, 10a bre IT-Sicherheit Informationen für Praxen Mit Informations- und Schulungsangeboten will die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) nach eigenen Angaben die Praxen beim Schutz vor Cyberkriminalität unterstützen. Tipps und Hinweise zur Cybersicherheit liefere eine monatliche Serie in den PraxisNachrichten der KBV. Einen Einstieg in das Thema gewähre das Serviceheft „IT-Sicherheit“ aus der Reihe PraxisWissen. Die KBV weist zudem darauf hin, dass das Praxispersonal ab Oktober regelmäßig in Fragen der IT-Sicherheit geschult werden muss. Das sehe die aktualisierte IT-Sicherheitsrichtlinie vor. HK Zusätzliche Leben retten: NRW-Schulministerin Dorothee Feller und der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer, bei der Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung von Ministerium, Stiftungen und Verbänden. ständlich im Notfall Hilfe leisten“, erklärte er anlässlich der Unterzeichnung. Würde die Laienreanimation flächendeckend angewendet, ließen sich jedes Jahr in Deutschland 10.000 Leben zusätzlich retten. sas Foto: Marc Hermenau
Magazin 8 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 IQN Neues Newsletter-Angebot seite der Homepage www.aekno.de. Der Newsletter „Amtliche Bekanntmachungen“ wird an Interessierte versendet, wenn die ÄkNo eine oder mehrere neue Amtliche Bekanntmachungen auf ihrer Homepage veröffentlicht hat. Die Abonnenten bleiben so über die offiziellen Mitteilungen der ÄkNo automatisch auf dem Laufenden. Das Anmeldeformular findet sich auf www.aekno.de/bekanntmachungen. Auch die Ärztliche Stelle Radiologie Nuklearmedizin und Strahlentherapie verschickt in unregelmäßigen Abständen Updates beispielsweise zu Verordnungsänderungen oder anderen fachlichen Neuerungen. Dieser Newsletter kann ebenfalls kostenfrei abonniert werden unter www.aekno. de/aerzte/qualitaetssicherung/radiologie. Jeder verschickte Newsletter verfügt am Ende über einen Link, mit dessen Hilfe das Abonnement jederzeit beendet werden kann. Fragen und Anregungen sowie Kritik und Lob zum Internetangebot der Ärztekammer Nordrhein senden Sie bitte an die E-Mail- Adresse onlineredaktion@aekno.de. bre Das Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein (IQN) bietet seit wenigen Wochen einen neuen Service an. Interessierte Ärztinnen und Ärzte können ab sofort einen kostenlosen Newsletter abonnieren. Dazu ist eine Registrierung über die Homepage des IQN www.iqn.de nötig. Das IQN informiert die Abonnenten über geplante Fortbildungsangebote und weitere Aktivitäten des Instituts. Auch die Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo) bietet nicht nur für ihren direkten Mitgliederkreis weitere kostenlose Newsletter an. Sie können jeweils über die Homepage bestellt werden. Monatlich informiert die ÄkNo mit „Kammer kompakt“ sämtliche Kammermitglieder, die eine E-Mail-Adresse bei der ÄkNo angegeben haben, über aktuelle Kammer-Themen, weist auf ausgewählte Artikel im Rheinischen Ärzteblatt hin und gibt Terminhinweise. Das Formular zur Anmeldung bei „Kammer kompakt“ finden Interessierte auf der StartMit insgesamt 420.000 Euro fördert das Land Nordrhein-Westfalen Einrichtungen der niedrigschwelligen Suchthilfe. Ziel sei es, auf das sich wandelnde Konsumverhalten von Suchtkranken zu reagieren, das zu einer weiteren Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Betroffenen führe, und bedarfsgerechte Unterstützungsangebote bereitzustellen, erklärte das nordrhein-westfälische Gesundheitsministerium. So zeige eine aktuelle Studie der Hochschule Düsseldorf und der Technischen Hochschule Nürnberg, dass Crack und nicht mehr Heroin die am häufigsten konsumierte illegale Droge in NRW ist. Die Studie habe auch die Lage der Suchtkranken offenbart: Demnach leben zwei Drittel der 525 Befragten ohne feste Unterkunft, rund 20 Prozent haben kein Einkommen, etwa 16 Prozent sind nicht krankenversichert. Das Land NRW kündigte an, die Hilfesysteme für Suchtkranke weiterzuentwickeln. Geplant sei beispielsweise die Die gleichzeitige Einnahme unterschiedlicher Substanzen wie Heroin, Kokain und Amphetamine sowie der zunehmende Crack-Konsum führen zu steigender Aggressivität und Verwahrlosung, belegt eine Studie im Auftrag des NRW-Gesundheitsministeriums. Drogenpolitik NRW stärkt Drogenhilfe Zulassungsbehörde Warnung vor Kratom Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat Patientinnen und Patienten vor der Anwendung von Kratom zu medizinischen Zwecken gewarnt. Das Mittel, das aus den Blättern des südostasiatischen Kratombaumes gewonnen wird, sei in Deutschland nicht als Arzneimittel zugelassen, erklärte die Behörde Anfang Juli. Sicherheit und Wirksamkeit von Kratom seien bisher nicht ausreichend geprüft. Dem BfArM zufolge wird das Mittel im Internet als Pflanzenpräparat gegen Schmerzen, Entzündungen, Husten, Angst, Depressionen und weitere Krankheiten beworben. Tier- und Humanstudien deuteten jedoch darauf hin, dass Kratom schädliche neurologische Wirkungen haben und insbesondere Leber und Niere schädigen könnte. HK Psychisch Kranke Papier zur Gewaltprävention Um das Risiko für Gewalttaten durch Menschen mit psychischen Erkrankungen zu senken, empfiehlt die medizinische Fachgesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (DGPPN) in einem Positionspapier den Ausbau geeigneter Versorgungsstrukturen, der Eingliederungshilfe und der Sozialpsychiatrischen Dienste. Wichtig seien niedrigschwellige Behandlungsmöglichkeiten, nicht schärfere Regeln. Hintergrund ist ein Beschluss der Innenministerkonferenz von Juni dieses Jahres, der zur Minimierung von Risiken bei psychisch Kranken einen Datenaustausch mit den zuständigen Behörden und der Polizei forderte. HK Einführung von Drug Checking in allen Konsumräumen, um die Risiken durch unbekannte Substanzzusammensetzungen zu minimieren. MST Foto: fusssergei/stock.adobe.com
Magazin Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 9 Mammografie Screening senkt Sterberate bei Brustkrebs jekt zeige erstmals, dass das MSP die Mortalität deutlich senken könne, so die Barmer. „Mammografie-Screening rettet leben“, kommentierte die Kassenärztliche Bundesvereinigung das Studienergebnis. Sie ist zusammen mit dem GKV-Spitzenverband Trägerin des Screening-Programms. Angesichts der positiven Ergebnisse sei es sehr begrüßenswert, dass seit Juli 2024 Frauen bis 75 Jahre anspruchsberechtigt zur Teilnahme am MSP seien. Brustkrebs ist in Deutschland die häufigste Krebserkrankung bei Frauen. Jährlich sterben daran rund 18.500 Betroffene. HK Unter den Frauen, die am Mammografie-Screening-Programm (MSP) teilgenommen haben, sind die Sterbefälle an Brustkrebs zwischen 20 und 30 Prozent zurückgegangen. Das ist ein Ergebnis des Forschungsprojekts „ZEBra“, einer vom Bundesamt für Strahlenschutz beauftragten Evaluation zur Brustkrebsmortalität im deutschen MSP, an der sich mehrere Krankenkassen beteiligt haben, wie die Barmer mitteilte. Ausgewertet wurden demzufolge Daten aus den Jahren 2009 bis 2018, in denen Frauen zwischen 50 und 69 Jahren anspruchsberechtigt waren. Das ForschungsproVerdienstkreuz Dan mon O’Dey ausgezeichnet Für sein langjähriges Engagement im Kampf gegen die weibliche Genitalbeschneidung wurde der Plastische Chirurg Priv.-Doz. Dr. Dan mon O’Dey mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. Der Jülicher gilt als erster Chirurg in Deutschland, der genitalbeschnittenen Frauen mit einer eigens entwickelten rekonstruktiven Operationstechnik Aussehen, Funktionalität und Empfindungsfähigkeit der Genitale wiederherstellt. Neben seiner operativen Tätigkeit unterstützt er Vereine und Initiativen, die sich gegen weibliche Genitalbeschneidung einsetzen. O’Dey studierte Medizin an der RWTH Aachen und absolvierte seine Facharztweiterbildung für Plastische und Ästhetische Chirurgie an der Uniklinik Aachen. Seit 2024 ist er an einer privaten Klinik in Heidelberg tätig. MST Impfallianz Finanzierungsziel verfehlt Ärzte ohne Grenzen hat die Impfallianz Gavi und ihre Geber aufgefordert, die Versorgung von Kindern in Krisengebieten mit lebensrettenden Impfungen sicherzustellen. Ende Juni hatte die aktuelle Finanzierungsrunde ihr Ziel von 11,9 Milliarden US-Dollar für den Zeitraum von 2026 bis 2030 verfehlt. Allerdings hätten noch nicht alle Geber ihren Beitrag benannt, so die Hilfsorganisation. Die Bundesregierung habe zugesagt, Gavi mit 600 Millionen Euro zu unterstützen. Das sei ein wichtiges Signal. Weil US- Hilfen wegfielen, brauche es mehr Mittel, um den Bedarf zu decken. HK Lossprechungsfeiern in Nordrhein Erfolgreicher Ausbildungsabschluss für 2.000 MFA Insgesamt 2.084 Auszubildende zur Medizinischen Fachangestellten (MFA) haben in Nordrhein die Abschlussprüfungen im Winter 2024/25 sowie im Sommer 2025 bestanden. Zahlreiche Kreisstellen überreichten den MFA im Rahmen feierlicher Lossprechungen ihre Zeugnisse. „Sie haben einen verantwortungsvollen Beruf erlernt, der nicht nur Fachwissen, sondern auch Einfühlungsvermögen verlangt. In Zeiten des Fachkräftemangels sind Sie gefragter denn je“, sagte der Ausbildungsbeauftragte der Kreisstelle Wesel, Dr. Martin Ditges, bei der Lossprechungsfeier der Kreisstelle Anfang Juli im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf. Von den 875 Auszubildenden, die zur Winterabschlussprüfung antraten, bestanden nach Angaben der Ärztekammer Nordrhein 747. Das entspricht einer Bestehensquote von etwa 85 Prozent. Zur Abschlussprüfung im Sommer traten 1.652 Auszubildende an, von denen 1.337 bestanden. Mehr zu den Lossprechungen der einzelnen Kreisstellen unter www.aekno.de/kreisstellen MST Die Medizinischen Fachangestellten feiern ihren erfolgreichen Ausbildungsabschluss bei der gemeinsamen Veranstaltung der Kreisstellen Düsseldorf, Mettmann und Neuss im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf. Foto: Sabine Schindler-Marlow
10 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 Magazin – Studium und Berufseinstieg Ende Mai habe ich mit meinem Praktischen Jahr begonnen. Damit ist der letzte Abschnitt meines Medizinstudiums angebrochen. Für mein erstes Tertial in der Inneren Medizin hat es mich ins Markgräflerland in die Nähe von Freiburg verschlagen. Deswegen hieß es nach dem Examen: Abschied nehmen von Essen. Hier vor Ort bin ich zuerst sechs Wochen auf einer allgemeininternistischen Station eingesetzt, danach folgen fünf Wochen in der Notaufnahme. Anschließend geht es für mich noch auf die Intensivstation sowie in die Funktionsdiagnostik, also zu Ultraschall und endoskopischen Untersuchungen. Ich freue mich sehr, so die Möglichkeit zu haben, einen Einblick in viele verschiedene Bereiche zu bekommen. Die ersten Tage waren geprägt von einer Mischung aus Neugier, Unsicherheit und einer ordentlichen Portion Nervosität. Wie finde ich mich im Klinikalltag zurecht? Was wird von mir erwartet? Und was kann ich eigentlich schon? Als Zwischenfazit kann ich sagen, dass ich mich im Team wirklich sehr gut aufgehoben fühle. Man nimmt sich viel Zeit für uns PJler, sodass wir immer mehr Aufgaben auch selbstständig erledigen können. Alle pflegen einen sehr offenen Umgang miteinander, die Hierarchien sind flach und auch Fragen sind jederzeit willkommen. Die Umstellung auf einen vollen Arbeitstag mit vielen neuen Eindrücken war zunächst ungewohnt, aber es ist schön zu merken, wie man Routinen entwickelt und sich auch an frühe Übergaben, volle Flure und ständig klingelnde Telefone gewöhnt. Ich bin gespannt auf alles was noch kommt und freue mich schon auf das nächste Tertial, etwas heimatnäher in Köln. Wie erlebt Ihr das Medizinstudium? Schreibt mir unter medizinstudium@ aekno.de. Kompetenzzentrum Seminare für Weiterzubildende Das Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin Nordrhein bietet regelmäßig evidenz-basierte und interaktive Seminare für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung für die Fächer Allgemeinmedizin sowie Kinder- und Jugendmedizin an. Die Kurse behandeln verschiedene Themen, die die angehenden Fachärzte auf die Facharztprüfung und eine ambulante Tätigkeit vorbereiten. Am Mittwoch, 13. August 2025 steht bei einer Präsenzveranstaltung im Universitätsklinikum der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen die Geriatrie im Mittelpunkt. Am Mittwoch, 20. August 2025 bietet das Kompetenzzentrum die Online-Fortbildung „Arzneimittelmanagement und Antikoagulation“ an. Das Seminar startet um 12.30 Uhr mit einem Selbststudium und Kasuistiken, bevor in Kleingruppen Bridging und Antikoagulation auf dem Programm stehen. „Arzneimittelmanagement und Dokumentation“ sowie „Pharmakotherapie in der Praxis“ sind weitere Themen dieser Fortbildung, die ab 18 Uhr mit der Nachbereitungsphase endet. Materialien zur Vorbereitung auf das Seminar sind online verfügbar. Auch die Online-Seminare des Kompetenzzentrums bieten Kleingruppenarbeit, Skills Trainings und neben den Impulsvorträgen die Gelegenheit zum kollegialen Austausch. Die Seminare sind für Ärzte in Weiterbildung kostenfrei. Die Anmeldung erfolgt über www.kompetenzzentrum-nordrhein.de. bre Landarztgesetz NRW Informationsveranstaltung für Interessierte Studie Belastungen von Eltern sichtbar machen Das Landesamt für Gesundheit und Arbeitsschutz Nordrhein-Westfalen, das für die Organisation der Studienplatzvergabe im Rahmen der Landarztquote zuständig ist, lädt zu einer Online-Veranstaltung rund um die Bewerbung für das Sommersemester 2026 ein. Die Veranstaltung findet am Donnerstag, 28. August 2025 ab Die Forschungsstelle für Gesundheitskommunikation und Versorgungsforschung am Uniklinikum Bonn sucht für eine Studie zur Elternrolle deutschlandweit Mütter und Väter von Kindern im Alter bis 16 Jahre. Die Bonner Forschenden haben dazu ein neues grafisches Instru16 Uhr statt. Ziel ist es, Bewerberinnen und Bewerber bestmöglich auf das Bewerbungsverfahren vorzubereiten, über zeitliche Abläufe und Fristen, notwendige Nachweise und die vertraglichen Verpflichtungen zu informieren. Die Anmeldung zu der Veranstaltung erfolgt über www.lzg.nrw.de/lag. bre ment entwickelt, das die Belastung von Eltern einfach und anschaulich erfasst. Empfinden Mütter und Väter die Belastungen ihrer Elternrolle als überwältigend, entstehen Stress, Depressionen oder Angststörungen. Zur Messung elterlicher Belastung gebe es bislang lediglich InstruHannah Stamm Foto: privat Mail aus Müllheim mente, deren Anwendung zeitintensiv und aufwendig sei, teilte die Forschungsstelle mit. Vor diesem Hintergrund haben die Wissenschaftler die Visual Parental Stress Scale mit einer fünfstufigen, grafischen Skala entwickelt, deren Validität und Reliabilität mit zwei Befragungen von Eltern überprüft werden soll. Nähere Informationen unter https://chsrsurvey.limesurvey.net/834452 und elena. shebotinova@ukbonn.de. bre
Jetzt anmelden unter kvno.de/termine Fit für die Praxis Das Seminar „Start-up in die ambulante Versorgung“ vermittelt in zwei Seminartagen alles Wichtige zur Niederlassung. Tag 1: Vorträge, Austausch und Beratung in Päsenz Tag 2: Onlinevorträge zu Abrechnung, Honorar und Verordnungen Freitag, 29. August 2025, 14:00 bis 19:00 Uhr Präsenz, Köln 29.08. Samstag, 30. August 2025, 9:00 bis 13:20 Uhr online, für Ärztinnen und Ärzte 9:00 bis 12:00 Uhr online, für Psychotherapeutinnen und -therapeuten 30.08.
Thema 12 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 Foto: peterschreiber.media/istockphoto.com Dr. Jochen Post ist besorgt. Den niedergelassenen Onkologen aus Nettetal am Niederrhein treibt ein grundsätzliches Problem seines Fachs um: „Wir verordnen täglich sehr viele, sehr teure Medikamente“, sagt Post im Gespräch mit dem Rheinischen Ärzteblatt. Häufig lägen die jährlichen Therapiekosten bei mehreren zehntausend Euro je Patient. Etwa 1.000 Patientinnen und Patienten versorgen Post und seine Kolleginnen und Kollegen in ihrem Medizinischen Versorgungszentrum im Quartal. „Wenn man diese Kosten hochrechnet auf ganz Deutschland mit zum Teil hochspezialisierten onkologischen Zentren, wird einem schwindelig“, meint Post. „Ich habe die Befürchtung, dass das GKV-System überstrapaziert wird, wenn sich an dieser Preispolitik nichts ändert.“ Im schlimmsten Fall stünden für nachfolgende Generationen von Krebskranken nur noch eingeschränkte Therapiemöglichkeiten zur Verfügung, weil kein Geld mehr da sei. Zumal aufgrund der alternden Bevölkerung die Zahl der Tumorerkrankungen noch ansteigen werde. Rasante Kostensteigerungen Zu einer ähnlichen Diagnose kommt der Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege in seinem jüngsten Gutachten für die Bundesregierung, das Ende Mai veröffentlicht wurde. Von „rasanten Kostensteigerungen“ ist dort die Rede. Insbesondere für Markteinführungen innovativer Arzneimittel würden immer höhere Preise aufgerufen. Zuletzt entfiel mehr als die Hälfte des Arzneimittelumsatzes auf patentgeschützte Arzneimittel, während ihr Anteil an den Verordnungen auf sieben Prozent zurückgegangen sei, so der Rat. Die Preisentwicklung bei den neu eingeführten Arzneimitteln sei besorgniserregend. Kostete vor 15 Jahren ein patentgeschütztes neues Arzneimittel durchschnittlich 1.000 Euro, lag dieser Wert den Wissenschaftlern zufolge zuletzt zeitweise bei 70.000 Euro. Für neuartige Gentherapien, bei denen es sich oft um Einmaltherapien handele, würden Preise von 200.000 bis drei Millionen Euro aufgerufen. Werde die bisherige Systematik der Bewertung und Bepreisung innovativer Arzneimittel unverändert fortgesetzt, drohe eine Überforderung des Systems, warnt der Rat. In Summe gaben die gesetzlichen Krankenkassen im vergangenen Jahr 55,25 Milliarden Euro für die Arzneimittelversorgung ihrer Versicherten aus. Die Arzneimittelausgaben sind damit nach der Krankenhausversorgung (102 Milliarden Euro) der zweitgrößte Kostenblock in der GKV. Viel hatten sich Politik und Kostenträger vom Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) versprochen, das 2011 in Kraft trat. Es sah vor, dass nur noch Arzneimittel mit einem Zusatznutzen einen höheren Preis erzielen dürfen als die zweckmäßige Vergleichstherapie. Zwar halten alle Beteiligten die Grundidee des Verfahrens nach wie vor für richtig. Das Ziel der Kostendämpfung wurde hingegen verfehlt. Nach Angaben der Krankenkassen stiegen die Arzneimittelausgaben zwischen 2011 (32 Milliarden Euro) und 2024 um knapp 73 Prozent. Die Kassen machen dafür Arzneimittel: Preise auf dem Prüfstand Die Beitragssätze in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) liegen auf Rekordniveau. Trotzdem sind die Kassen leer. Im vergangenen Jahr wies die GKV ein Defizit von rund 6,2 Milliarden Euro auf. Das Problem: Die Einnahmen halten mit den wachsenden Ausgaben nicht Schritt. Strukturreformen sollen das System fit für die Zukunft machen. Auch die Preispolitik der Arzneimittelhersteller steht auf dem Prüfstand. von Heike Korzilius
Thema Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 13 den Gesetzgeber mitverantwortlich, der Schlupflöcher geöffnet und dadurch dafür gesorgt habe, dass der Erstattungsbetrag nicht „linear“ dem Zusatznutzen entsprechen könne, erklärt der GKV-Spitzenverband auf Anfrage des Rheinischen Ärzteblatts. Für nicht gerechtfertigt halten die Kassen insbesondere das Zusatznutzenprivileg und „damit die garantiert hohen Preise“ für Orphan Drugs. Bei Arzneimitteln gegen seltene Erkrankungen gilt nach dem AMNOG bis zu einer Umsatzschwelle von 30 Millionen Euro im Jahr der Zusatznutzen als belegt. Analysen zeigten jedoch, dass bei Vollbewertung die Hälfte der Orphanpräparate keinen Zusatznutzen nachweisen könne. Weder die Kassen noch der Sachverständigenrat stellen die Verdienste der pharmazeutischen Industrie infrage. In den letzten Jahrzehnten seien echte therapeutische Fortschritte errungen worden, erklärt der GKVSpitzenverband. Patienten mit vormals tödlichen Erkrankungen wie HIV und Krebs könnten heutzutage mithilfe innovativer Therapien noch eine lange Lebenszeit erreichen. Zugleich weisen die Kassen aber darauf hin, dass nur manche Arzneimittel solche Fortschritte bringen, die Preise für neue Wirkstoffe hingegen „generell die Bodenhaftung verloren“ haben. Mehr Macht für die Kassen Der Sachverständigenrat stellt in seinem Gutachten angesichts der ungebremsten Ausgabendynamik im Arzneimittelmarkt eine Verschärfung des Zielkonflikts zwischen bedarfsgerechter Versorgung der Patienten, Innovationsanreizen für die Pharmaindustrie und nachhaltiger Finanzierbarkeit des Gesundheitssystems fest. Er empfiehlt deshalb, neben einem Globalbudget für patentgeschützte Arzneimittel die Preise stärker an den patientenrelevanten Nutzen zu koppeln. Zudem müsse die Verhandlungsposition des GKV-Spitzenverbandes in den Preisverhandlungen nach der Nutzenbewertung gegenüber den pharmazeutischen Unternehmen gestärkt werden. Derzeit dürfe ein Arzneimittelhersteller bis zum Abschluss des Nutzenbewertungsverfahrens sein Präparat zum von ihm gewählten Preis vermarkten – mit „psychologischer Ankerwirkung“, wie der Sachverständigenrat moniert. Auch könne er ein Medikament vom Markt nehmen, wenn ihm der Erstattungspreis zu niedrig sei. Die Kassen hätten hingegen keine Möglichkeit, von Preisverhandlungen zurückzutreten, weil es preiswertere therapeutische Alternativen gibt. Um das Preisniveau zu senken, schlägt der Sachverständigenrat deshalb vor, die Erstattung zu Herstellerpreisen bei Markteinführung abzuschaffen und stattdessen bis zu einer Einigung zwischen Hersteller und Krankenkassen lediglich den Preis der zweckmäßigen Vergleichstherapie zu erstatten. Das Argument, dass ein hohes Preisniveau der Wirtschaft förderlich sei, lässt der Sachverständigenrat nicht gelten. Für Standortentscheidungen von Pharmaunternehmen seien nicht hohe Preise, sondern vor allem effiziente Verfahren, gut ausgebildetes Personal und eine funktionierende digitale Forschungsinfrastruktur wichtig. Die Förderung des Pharmastandorts Deutschland durch die Politik sei zwar richtig und wichtig. Sie sei aber nicht Aufgabe der Solidargemeinschaft. Erstattung nach Erfolg Der Verband forschender Arzneimittelhersteller (vfa) kann den Empfehlungen des Sachverständigenrats wenig abgewinnen. Sie würden weder dem bestehenden System der Preisbildung und Innovationsförderung noch der Schlüsselrolle der pharmazeutischen Industrie für den Forschungs- und Industriestandort Deutschland gerecht, kritisiert der Verband. Vielmehr gelte es, das AMNOG so weiterzuentwickeln, dass die Versorgungsperspektive und die besonderen Therapiesituationen angemessen berücksichtigt werden könnten. Außerdem plädiert der vfa dafür, den Weg für erfolgsabhängige Erstattungsmodelle zu ebnen. Sogenannte Pay-for-Perfomance-Ansätze böten zum Beispiel bei neuen Gentherapien einen Weg, die Finanzierungsrisiken bei begründet limitierter Evidenz oder bei hohen Einmalkosten partnerschaftlich zu tragen. Dabei argumentieren die Pharmaunternehmen bei ihrer Preisgestaltung längst nicht mehr mit hohen Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionskosten. Der vfa vertritt den Standpunkt, dass die Preise den Wert eines Arzneimittels für den Einzelnen und die Gesellschaft widerspiegeln sollten. Selbst wenn der Anteil der Arzneimittelausgaben an den Gesamtausgaben der GKV von derzeit knapp 18 Prozent in Zukunft steigen werde, sei dies kein Problem, schrieb vfa-Präsident Han Steutel bereits 2021 in einem Aufsatz für den ArzneimittelKompass. Es handele sich bei Arzneimitteln um Investitionsgüter, die eine höhere wirtschaftliche Produktivität, Einsparungen von Kosten in anderen Bereichen wie Krankenhaus und Pflege, „und vor allem ein längeres und besseres Leben für uns alle ermöglichen“. In seiner Praxis in Nettetal betont Dr. Jochen Post, dass er niemals einem Patienten ein Medikament vorenthalten würde, weil er es unter Kosten-Nutzen-Aspekten für zu teuer hält. „Dieses Dilemma können wir Ärztinnen und Ärzte nicht auflösen“, sagt Post. „Bahnbrechende Therapiefortschritte in manchen Bereichen ändern nichts an der Tatsache, dass wir vielfach Medikamente zulassen, die ein gigantisches Geld verschlingen, manchmal das Leben aber nur um einen weiteren Monat verlängern bei vielleicht nicht einmal guter Lebensqualität.“ Post geht es um das richtige Maß. „Da muss es wahrscheinlich in der Gesellschaft, aber auch unter uns Onkologen ein Umdenken geben, eine Akzeptanz, dass manchmal weniger mehr ist.“ Endpunkt in onkologischen klinischen Studien sei noch immer meist das Gesamtüberleben, „egal wie“, sagt Post. „Warum beziehen wir nicht die Lebensqualität und durchaus auch die Kosten vermehrt in die Bewertung einer Therapie ein?“, fragt der Onkologe. „Wenn wir diese Diskussion heute nicht führen, wird uns das früher oder später auf die Füße fallen.“
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Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 15 Spezial Elend statt Erholung Viele „Verschickungskinder“ kehrten in den 1950er- bis 1980er-Jahren traumatisiert aus ihren Erholungs- oder Kuraufenthalten nach Hause zurück. Die Betroffenen leiden oft auch noch Jahrzehnte später unter den Folgen. Die mittlerweile stattfindende Aufarbeitung macht die Dimension des Geschehens deutlich. von Thomas Gerst Vieltausendfach ist die Zahl der Erwachsenen, die seit einigen Jahren auf öffentlich zugänglichen Seiten im Internet Zeugnis ablegen über das, was sie als Kinder bei ihren in der Regel ärztlich verordneten Erholungs- und Kuraufenthalten erlitten. Die Autorin und Sozialpädagogin Anja Röhl, selbst Betroffene, löste offenbar mit ihrem im Jahr 2021 erschienenen Buch „Verschickungskinder“ und der zugrundeliegenden Umfrageaktion eine Lawine weiterer Erfahrungsberichte sowie eine Vielzahl von Veröffentlichungen zu dem Thema aus. Diese machen zunehmend das Ausmaß des Geschehens sichtbar. Es sind keine beklagenswerten Einzelfälle, die nur einen Bruchteil der in den Jahren von 1950 bis 1990 rund zehn Millionen verschickten Kinder betrafen. Man muss vielmehr ein systematisches Versagen der beteiligten Institutionen konstatieren, wodurch Kindern in vielfältiger Weise Schaden zugefügt wurde. Auch Ärztinnen und Ärzte waren Akteure in einem System, das mit repres- Essenszwang Oft täuschte der schöne Schein. Ärztlicher Direktor des DRK-Kindersolbads in Bad Dürrheim, von wo die beiden Aufnahmen auf diesen Seiten stammen, war in den Jahren 1959 bis 1973 der durch seine NS-Vergangenheit belastete Hans Kleinschmidt. Von ihm stammen detaillierte Vorschläge zu Strafen nach Ordnungsverstößen. Essenszwang oder -verbote prägten sich vielen Verschickungskindern als belastende Erfahrung ihres Kuraufenthalts ein. Foto groß: DRK Foto klein: ILA-Pressebild-Zentrale/DRK
16 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 Spezial siver und disziplinierender Pädagogik die Kinder auf den rechten Weg bringen wollte. Es ist ein stets gleicher Katalog von Erziehungs- und Bestrafungsmaßnahmen, an die sich die Betroffenen oft auch noch nach Jahrzehnten erinnern. Ein im Mai 2025 vorgestellter Forschungsbericht im Auftrag von Deutscher Rentenversicherung, Deutschem Caritasverband e. V., Deutschem Roten Kreuz und Diakonie Deutschland, die sich als Trägerorganisationen der Kurheime zur Aufarbeitung des Verschickungswesens verpflichtet sahen, beschreibt die in Interviews mit Betroffenen und in überlieferten Akten erfassten missbräuchlichen Praktiken. Es gebe deutliche Hinweise auf „verbreitete und strukturell bedingte Missstände“ heißt es zusammenfassend in dem Forschungsbericht. Vorherrschend sei ein auf Ordnung und Disziplin ausgerichteter Umgang mit den Kindern gewesen. Als fast schon regelhaft genannt werden der Essenszwang, die rigiden Schlafvorschriften, der Zwang zur Einhaltung fester Toilettenzeiten und die bei Zuwiderhandlung fälligen Strafen, oft verbunden mit der Androhung oder Ausführung von körperlicher und psychischer Gewalt. Es habe zahlreiche Hinweise auf die zwangsweise Gabe von Medikamenten gegeben. Hingewiesen wird in dem Forschungsbericht auch auf das meist rigoros überwachte Kontaktverbot zu den Eltern während des in der Regel sechswöchigen Kuraufenthalts, was bei vielen Kindern – häufig noch im Vorschulalter – mit dazu beigetragen haben wird, dass die Kinderverschickung als traumatisch empfunden wurde. Allerdings verweist der Forschungsbericht auch auf die große Heterogenität der Kureinrichtungen, sodass nicht überall von den genannten Missständen auszugehen sei; es gebe durchaus auch positive Erinnerungen von Verschickungskindern. Der online verfügbare knapp 800-seitige Forschungsbericht (www.drk.de, Suchbegriff: Verschickungskinder) ist der vorläufige Abschluss einer Reihe wissenschaftlicher Aufarbeitungen zum Thema Kinderverschickungen; so liegen zum Beispiel auch von der DAK und der Barmer in Auftrag gegebene Forschungsarbeiten vor. Diese kommen zu ähnlichen Ergebnissen. So sieht Professor Dr. phil. Hans-Walter Schmuhl, der die Abläufe der von der DAK durchgeführten oder bezuschussten Kinderkuren untersuchte, auf der Grundlage von Interviews ein breites Spektrum von Gewaltformen in den Kurheimen mit länger anhaltenden psychischen Folgen für die Betroffenen. „Nachweisbar sind die rigorose Abschottung der Kurkinder von der Außenwelt, eine ständige Kontrolle, die Unterwerfung unter rigide Tagesstrukturen, die Wegnahme persönlicher Gegenstände, …, verbale Herabsetzungen, Drohungen, demütigende Strafen, die Bloßstellung des nackten Körpers sowie massive Formen körperlicher Gewalt, von Ohrfeigen über das Einsperren in einem Besenschrank oder das gewaltsame Eintrichtern von Erbrochenem bis hin zu massiven sexuellen Übergriffen.“ Auf den Druck von Betroffenen-Initiativen reagierte auch die Politik; in Baden-Württemberg und NordrheinWestfalen wurden unter deren Beteiligung Runde Tische eingerichtet. Auch im Koalitionsvertrag zwischen CDU/ CSU und SPD von Mai 2025 fand das Thema „Verschickungskinder“ Eingang. Man wolle die Aufarbeitung der Misshandlungen von Kindern bei Kuraufenthalten zwischen 1950 und 1990 durch die „Initiative Verschickungskinder“ unterstützen, heißt es dort eher unverbindlich. Im März 2024 hatte sich der Familienausschuss des Deutschen Bundestages unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten mit dem Thema befasst. Zusammenfassend wurde in dem Sitzungsbericht darauf hingewiesen, dass die Verschickung in ein Kindererholungs- oder Kurheim eine medizinische Maßnahme gewesen sei. Diese sei auf ärztliche Verordnung durchgeführt worden, der Aufenthalt habe in ärztlich-pflegerisch geleiteten Einrichtungen stattgefunden, also müsse sich auch der Gesundheitsausschuss damit auseinandersetzen. Ärztlich verordnete Kinderkuren In der Tat waren Ärztinnen und Ärzte maßgeblich an der Inanspruchnahme und inhaltlichen Ausformung des Verschickungswesens beteiligt. Sie verordneten die Kuren der Kinder, überprüften als Amtsarzt oder Arzt des Vertrauensärztlichen Dienstes der Krankenkassen die Kurbedürftigkeit oder waren Leiter der Kurheime. Für Professor Dr. phil. Marc von Miquel, der 2022 im Auftrag des Ministeriums für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen eine Studie zu den Verschickungskindern vorlegte, war die Kinderheilkunde die tonangebende Profession unter den Expertengruppen, die das Verschickungswesen steuerten. Es seien vor allem die Leiter großer Kureinrichtungen gewesen, die mit Aufsätzen und Studien an die Öffentlichkeit getreten und mit ihrem Deutungsanspruch weit über gesundheitsbezogene Fragestellungen hinausgegangen seien. Waren es im Nachkriegsjahrzehnt noch Mangelerkrankungen oder Infektionen wie etwa Tuberkulose, zu deren Behandlung die Kinder zur Kur geschickt wurden, so sieht von Miquel für die Folgezeit eine Indikationsausweitung, die nicht zuletzt auf Betreiben maßgeblicher Protagonisten der Kinderheilkunde in dieser Zeit zustande kam. Beispielhaft nennt er den Pädiater Professor Dr. Kurt Nitsch, in den 1960er- und 1970er-Jahren Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie, der sich 1964 in einem Standardwerk zur Durchführung von Kinderkuren (Sepp Folberth [Hg.], Kinderheime, Kinderheilstätten, 1. Auflage 1956, 2. Auflage 1964) für die vermehrte Berücksichtigung der „sozialen Indikation als Verschickungsdiagnose“ ausgesprochen habe. Grundsätzlich sei dem Leben in der Stadt ein gesundheitsschädigender Einfluss auf das heranwachsende Kind zugesprochen worden. Originalton Nitsch: „Wir dürfen uns auf den Standpunkt stellen, dass jedes Stadtkind, insbesondere jedes Großstadtkind der ‚Erholung‘ bedarf. D.h. einmal jährlich sollten diese Kinder mindestens Gelegenheit haben, den Dunstkreis der Zivilisation zu verlassen, um sich in der Lebensfrische der Landschaft auszutoben.“ Speziell in den Blick fasste Nitsch dabei Kinder aus nach seiner Vorstellung schwierigen Lebensverhältnissen, etwa „Kinder mit ausgesprochenem Wohnungs- und
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