26 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 147 letzten Schienenwechsel Novaminsulfon zur Schmerzbehandlung rezeptiert. Eine Bildgebung ist für diesen Behandlungszeitraum nicht dokumentiert. Diese erfolgte dann drei Wochen nach dem letzten Schienenwechsel und mehr als einen Monat nach der Erstversorgung mit der Gipsschiene: Zu diesem Zeitpunkt zeigte sich das Bild eines nach streckseitig verkippten, körperfernen Speichenbruchs mit unscharfem Frakturspalt im Sinne einer beginnenden knöchernen Durchbauung. Eine in der Folge durchgeführte Computertomografie dokumentierte eine knöchern nicht konsolidierte, eingestauchte und um circa 20° nach dorsal abgeknickte, metaphysäre distale Radiusfraktur mit konsekutivem Ulnavorschub. Die Patientin wurde in eine orthopädisch/unfallchirurgische Fachabteilung eingewiesen und dort operativ versorgt. Im Nachgang erhob sie den Vorwurf, die niedergelassenen Orthopäden hätten ambulant ihre Handgelenksfraktur unzureichend behandelt, indem immer wieder Schienen angelegt worden seien, so dass das Handgelenk frei beweglich verblieben sei und nicht habe zusammenwachsen können. Wäre eine komplette Gipsschiene angelegt worden, hätte die nachfolgend notwendige Operation einschließlich des erneuten Brechens des Handgelenks und des Einsatzes einer Metallschiene verhindert werden können. Ergänzend beanstandete sie, dass die Schienen von einer Medizinischen Fachangestellten angelegt worden seien, ohne dass sich ein Arzt das Handgelenk angeschaut habe. Eine ärztliche Kontrolle habe nur zweimal stattgefunden. Orthopädische/unfallchirurgische Begutachtung Der Gutachter kam zur Feststellung von Behandlungsfehlern: Die zunächst begonnene konservative Therapie des undislozierten, körperfernen Speichenbruchs sei grundsätzlich nicht zu beanstanden. Als ein Risiko für einen Repositionsverlust habe jedoch eine dorsale Trümmerzone bestanden, die die behandelnden Ärzte – ausgehend von den einschlägigen Leitlinien – zu einer engmaschigen, insbesondere auch radiologischen Kontrolle hätte veranlassen müssen. Auch neben der aktuellen Leitlinie werde bei differenzierter konservativer Therapie eine Röntgenkontrolluntersuchung in jedem Fall innerhalb der ersten Woche nach Behandlungsbeginn empfohlen. In diesem Zusammenhang hat der Sachverständige auch darauf aufmerksam gemacht, dass im Rahmen der Erstdiagnose von einer Verkippung der dorsalen Fragmente von circa 20° ausgegangen worden sei, ohne jedoch den Verlust des „BöhlerWinkels“ zu berücksichtigen. Als „BöhlerWinkel“ (benannt nach Lorenz Böhler [1885–1973]) werden bestehende GelenkSchaft-Winkel bezeichnet, die – unter anderem mit Blick auf das funktionelle Ergebnis – im Rahmen der therapeutischen Bemühungen bei der Gelenkwiederherstellung zu beachten seien. Anhand der Bildgebung sei lediglich die Verkippung zur 0-Grad-Stellung der radialen Gelenkfläche gemessen worden. Eine 0-Grad-Stellung der Gelenkfläche bedeute aber, dass der physiologische „Böhler-Winkel“ (von circa 20°) bereits nicht mehr vorhanden ist, dieser müsse aber bei der Beurteilung der Gesamtverkippung des Gelenks mitberücksichtigt werden. Unter Beachtung dieser Besonderheit habe es sich im hier vorliegenden Fall um eine um circa 40° verkippte distale Radiusfraktur gehandelt. Ebenso sei die Anlage einer volaren (palmaren) Unterarmschiene – obwohl die Trümmerzone streckseitig vorlag und hier insbesondere mit einem Repositionsverlust streckseitig zu rechnen war – nicht geeignet gewesen, einem sekundären Repositionsverlust bei dorsaler Trümmerzone entgegenzuwirken. Einspruch Die von dem Vorwurf eines Behandlungsfehlers betroffenen Ärzte widersprachen der Feststellung eines Behandlungsfehlers und beantragten ein abschließendes Gutachten der Kommission. Sie trugen vor, die Patientin sei über die Risiken einer konservativen Behandlung aufgeklärt worden. Eine sekundäre Dislokation sei eine häufige Komplikation, und die Patientin habe ausdrücklich keine operative BehandBei der konservativen Behandlung handgelenksnaher (distaler) Radiusfrakturen gibt es – neben typischen Komplikationen – eine Reihe von Fehlermöglichkeiten. Besonders aufmerksam ist auf die Anforderungen an die Indikationsstellung, die Auswahl der Schienungsmethode, aber vor allem auf die ärztliche Nachsorge und die erforderlichen radiologischen Kontrollen zu achten. von Ilja Windrath, Ulrich Gras, Peter Lange und Tina Wiesener Die Gutachterkommission hatte sich mit dem Fall einer konservativen Therapie einer distalen Radiusfraktur auseinanderzusetzen. Dabei ging es insbesondere um die Art der angelegten Gipsschiene und den besonderen Stellenwert der ärztlichen Nachsorge und der radiologischen Kontrolluntersuchungen. Sachverhalt Aufgrund eines am Vortag im Rahmen eines Spaziergangs erlittenen Sturzes mit der Folge Schwellung, Schmerzen und Bewegungseinschränkung des linken Handgelenks hatte sich eine 58-jährige Patientin zur fachärztlichen Behandlung in eine orthopädische Praxis begeben. Die klinische Untersuchung erbrachte laut Dokumentation den Befund eines geschwollenen und in der Bewegung schmerzhaft eingeschränkten linken Handgelenks. Daraufhin erfolgte eine nativ radiologische Untersuchung des Handgelenks in zwei Ebenen, und anhand dieser Aufnahmen wurde ein unverschobener körperferner Speichenbruch links mit dorsaler Trümmerzone und achsengerechter Stellung in beiden Röntgenebenen diagnostiziert. Nach Aktenlage wurde eine volare Gipsschiene angelegt. Gipsneuanlagen erfolgten im Verlauf dreimal, nach Erstanlage alle drei bis vier Tage. Sieben Tage und auch elf Tage nach der Erstvorstellung wurde jeweils eine Schwellung notiert und beim Fehlerhafte Behandlung einer distalen Radiusfraktur
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