Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 27 Wissenschaft und Fortbildung – Aus der Arbeit der Gutachterkommission – Folge 147 lung gewünscht. Dem Vorwurf, bei einer dorsalen Abkippung der Fraktur sei eine volare Schiene kontraindiziert, sei mit der Begründung zu begegnen, dass auf dem initialen Röntgenbild keine Dislokation zu erkennen gewesen sei und eine fest gewickelte volare Schiene eine ausreichende Stabilität gewährleiste. Es sei aktenkundig ein Termin zur Röntgenkontrolle drei Wochen nach Feststellung der Fraktur vereinbart gewesen, der – ebenfalls aktenkundig – aufgrund des Zustands des durch die Antragstellerin wiederholt stark beanspruchten Verbands um eine Woche vorgezogen worden sei. Warum die Patientin erst rund fünf Wochen nach der Erstfeststellung zur Röntgenkontrolle in der Praxis erschienen sei, entziehe sich ihrer Kenntnis. Es sei aber umgehend reagiert worden und die Patientin nach Vorliegen einer durch sie als behandelnde Ärzte veranlassten CT-Kontrolle sofort ins Krankenhaus eingewiesen worden. Die Patientin verwies daraufhin nochmals darauf, dass die Schienen jeweils von den Medizinischen Fachangestellten angelegt worden seien und der Arzt während der Behandlungen zumeist nicht anwesend gewesen sei. Zu der Feststellung, dass sie erst nach fünf Wochen zur Röntgenkontrolle erschienen sei, erläuterte sie, dass sie keine kurzfristigen Termine erhalten habe, obwohl sie hierauf gedrängt habe. Sie sei sogar einmal in der belasteten Praxis abgewiesen worden und habe die Praxis mehrere Tage telefonisch nicht erreicht. Ein Termin sei ihr erst bei Aufsuchen der Praxis zugewiesen worden. Abschließende Begutachtung Die Gutachterkommission hat den Sachverhalt daraufhin erneut einer vollständigen und eigenständigen Überprüfung unterzogen und hiernach der Bewertung durch den Erstgutachter zugestimmt. Die Kommission hat dabei zunächst darauf hingewiesen, dass sie in ihren gutachtlichen Beurteilungen nach ihrer Verfahrensordnung ausschließlich die (schriftliche) Dokumentation der Behandlung und der Aufklärung der belasteten Ärzte sowie den übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten zu Grunde legt. Der streitige und der von der schriftlichen Dokumentation abweichende Vortrag der Beteiligten bleibe hingegen unberücksichtigt. Eine weitere Aufklärung des streitigen Sachverhalts sei der Kommission nicht möglich, da ihr – anders als in einem Gerichtsverfahren – die Anhörung der Beteiligten oder von Zeugen verwehrt sei. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Kommission zu den Einwendungen der Beteiligten für den hier zu prüfenden Behandlungsfall abschließend Folgendes festgestellt: Die Antragstellerin habe sich – der Dokumentation ihrer Behandlung folgend – nach Sturz am Vortag in der Praxis der belasteten Ärzte vorgestellt. Die Röntgenaufnahme an diesem Tag habe eine distale Radiusextensionsfraktur mit nur geringer Dislokation ergeben. Bei Annahme einer physiologischen Volarneigung der distalen Radiusgelenkfläche im seitlichen Bild von 8° habe die Fehlstellung etwa 10° nach dorsal betragen. Auffällig sei auch eine bereits vom Erstgutachter ausführlich beschriebene dorsale Trümmerzone. Derartige Frakturen würden zum Abrutschen nach dorsal neigen und eine engmaschige Röntgenkontrolle zwingend erforderlich machen. Wenn, wie dokumentiert, die Antragstellerin sich sowohl eine Woche als auch elf Tage nach Erstvorstellung vorgestellt habe, wäre eine Röntgenuntersuchung zur Stellungskontrolle problemlos möglich gewesen. An beiden Tagen sei eine Schwellung am Handgelenk beschrieben und die „volare Gipsschiene erneut angelegt“ worden. Bei diesen Vorstellungen hätten Röntgenkontrollen erfolgen können respektive nach einer Woche erfolgen müssen, zumal eine Entfernung der ruhigstellenden Schiene bei dorsaler Trümmerzone durchaus zur Dislokation führen konnte. Der Wunsch der Patientin nach konservativer Behandlung spiele insofern keine Rolle, da Patientinnen und Patienten auf die fachliche Expertise des behandelnden Arztes angewiesen seien. Eine Ablehnung jeglicher operativer Therapie müsse im Übrigen vom Arzt schriftlich dokumentiert werden, was hier nicht der Fall gewesen sei. Wie vom Erstgutachter bereits festgestellt, bestehe die konservative Standardtherapie in der Anlage einer dorso-radialen Gipsschiene oder eines gespaltenen Rundgipses, um ein weiteres Abrutschen nach dorsal zu verhindern. Durch die verspätete Diagnose der Abkippung nach handrückenwärts ist eine Verzögerung der adäquaten Behandlung von fünf Wochen mit den damit einhergehenden Schmerzen und zusätzlichen medizinischen Maßnahmen eingetreten. Es sei davon auszugehen, dass durch die Korrekturoperation eine anatomische Stellung erzielt werden konnte, so dass ein Dauerschaden durch die Verzögerung nicht entstanden sei. Zusammenfassend wird festgestellt, dass der von der Antragstellerin gegenüber den Ärzten erhobene Vorwurf ärztlicher Behandlungsfehler berechtigt ist. Dr. med. Ilja Windrath und Dr. med. Ulrich Gras sind Stellvertretende Geschäftsführende Kommissionsmitglieder, Dr. jur. Peter Lange ist Stellvertretender Vorsitzender und Dr. med. Tina Wiesener ist Leiterin der Geschäftsstelle der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein. 100 Kilometer Fußweg für ein medikament. das geht zu weit. Jede Spende hilft: www.medeor.de Die Notapotheke der Welt. medeor_Anzeige_100Kilometer_179x50mm_0u_Rheinisches_Aerzteblatt.indd 2 18.10.22 12:11
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