Mein Beruf Rheinisches Ärzteblatt / Heft 8 / 2025 43 Therapie für Jugendliche unterbringen, wo sie seitdem regelrecht aufblüht. : Welche Trends beobachten Sie bei Ihrer täglichen Arbeit? Frechen: Seit der Coronapandemie hat die Zahl psychisch belasteter Kinder und Jugendlicher deutlich zugenommen. Vor allem depressive Verstimmungen und Angststörungen treten häufiger auf. Zudem nehme ich verstärkten Leistungsdruck wahr – sowohl durch das Bildungssystem als auch durch gestiegene Erwartungen seitens der Eltern. In vielen Fällen ist daher auch eine elterliche Beratung ein zentraler Bestandteil der Behandlung. Ein weiteres großes Thema ist die exzessive Mediennutzung: Viele Kinder verbringen täglich mehrere Stunden am Bildschirm. Das hat für die Kinder allerdings gravierende Folgen: Sie leiden unter Schlafstörungen, sind wenig in der Lage sich anderweitig zu beschäftigen und können sich nicht mehr selbst regulieren. : Wie beeinflussen die sozialen Medien Ihre Patienten? Frechen: Ich habe ein etwas gespaltenes Verhältnis zu den sozialen Medien. Auf der einen Seite gibt es viele gute Kanäle, die beispielsweise sachlich über ADHS aufklären. Gleichzeitig sind Fehlinformationen weit verbreitet, auf deren Basis Patienten manchmal Selbstdiagnosen stellen. : Was wünschen Sie sich mit Blick auf die Zukunft? Frechen: Ich wünsche mir in der Gesellschaft eine bessere Aufklärung über psychische Erkrankungen. Erst kürzlich habe ich in einer Gesamtschule hier in der Region für die Lehrer einen Vortrag zum Thema ADHS gehalten, um für den Umgang mit betroffenen Schülern zu sensibilisieren. Darüber hinaus wünsche ich mir eine bessere Vernetzung mit den Kinderärztinnen und -ärzten, damit wir Patienten noch schneller helfen können. Ich fürchte allerdings, dass sich die Versorgungssituation in Zukunft verschlechtern wird. Teilweise warten Patienten jetzt schon lange auf Therapieplätze. Was mich allerdings sehr optimistisch stimmt, ist das steigende Bewusstsein für psychische Erkrankungen: Immer mehr Menschen – auch Prominente – sprechen öffentlich über ihre Therapieerfahrungen und ich denke, dass das Thema „psychische Erkrankungen“ langsam in der Mitte der Gesellschaft ankommt. Das Interview führte Marc Strohm Dr. Victoria Frechen, Fachärztin für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie Bei frühzeitiger Intervention sind große Fortschritte möglich Job, Beruf, Berufung? – An dieser Stelle berichten junge Ärztinnen und Ärzte über ihren Weg in den Beruf, darüber, was sie antreibt und warum sie – trotz mancher Widrigkeiten – gerne Ärztinnen und Ärzte sind. : Frau Dr. Frechen, was begeistert Sie an der Kinder- und Jugendpsychiatrie? Frechen: Die Kinder- und Jugendpsychiatrie ist ein sehr vielseitiges Fach: In meiner Praxis betreue ich Kinder und Jugendliche im Alter von 0 bis 21 Jahren Die Störungsbilder, die wir bei den älteren Kindern und Jugendlichen behandeln, reichen von Aufmerksamkeitsstörungen (ADHS), Depressionen, Zwangs- und Angststörungen über Essstörungen bis hin zu (drogeninduzierten) Psychosen. Viele dieser Erkrankungen lassen sich im Kindes- und Jugendalter deutlich besser behandeln als im Erwachsenenalter. Es ist sehr erfüllend zu sehen, welche Fortschritte bei frühzeitiger Intervention möglich sind. : Gibt es eine Erkrankung, auf die Sie einen besonderen Fokus gelegt haben? Frechen: Besonders wichtig ist mir das Thema Autismus. Häufig wird die Diagnose erst sehr spät gestellt – oft im jungen Erwachsenenalter. Die Betroffenen haben bis dahin nicht selten erhebliche psychosoziale Schwierigkeiten, brechen schulische oder berufliche Werdegänge ab und erleben über Jahre hinweg Unverständnis und Ausgrenzung. Dabei könnte durch frühzeitige Diagnostik, Therapie und Förderung viel Leid verhindert werden. : Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist? Frechen: Ich erinnere mich gut an eine fast 18 Jahre alte Patientin, die mit ihren Klassenkameraden kaum zurechtkam und belastende Mobbing- und Ausgrenzungserfahrungen gemacht hatte. Im Gespräch mied sie den Blickkontakt und ich erfuhr, dass sie zuhause allein in ihrem Zimmer oft über den Boden kroch, Hundegeräusche von sich gab und Symbole an ihre Zimmerwand malte. Sie sprach mit sich selbst in einer von ihr erfundenen Sprache. Letztlich diagnostizierte ich bei ihr einen Asperger-Autismus. Es machte mich betroffen, dass eine so gra- Foto: privat Dr. Victoria Frechen studierte Medizin in Köln. Nach ihrer Weiterbildung zur Kinder- und Jugendpsychiaterin und -psychotherapeutin in Viersen und Köln ließ sich die heute 38-Jährige vor sechs Jahren mit eigener Praxis in Leichlingen im Bergischen Land nieder. vierende Störung offenbar so lange niemandem aufgefallen war. Tatsächlich hatte die Mutter schon frühzeitig versucht, Hilfe zu finden. Doch die Stellen, die sie kontaktierte, zogen es nicht einmal in Erwägung, eine Vorstellung bei einem Facharzt zu vermitteln. Wir konnten die Patientin glücklicherweise ziemlich zügig in einer Autismus- Autismus ist für mich eine Herzensangelegenheit, weil ich immer wieder erlebe, wie viel Leid verhindert werden könnte, wenn Betroffene früh passende Hilfe bekommen würden.
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