Rheinisches Ärzteblatt 10/2025

Medienkompetenz Gesünder aufwachsen Gesundheits-Screening im Drogeriemarkt Ärzte kritisieren Vermischung von Heilkunde und Gewerbe Substitution bei Opioidabhängigen Für viele ist es ein Weg zurück in ein geregeltes Leben „Wir liefern die ethischen Argumente“ Neurotechnologie und Pflege auf der Agenda des Ethikrats Oktober 2025 Heft 10 / 30.09.2025 80. Jahrgang Körperschaft des öffentlichen Rechts Körperschaft des öffentlichen Rechts

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Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 3 Heft 10 • Oktober 2025 Prinzip Hoffnung? Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) steigen. Voraussichtlich klafft im kommenden Jahr bei der GKV wieder eine Lücke von vier Milliarden Euro. Um diese zu schließen, müssten, vereinfacht überschlagen, die Beitragssätze der GKV um 0,2 Prozent zulegen. Auch die angekündigten Darlehen und die Übernahme der Finanzierung des Krankenhaus-Transformationsfonds aus Steuermitteln werden daran wohl nichts ändern. Doch Beitragssatzsteigerungen will die Koalition mit Blick auf die dadurch ebenfalls zunehmenden Lohnnebenkosten verhindern und hat sich Anfang September darauf verständigt, die Beitragssätze für die Pflege- und Krankenversicherung zum 1. Januar 2026 nicht steigen zu lassen. Dieses Ziel lässt sich zwar formulieren, aber ohne Plan nicht erreichen. Denn das Wunschdenken nach dem Motto „irgendwo findet man schon noch Haushaltsgelder“ ist eigentlich kein Plan. Zumal bis Mitte September fraglich war, ob der Finanzminister bei klammen Kassen für die längst fällige Entlastung der Krankenkassen durch die Übernahme versicherungsfremder Leistungen sorgen wird. Das Leipziger Forschungsinstitut für Gesundheitsökonomie und Gesundheitssystemforschung hat errechnet, dass versicherungsfremde Leistungen schon im Jahr 2023 ein Volumen von fast 60 Milliarden Euro hatten. Erneute Beitragssatzsteigerungen wären sofort aus der Welt, würde sich die Koalition allein darauf einigen, die Leistungen für Bürgergeldempfänger in vollem Umfang zu übernehmen. Um rund zehn Milliarden Euro würden die gesetzlichen Krankenkassen damit entlastet. Doch das hatten schon Vorgängerregierungen versprochen und nicht umgesetzt. Um hier Druck auszuüben, hat der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen Mitte September beschlossen, die Bundesrepublik Deutschland zu verklagen – mit dem Ziel, die „systemische Unterfinanzierung der gesundheitlichen Versorgung von gesetzlich versicherten Bürgergeldbeziehenden“ zu beenden. Das ist konsequent, weil es nicht erklärlich ist, warum gesellschaftlich gewünschte Sozialleistungen allein von gesetzlich krankenversicherten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gestemmt werden sollen. Dass die Kosten der GKV weiter steigen, hat sicher noch weitere Gründe. Mit dem medizinischen Fortschritt nehmen Lebenserwartung und Therapiechancen zu. Und mit steigendem Alter geht eine höhere Wahrscheinlichkeit für chronische Erkrankungen und damit eine wachsende Nachfrage nach Gesundheitsleistungen einher. Laut Experten sorgt allein der technisch-medizinische Fortschritt dafür, dass das Gesundheitswesen jährlich um drei Prozent teurer wird. Auch die Kosten für Arzneimittel explodieren vornehmlich aufgrund neuer, patentgeschützter Arzneimittel. Allein zwischen 2020 und 2024 stiegen die Ausgaben um mehr als ein Viertel. Wenn auf Medikamente nicht mehr 19, sondern nur noch sieben Prozent Mehrwertsteuer fällig würden, würde das die GKV ebenfalls um weitere fünf bis sieben Milliarden Euro jährlich entlasten. Und so kann man durchaus fragen, warum der Staat beim Tierfutter und der Gastronomie den ermäßigten Mehrwertsteuersatz aufruft, dies aber bei verschreibungspflichtigen Medikamenten ausschließt. Da die Besetzung der FinanzKommission Gesundheit, die Vorschläge für Strukturreformen zur Stabilisierung der Beitragssätze in der GKV unterbreiten soll, erst Mitte September durch Bundesgesundheitsministerin Nina Warken erfolgte, sind von dieser frühestens Anfang nächsten Jahres Vorschläge zu erwarten. Da auch aus dem Bundesgesundheitsministerium bis Redaktionsschluss noch keine Gesetzesvorschläge zur Hebung von Effizienzreserven im Gesundheitssystem vorlagen, wird es wohl für 2026 beim Prinzip Hoffnung auf Haushaltsgelder bleiben, wenn Beitragssatzsteigerungen in der GKV wirklich vermieden werden sollen. Dr. Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein Foto: Jochen Rolfes

Institut für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein Tersteegenstraße 9, 40474 Düsseldorf Tel.: +49 211 4302-2751 E-Mail: iqn@aekno.de Die Veranstaltungen sind kostenfrei und mit 2 bzw. 3 Fortbildungspunkten anerkannt! Anmeldung erforderlich: www.iqn.de/Fortbildungen des IQN Internet: www.iqn.de N eue Impulse für den Praxisalltag: Professionelle Versorgung von Patientinnen und Patienten mit individuellen Bedürfnissen Mittwoch, 8. Oktober 2025, 16:00 – 17:30 Uhr, Live Online-Seminar • Interaktion mit demenziell veränderten Patientinnen und Patienten • Kommunikation und Interaktion mit Patientinnen und Patienten mit Behinderungen • Diversitäts- und kultursensibler Umgang mit Patientinnen und Patienten im Praxisalltag Serin Alma, Dr. Sandra Falkson, Dipl.-Soz.-Wiss. Aline Wybranietz, Dr. med. Sabine Mewes Gewalt gegen Kinder und Jugendliche erkennen und richtig handeln, Teil 14 Bildschirm statt Blickkontakt Mittwoch, 19. November 2025, 15:30 – 17:45 Uhr, Live Online-Seminar • Medienkonsum und seine Folgen für Körper und Psyche • Zwischen analogem Familienalltag und digitalen Lebenswelten – Beratung bei übermäßigem Medienkonsum • Mediensucht – Diagnose – Prävention – Therapie Hedwig Claes, Dipl. Psych. Marc Körner-Nitsche, Dr. med. Sabine Mewes u.a. 95. Fortbildungsveranstaltung „Aus Fehlern lernen“ in Zusammenarbeit mit der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler bei der Ärztekammer Nordrhein Geburtshilfe im Fokus zwischen Risikogeburt und Hebammenkreißsaal Dienstag, 25. November 2025, 17:30 – 19:45 Uhr, Live Online-Seminar • Mütterliche Geburtsverletzungen – schicksalhaft oder aufklärungspflichtig • Geburtsplanungs-Sprechstunde in der Klinik – Inhalte, Aufgaben und Fallstricke • Neonatale Asphyxie – Was ist vermeidbar? Für Hebammen anerkannt gemäß § 7 Abs. 2 Berufsordnung für Hebammen NRW Prof. Dr. med. Markus Fleisch, Univ.-Prof. Dr. med. Thorsten Orlikowsky, Dr. med. Patricia Van de Vondel, Prof. Dr. med. Friedrich Wolff, Dr. med. Sabine Mewes

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 5 Medienkompetenz Gesünder aufwachsen Heft 10 • Oktober 2025 Meinung Prinzip Hoffnung? Seite 3 Magazin Seite 6 bis 10 Coronapandemie: Enquete-Kommission nimmt Arbeit auf · Vor 50 Jahren · Gesund macht Schule ausgezeichnet · ä25: Fortbildungswoche startet in Bonn · Kammer Online · Initiative stärkt Laienreanimation · Behandlungsfehler: Zahl der Begutachtungsanträge nahezu unverändert · Studium und Berufseinstieg Thema Gesünder aufwachsen Seite 12 Spezial „Alles hat sich verändert“ Seite 14 Gesundheits- und Sozialpolitik Gesundheits-Screening im Drogeriemarkt Seite 18 Praxis Patient darf seinem Hausarzt ein Grundstück versprechen – der Arzt darf es aber nicht annehmen – Folge 149 der Reihe „Arzt und Recht“ Seite 19 Die KVNO Startpraxis Seite 20 Digitale Innovationen für Qualitätszirkel Seite 21 Interview „Wir entscheiden nicht, sondern liefern die ethischen Argumente“ Seite 22 Forum „Halt und Orientierung durch Selbsthilfe“ Seite 24 Wissenschaft und Fortbildung Patientin mit rezidivierender Konjunktivitis – Folge 86 der Reihe „Zertifizierte Kasuistik“ Seite 25 Fortbildungsveranstaltungen der Ärztlichen Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein Seite 28 RÄ Regional Seite 32 Bücher Seite 35 An Rhein und Ruhr Seite 37 Kulturspiegel Bei Brick macht es Klick Seite 38 Amtliche Bekanntmachungen Seite 39 Amtliche Bekanntmachungen der Ärztekammer Nordrhein auf www.aekno.de Amtliche Bekanntmachungen der KV Nordrhein auf www.kvno.de Impressum Seite 39 Mein Beruf „Es braucht mehr Wissen über Genitalbeschneidung“ Seite 47 Titelgestaltung: Eberhard Wolf Foto: FreshSplash / istockphoto.com „Alles hat sich verändert“ Für die Mehrheit der schwer opioidabhängigen Patienten ist die Substitutionsbehandlung die Therapie der Wahl. Sie eröffnet vielen die Chance auf eine Rückkehr in ein Leben mit eigener Wohnung, geregelter Arbeit und sozialen Kontakten außerhalb der Szene. „Wir liefern die ethischen Argumente“ Seit Oktober 2024 ist Professor Dr. iur. Helmut Frister Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Mit dem Rheinischen Ärzteblatt sprach der Düsseldorfer Straf- und Medizinrechtler unter anderem über anstehende Stellungnahmen zur Neurotechnologie und Langzeitpflege. Ärzteschaft und Gesundheitswissenschaft fordern seit Jahren, Verhaltens- und Verhältnisprävention auszubauen. Doch die Aufwendungen der gesetzlichen Krankenkassen bleiben gemessen an den Gesamtausgaben bescheiden. Aktuell im Fokus: der problematische Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen

6 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 Magazin Angestellte Ärzte Arbeit in Teilzeit liegt im Trend Immer mehr Ärztinnen und Ärzte, die in Einzelpraxen, Berufsausübungsgemeinschaften und Medizinischen Versorgungszentren beschäftigt sind, arbeiten in Teilzeit. Das geht aus einer Befragung von 700 ambulant angestellten Ärzten hervor, die die Apobank in Auftrag gegeben hat. Demnach sind derzeit 43 Prozent der Hausärzte (2021: 36 Prozent) und 49 Prozent der Fachärzte (2021: 44 Prozent) in Teilzeit tätig. Erwartungsgemäß sei das Teilzeit-Modell vor allem unter Ärztinnen weit verbreitet, erklärt die Apobank. 70 Prozent der befragten Teilzeitbeschäftigen seien Frauen. HK Bevölkerungsschutz Helfer nur bedingt einsatzbereit Lücken im Bevölkerungsschutz hat eine Studie der Deutschen Gesellschaft für Katastrophenmedizin (DGKM) aufgedeckt. Nach einer Befragung von fast 3.700 ehrenamtlichen Helfern stehen im Ernstfall nur etwa 44 Prozent bereit, so die DGKM. Mehr als die Hälfte von ihnen arbeite hauptberuflich in kritischen Infrastrukturen etwa im Gesundheitswesen, bei Versorgern oder in der öffentlichen Sicherheit. Im Krisenfall würden sie dort dringend gebraucht und könnten nicht gleichzeitig im Bevölkerungsschutz helfen. Die DGKM fordert deshalb unter anderem Doppelrollen und Mehrfachfunktionen systematisch zu erfassen. Außerdem benötige man eine bundesweit einheitliche Helfergleichstellung, die etwa die Freistellung vom Arbeitsplatz, Lohnfortzahlung und soziale Absicherung regele. HK Coronapandemie Enquete-Kommission nimmt Arbeit auf Mit dem Auftrag, die Coronapandemie umfassend aufzuarbeiten und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse zu ziehen, hat sich Anfang September die vom Deutschen Bundestag eingesetzte Enquete-Kommission konstituiert. Ihr gehören 14 Bundestagsabgeordnete und 14 Sachverständige an. Die Unionsfraktion stellt fünf Mitglieder, AfD und SPD je drei, Bündnis 90/Die Grünen stellen zwei Mitglieder und die Linke eines. Zur Vorsitzenden wurde die CDU-Abgeordnete Franziska Hoppermann gewählt. Wie der Bundestag mitteilt, soll die Kommission ein „Gesamtbild der Ursachen, Verläufe, Folgen sowie der staatlichen Maßnahmen“ während der Pandemie erstellen. Auch die Perspektiven der Bürgerinnen und Bürger sollen einbezogen werden. Ziel sei es, Transparenz zu schaffen und wissenschaftlich fundierte Handlungsempfehlungen für den Umgang mit künftigen Pandemien zu formulieren. Der Abschlussbericht der Kommission soll bis zum 30. Juni 2027 vorliegen. Deutschland sei vergleichsweise gut durch die Zeit der Pandemie gekommen, sagte Bundestagspräsidentin Julia Klöckner, die die konstituierende Sitzung leitete. Viele der damaligen Einschränkungen seien notwendig gewesen. Doch die Pandemie habe Wunden hinterlassen. Umso größer sei die Verantwortung, die damaligen politischen Entscheidungen und deren Folgen selbstkritisch aufzuarbeiten. HK Freiberuflichkeit Zwei Gerichtsurteile stärkten ärztliche Positionen Das Bundessozialgericht (BSG) und das Bundesarbeitsgericht fällten Entscheidungen darüber, wie die Früherkennungsuntersuchungen U1 und U2 abzurechnen seien. Die Urteile und deren Folgen stellte das Rheinische Ärzteblatt in seiner ersten Oktober-Ausgabe 1975 vor. Im August 1975 hatte das BSG entschieden, „daß Früherkennungsuntersuchungen bei Neugeborenen – wie alle anderen Früherkennungsuntersuchungen auch – keine Krankenhausleistungen sind“. Die Konsequenz daraus war, dass weder die Durchführung noch die Honorierung zwischen den gesetzlichen Krankenkassen und den Krankenhausträgern geregelt werden durften. Vielmehr gehörte auch die allererste Untersuchung im Säuglingsalter in den Katalog der kassenärztlichen Leistungen. Dem stehe nicht entgegen, dass rund 98 Prozent der Kinder in einem Krankenhaus zur Welt kamen, urteilten die Sozialrichter. Das Urteil hatte weitreichende Konsequenzen für die Kliniken. Die Kassenärztlichen Vereinigungen ermächtigten in der Folge die Ärztinnen und Ärzte, die die Geburt leiteten, die U1 durchzuführen. Für die U2 bekamen die leitenden Ärzte der Säuglingsstationen die Ermächtigung. Die Honorierung der Leistungen, stellte das BSG klar, erfolge ebenfalls über die Kassenärztlichen Vereinigungen. Das Krankenhaus blieb außen vor. Da die Untersuchungen als „Nebentätigkeit“ angesehen wurden, hatten Krankenhausträger versucht, den Ärzten eine solche nicht zu genehmigen. Dem Versuch, die Nebentätigkeitsgenehmigung zu verweigern, schob das Bundesarbeitsgericht einen Riegel vor. Gleichwohl wies das Gericht darauf hin, dass die ermächtigen Ärztinnen und Ärzte dem Krankenhaus die Kosten zu erstatten hätten, die durch die „Bereitstellung von Räumen, Einrichtungen, Material und Personal entstehen“. bre Umstritten sind die flächendeckenden Schulschließungen während der Coronapandemie. Sie haben zwar zur Eindämmung des Infektionsgeschehens beigetragen, Kinder und Jugendliche aber auch enorm psychisch belastet. Foto: bluedesign/stock.adobe.com

Magazin Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 7 Gesundheitspreis NRW Gesund macht Schule ausgezeichnet Ende August hat NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann in Düsseldorf an insgesamt vier Projekte den Gesundheitspreis Nordrhein-Westfalen 2024 verliehen. Mit dem Preis würdigte das Land Initiativen, die sich in besonderem Maße der Stärkung der Gesundheitskompetenz annehmen. Das langjährige Programm Gesund macht Schule von Ärztekammer Nordrhein und AOK Rheinland/Hamburg erhielt einen Sonderpreis. Gesund macht Schule erleichtere es Grundschulen mithilfe von Materialien, Fortbildungen und dem ehrenamtlichen Einsatz von Patenärztinnen und Patenärzten Gesundheitsthemen, wie Menschlicher Körper, Bewegung, Ernährung oder Ich-Stärkung in den Unterricht und das Schulleben einzubauen. „Der Sonderpreis motiviert uns natürlich sehr, unser Engagement an den Grundschulen im Rheinland fortzusetzen", sagte Dr. Sven Dreyer, Präsident der Ärztekammer Nordrhein, anlässlich der Preisverleihung. „Damit Gesundheit aber nicht nur Gesundheitsämter decken Förderbedarf auf Zum Ende der Sommerferien hat der Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes erneut auf die Bedeutung der Schuleingangsuntersuchungen hingewiesen. Sie seien weit mehr als ein ärztlicher Routinecheck. Die Teams der Gesundheitsämter führten nicht nur medizinische Untersuchungen, Entwicklungsscreenings und Gespräche mit den Familien durch, sondern berieten auch über möglichen Förderbedarf für die Kinder. Gerade Kinder aus benachteiligten Familien profitierten von den Schuleingangsuntersuchungen, erklärte der Verband. Sie leisteten damit einen entscheidenden Beitrag zur Chancengerechtigkeit. jf Kurz gemeldet Lotsendienste für belastete Familien Immer mehr junge Familien sind psychosozial belastet. In 15 Prozent der Familien sehen Geburtskliniken auch die gesunde Entwicklung des Kindes gefährdet. Das ist das Ergebnis einer bundesweiten Befragung in Kliniken mit mehr als 300 Geburten pro Jahr, die das Nationale Zentrum Frühe Hilfen zusammen mit dem Deutschen Krankenhausinstitut im Jahr 2024 durchgeführt hat. Im Vergleich beurteilte das Klinikpersonal im Jahr 2017 nur bei acht Prozent der Familien die Entwicklung des Kindes als gefährdet. Zwei Drittel der Geburtskliniken, und damit mehr als doppelt so viele wie 2017, bieten mittlerweile Lotsendienste an, die Familien an Unterstützungsangebote vor Ort vermitteln. jf G-BA stärkt ambulante Psychotherapie Künftig können Menschen mit einer durch psychotrope Substanzen verursachten Abhängigkeitserkrankung bis zu zwölf statt wie bisher zehn ambulante Sitzungen Psychotherapie in Anspruch nehmen, um eine Suchtmittelfreiheit zu erreichen. Das hat der Gemeinsame Bundesausschuss Ende August mitgeteilt. Weitere zwölf Behandlungsstunden sind möglich, wenn eine Suchtmittelfreiheit zwar noch nicht erreicht, aber ein realistisches Therapieziel ist, dessen Erreichen mit konkreten therapeutischen Schritten vereinbart ist. Damit sollen Psychotherapeuten flexibler auf den individuellen Bedarf der Patienten eingehen können. www.g-ba.de jf Facharztprüfungen Anmeldeschluss und Termine Der nächste zu erreichende Prüfungszeitraum zur Anerkennung von Facharztkompetenzen, Schwerpunktbezeichnungen und Zusatz-Weiterbildungen bei der Ärztekammer Nordrhein ist vom 19. bis 23. Januar 2026. Anmeldeschluss: Freitag, 28. November 2025 Ärztinnen und Ärzte, die zur Prüfung zugelassen sind, erhalten eine schriftliche Ladung mit dem genauen Prüfungstermin und der Uhrzeit mindestens 14 Tage vorher. www.aekno.de/Weiter bildung/Pruefungen ÄkNo Fachsprache Zahl der Prüfungen gestiegen Die Zahl der Fachsprachprüfungen ist im vergangenen Jahr in Nordrhein erneut gestiegen und erreichte mit 2.823 Prüfungen einen neuen Höchststand. Wie die Weiterbildungsabteilung der Ärztekammer Nordrhein mitteilte, wurde damit das bisherige Rekordjahr 2023 mit 2.040 Prüfungen um fast 40 Prozent übertroffen. Die meisten Prüfungskandidaten stammten aus Syrien (759), der Türkei (281) und Jordanien (213). Die Durchfallquote blieb mit 37 Prozent im Vergleich zum Vorjahr (2023: 36 Prozent) nahezu konstant. Die Kandidaten müssen bei der Fachsprachprüfung nachweisen, dass sie über die notwendigen Sprachkenntnisse verfügen, um ihre Patienten angemessen versorgen zu können. Geprüft wird die Anamneseerhebung mit Schauspielpatienten, die schriftliche Dokumentation und ein Kollegengespräch über Diagnose und Therapieempfehlungen. MST Preisverleihung an Gesund macht Schule: (v. l.) NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, Sabine Deutscher, AOK Rheinland/Hamburg, Dr. Sven Dreyer, Ärztekammer Nordrhein, und Josef Neumann, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses im NRW Landtag punktuell behandelt wird, muss das Thema mit mehr Verbindlichkeit in den Lehrplänen verankert und mit zusätzlichen Ressourcen hinterlegt werden.“ sas Foto: Sabine Schindler-Marlow

Magazin 8 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 Arztsuchen Arztregister listet Qualifikationen Mehr als 250 Arbeits- und Betriebsmediziner sind in der gleichnamigen Arztsuche gelistet. Auch hier stehen verschiedene Suchkriterien zur Verfügung. In der Datenbank der Verkehrsmediziner sind rund 480 nordrheinische Ärztinnen und Ärzte mit der entsprechenden Qualifikation verzeichnet. Auch in dieser Datenbank sind weitere Informationen, wie zum Beispiel Kontaktdaten enthalten. Über 500 Ärztinnen und Ärzte listet das Register „Ärztliche Gutachter“, das die ÄkNo betreibt. Die Ärztinnen und Ärzte verpflichten sich auf bestimmte Qualitätsstandards und informieren die ÄkNo über ihre Tätigkeit als ärztliche Sachverständige. Die Suchmaske erlaubt eine Vorauswahl der Rechtsgebiete Zivil-, Sozial- oder Strafrecht. Fragen und Anregungen sowie Kritik und Lob zum Internetangebot der Ärztekammer Nordrhein senden Sie bitte an die E-Mail-Adresse onlineredaktion@aekno.de. bre Die Ärztekammer Nordrhein (ÄkNo) stellt auf ihrer Homepage www.aekno.de Datenbanken zur Verfügung, in denen Ärztinnen und Ärzte mit bestimmten Qualifikationen aufgelistet sind. Die Datenbanken sind über www.aekno. de/arztsuchen zu erreichen. Grundsätzlich werden in den Arztregistern nur diejenigen Ärzte gelistet, die einer Veröffentlichung vorher zugestimmt haben. Eine Ausnahme stellt das Arztregister der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Nordrhein dar. Hier sind alle Ärzte verzeichnet, die an der kassenärztlichen Versorgung teilnehmen. Rund tausend Einträge enthält das Register der Weiterbildungsbefugten. Die Suchmaske erlaubt eine ausgefeilte Suche nach Ort, Postleitzahl, Fachgebiet oder Zusatz-Weiterbildung. Auch nach dem Namen eines Weiterbildungsbefugten kann gezielt gesucht werden. Vom 6. bis zum 11. Oktober lädt die Ärztliche Akademie für Fort- und Weiterbildung in Nordrhein zum Kongress ä25 ins World Conference Center Bonn. Auf dem Programm stehen mehr als einhundert Seminare, Fortbildungen und Vorträge, darunter DidaktikSeminare für Weiterbilder, DeeskalationsTrainings für Gesundheitsberufe sowie Kurse zur Sonografie und Notfallmedizin. Auch für Medizinische Fachangestellte gibt es Angebote, darunter ein EKG-Grundkurs. Ergänzt wird das Fortbildungsangebot durch ein gesundheitspolitisches Rahmenprogramm. So findet am Eröffnungsabend beispielsweise eine Diskussionsrunde zum Thema „Gesundheitssystem der Zukunft“ statt, bei der neben Matthias Heidmeier, Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen auch der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer, der Vorsitzende der KassenärztDie Kongresswoche ä24 lockte zahlreiche Ärztinnen und Ärzte ins World Conference Center. Foto: Jochen Rolfes Kongress ä25 Fortbildungswoche startet Anfang Oktober in Bonn Laienschulung Naloxon gegen Überdosis In Drogennotfalltrainings soll in NRW nicht medizinisches Personal in der Anwendung des Drogen-Notfallmedikamentes Naloxon geschult werden. Das teilte das Landesgesundheitsministerium mit. Naloxon kann als Nasenspray auch von Laien angewendet werden und die lebensbedrohliche atemdepressive Wirkung von Opioiden aufheben. Die von der Landesregierung geförderten Schulungen werden von der Aidshilfe NRW organisiert und richten sich unter anderem an Mitarbeitende von Drogenhilfeeinrichtungen, Ordnungsämtern oder Aidshilfen. Von 769 polizeilich erfassten Drogentoten im vergangenen Jahr sind 173 Menschen an einer Überdosis mit Opioiden gestorben. jf Suizid Präventionsgesetz gefordert Anlässlich des Welttages der Suizidprävention am 10. September hat die Bundesärztekammer (BÄK) ihre Forderung nach einem Suizidpräventionsgesetz erneuert. Jeder hundertste Verstorbene in Deutschland habe Suizid begangen, sagte BÄK-Präsident Dr. Klaus Reinhardt. Bei jungen Erwachsenen bis 25 Jahre sei Suizid sogar der häufigste Sterbegrund. Doch noch immer gebe es keine durchdachte Vorsorgestrategie und es mangele an leicht zugänglichen Hilfen für suizidgefährdete Menschen, erklärte Reinhardt. Er rief die Bundesregierung auf, schon jetzt die Suizidprävention bei den Haushaltsberatungen für 2026 ausreichend zu berücksichtigen. jf lichen Vereinigung Nordrhein, Dr. Frank Bergmann, sowie die kommissarische Ärztliche Direktorin am Universitätsklinikum Bonn, Professorin Dr. Alexandra Philipsen, erwartet werden. Informationen und Anmeldung unter www.kongress-ae.de MST

Magazin Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 9 Behandlungsfehler Zahl der Begutachtungsanträge nahezu unverändert gehören im Krankenhaus Orthopädie und Unfallchirurgie, Innere Medizin und Allgemeinchirurgie. Im ambulanten Bereich sind Orthopädie und Unfallchirurgie, Allgemeinmedizin und Augenheilkunde am häufigsten betroffen. Zu den häufigsten fehlbehandelten Krankheiten zählten 2024 in den Praxen bösartige Neubildungen der Brustdrüse, Unterarmfrakturen sowie Frakturen im Bereich des Handgelenkes und der Hand. Im Krankenhaus waren es Femurfrakturen, Schulter- und Oberarm-Frakturen sowie Unterschenkel- und Sprunggelenkfrakturen. Ziel der Statistik sei es, Fehlerhäufigkeiten zu erkennen und Fehlerursachen auszuwerten, um sie für die Fortbildung und Qualitätssicherung zu nutzen, erklärte die BÄK. HK Die Zahl der 2024 bei den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen eingegangenen Anträge zur Prüfung, ob ein Behandlungsfehler vorliegt, ist im Vergleich zum Vorjahr um ein Prozent von 7.529 auf 7.607 gestiegen. Das hat die Bundesärztekammer (BÄK) Mitte September mitgeteilt. Nach Angaben der BÄK wurden im vergangenen Jahr 4.163 Fälle entschieden. In 1.134 Fällen haben die ärztlichen und juristischen Gutachter einen Behandlungsfehler festgestellt. In 928 dieser Fälle waren ein Behandlungsfehler oder eine mangelnde Risikoaufklärung ursächlich für einen Gesundheitsschaden. Einen schweren Dauerschaden erlitten 119 Patienten, 70 starben. Zu den Fachgebieten, die am häufigsten von Behandlungsfehlervorwürfen betroffen sind, Vereinte Nationen Angriffe auf Helfer auf Rekordhoch Angesichts einer Rekordzahl von Angriffen auf humanitäre Helfer hat das Büro der Vereinten Nationen für die Koordinierung humanitärer Angelegenheiten (OCHA) an die internationale Gemeinschaft appelliert, die Zivilbevölkerung in Krieg und Krisen besser zu schützen und die Straflosigkeit der Täter zu beenden. OCHA zufolge sind im vergangenen Jahr 383 Helfer getötet worden, 31 Prozent mehr als 2023. 308 Helfer wurden verletzt, 125 entführt und 45 festgenommen. Derartige Angriffe verletzten das Völkerrecht und gefährdeten die Hilfe für Millionen Menschen, die in Kriegs- und Krisengebieten ausharren müssten, so OCHA. HK CIRS-NRW Katheterassoziierte Sepsis vermeiden Infektionen und Septikämien, die mit zentralen Venenkathetern assoziiert sind, stellen eine häufige und potenziell vermeidbare Komplikation der intensivmedizinischen Behandlung dar. Darauf weist CIRS-NRW hin. Zugrunde liegt der Fall eines Patienten mit Sepsis, die durch einen bereits seit 25 Tagen liegenden zentralen Venenkatheter verursacht wurde (Fall 273935). Um Infektionen zu vermeiden, sollte jede Klinik eine maßgeschneiderte Strategie für die Prävention entwickeln, rät CIRS-NRW. Teil dieser Strategie sei eine klinikinterne Leitlinie, in der unter anderem die Liegezeiten, die tägliche Begutachtung der Punktionsstelle, die Durchführung der Verbandwechsel und die Indikationsstellung verbindlich festgelegt seien (www.cirs-nrw.de). HK NRW rettet Leben Initiative stärkt Laienreanimation Der plötzliche Herz-Kreislauf-Stillstand zählt dem Deutschen Rat für Wiederbelebung (GRC) zufolge in Deutschland zu den häufigsten Todesursachen. Jedes Jahr könnten tausende Leben gerettet werden, wenn mehr Laien bis zum Eintreffen des Rettungsdienstes mit Wiederbelebungsmaßnahmen beginnen würden. Um möglichst vielen Menschen die Technik der Wiederbelebung zu vermitteln, gründete der GRC gemeinsam mit den Ärztekammern Nordrhein und Westfalen-Lippe vor zwei Jahren die Initiative „NRW rettet Leben“. Fachvorträge und praktische Übungen standen im Mittelpunkt der inzwischen vierten Fortbildung für Mitarbeiter im öffentlichen Dienst/IHK Anfang September 2025 im Haus der Ärzteschaft in Düsseldorf. Zwar sei die Quote der Laienreanimation in den vergangenen 15 Jahren deutlich gestiegen, sagte der Präsident der Ärztekammer Nordrhein, Dr. Sven Dreyer. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern stehe man jedoch weiterhin schlechter da. Umso mehr begrüßte Dreyer, dass ab dem Schuljahr 2026/27 Reanimationsunterricht in der Sekundarstufe I in NRW verpflichtend eingeführt wird. Nun gelte es, Lehrkräfte entsprechend fortzubilden und die Schulen mit geeignetem Übungsmaterial auszustatten, erklärte Elmar Kugel, Sportdezernent im Regierungsbezirk Köln. Großes Potenzial sieht er in den Schulsanitätsdiensten. Diese gelte es, zu stärken, sodass sie langfristig das Thema im Sinne des Konzepts „Schüler trainieren Schüler“ an den Schulen etablieren könnten. MST Prüfen, rufen, drücken: Welche Handgriffe bei der Laienreanimation Leben retten können, demonstrierten Dr. Sven Dreyer (r.), Präsident der Ärztekammer Nordrhein, und Professor Dr. Bernd Böttiger (l.), Vorstandsvorsitzender der GRC, im Rahmen der Initiative „NRW rettet Leben“. Foto: Marc Strohm

10 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 Magazin – Studium und Berufseinstieg Passen zehn Semester Medizinstudium in hundert Tage? Natürlich nicht. Aber probieren kann man es ja! Seit vielen Wochen ist mein Alltag sehr konstant, ausgerichtet auf meine zweite Ärztliche Prüfung im Medizinstudium (M2) im Oktober: Aufstehen, frühstücken, alte Prüfungsfragen kreuzen, lesen. Dass es den 100-Tage-Lernplan von Amboss gibt und die Plattform über Lehrmittel für die Aachener Medizinstudierenden bezahlt wird, ist ein Segen. Die Krankheitsbilder sind übersichtlich zusammengefasst, alle Antwortmöglichkeiten der alten Fragen werden erklärt und ob man bis zur Prüfung mit dem Lernstoff durchkommt, ist eine simple Rechenaufgabe. Für das M2 zu lernen, heißt, das Studium Revue passieren lassen. Ich bemerke, welche Themen schon längst fester Bestandteil meines medizinischen Wissens sind, zum Beispiel weil ich die Innere Medizin liebe oder weil wir in Aachen schon seit dem dritten Semester Pharmakologie lernen. Gleichzeitig gibt es Fächer, wie in meinem Fall zum Beispiel Augenheilkunde, die ich in den zwei dafür eingeplanten Tagen nicht ganz zu durchdringen vermag. Am Ende ist es natürlich nicht das Ziel, alles zu wissen – das wird auch mit Sicherheit im Berufsleben nicht so sein. Und auch wenn das Institut für medizinische und pharmazeutische Prüfungsfragen (IMPP) gerne mal absurd schwere Fragen stellt, die von Amboss nur mit „Willkommen in der FacharztPrüfung“ kommentiert werden, hoffe ich doch, dass mir die letzten Jahre neben gefestigtem Wissen zusätzlich eine gute Portion medizinischer Intuition verliehen haben. Aber mal ehrlich – meine Patientinnen und Patienten werden mir in den wenigsten Fällen von sich aus fünf Differenzialdiagnosen präsentieren. Auch wenn Single Choice-Fragen wohl die einfachste Art sind, umfangreich medizinisches Wissen zu prüfen, kommt es mir abstrakt vor, auf diese Art sicherzustellen, dass frischgebackene Ärztinnen und Ärzte alle Behandlungsabläufe und Differenzialdiagnosen richtig im Kopf haben. Das Lernen im klinischen Alltag geschieht über so viele Sinne – daran kann alles Lesen und Kreuzen niemals herankommen. Meine Hoffnung liegt auf einem Praktischen Jahr mit guter Lehre und der Möglichkeit, all die Theorie weiter mit echten Patientinnen und Patienten zu verinnerlichen. Wie erlebt Ihr das Medizinstudium? Schreibt mir unter medizinstudium@aekno.de. Innovationsprojekt Das Krankenhaus von morgen Für ein umfangreiches Medizin-Digitalisierungsprojekt stellte das Land Nordrhein-Westfalen dem Uniklinikum Bonn (UKB) über drei Jahre insgesamt 17,4 Millionen Euro zur Verfügung. Ergebnisse wurden kürzlich auf dem Innovative Secure Medical Campus (ISMC) in Bonn vorgestellt. Künstliche Intelligenz (KI), Robotik, Virtual Reality und moderne Netzwerktechnologien verdeutlichen, wie die Patientenversorgung in einem Universitätsklinikum in der Zukunft gestaltet werden kann, teilte das UKB dazu mit. Entwickelt wurden Lösungen für den medizinischen Alltag, bei denen Robotik, KI-gestützte Assistenzsysteme und Virtual Reality ineinandergreifen. „Wir entwickeln hier Werkzeuge, die Behandlungen sicherer und effizienter machen – von der Bildgebung über die Operationsplanung bis hin zur Simulation von Eingriffen“, sagte Professor Dr. Jörg Kalff, Direktor der Klinik und Poliklinik für Allgemein, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie des UKB und ISMC-Projektleiter. Zum Beispiel wurde eine UKB-App entwickelt, die Patientinnen und Patienten während ihres Aufenthalts bei der Anmeldung, der Terminbuchung oder bei der Orientierung auf dem Klinikgelände unterstützt. Bei der medizinischen Versorgung könnten zukünftig Anwendungen bei der Planung von Operationen helfen, bei Tumorboards oder der Beteiligung von Patienten, unabhängig vom Standort der Beteiligten. Auch KI-gestützte Visualisierungen zum Beispiel bei der Tumorerkennung oder der Risikoanalyse könnten direkt in den ärztlichen Arbeitsalltag einfließen. In der Pflegeausbildung könnten komplexe Abläufe mit Hilfe von Virtual-Reality-Brillen realitätsnah trainiert werden. bre Fortbildung Train the Trainer Das Kompetenzzentrum Weiterbildung Allgemeinmedizin in Nordrhein veranstaltet am Mittwoch, 5. November 2025 einen weiteren Train-theTrainer-Aufbauworkshop. Die Train-the-Trainer-Workshops, die regelmäßig angeboten werden, bestehen aus einem Basis- und einem Aufbaumodul. Die kostenfreien OnlineSeminare verbinden evidenzbasierte Fachinformationen mit praxisnahen Trainings. Dabei legt das interaktive Format den Fokus auf kollegialen Austausch und schafft Raum für die gemeinsame Bearbeitung typischer Herausforderungen im Weiterbildungsalltag von Weiterbildungsbefugten der Allgemeinmedizin und Pädiatrie. Im Basisseminar werden grundlegende didaktische Methoden vermittelt, die für Weiterbildungs- und Feedbackgespräche nützlich sein und zu einer motivierenden Lernumgebung beitragen können. Dabei erproben die Seminarteilnehmerinnen und -teilnehmer direkt die erlernten Inhalte mit Schauspielern, die Ärzte in Weiterbildung simulieren. Bei den Aufbauseminaren steht die Vertiefung der didaktischen Fähigkeiten im Vordergrund. Themen sind beispielsweise die Vermittlung von Praxismanagementkompetenzen und der Umgang mit schwierigen Situationen. Die jeweiligen Module sind mit 8 Punkten anerkannt. Der Aufbauworkshop am 5. November 2025 richtet sich an Weiterbildungsbefugte, die den Basiskurs bereits absolviert haben oder andere didaktische Vorerfahrungen mitbringen. Weitere Informationen: www.kompetenzzentrumnordrhein.de. bre Mail aus Aachen Carla Schikarski Foto: privat

BERATUNG AUF EINEN BLICK www.aekno.de/aerzte/beratung ARZNEIMITTELBERATUNG Dr. med. Ina Falbrede, 0211 4302 2280 ina.falbrede@aekno.de KRISENINTERVENTION NACH TRAUMATISCHEN ERFAHRUNGEN IM ÄRZTLICHEN BERUF Dr. med. Stefan Spittler, 0172 2425122 dr.stefanspittler@t-online.de BERATUNGSSTELLE FÜR SEXUELLE BELÄSTIGUNG AM ARBEITSPLATZ RAin Katharina Eibl, Aggi Schneider 0211 4302 2306 Katharina.Eibl@aekno.de Aggi.Schneider@aekno.de MOBBINGBERATUNG Stefanie Esper M. A., 0211 4302 2204 stefanie.esper@aekno.de SUBSTITUTIONSGESTÜTZTE BEHANDLUNG OPIOIDABHÄNGIGER Jo Shibata, 0211 4302 2213 stefan.kleinstueck@aekno.de BERUFSRECHTLICHE BERATUNG 0211 4302 2303 rechtsabteilung@aekno.de CIRS-NRW – PATIENTENSICHERHEIT Judith Singer, 0211 4302 2218 judith.singer@aekno.de www.cirsmedical.de/nrw GOÄ Dr. med. Anja Pieritz, Dr. med. Kerrin Prangenberg, Sevda Thomas 0211 4302-2133, -2134, -2135 goae@aekno.de GRENZVERLETZUNGEN UND MISSBRAUCH Dr. med. Axel Herzog, Dr. med. Elisabeth Lüking, Nadja Rößner, Thomas Gröning, 0211 4302 2500 patientenberatung@aekno.de INTERVENTIONSPROGRAMM FÜR ABHÄNGIGKEITSKRANKE ÄRZTE Dr. med. Stefan Spittler, 0172 2425122 dr.stefanspittler@t-online.de PATIENTENBERATUNG Dr. med. Axel Herzog, Dr. med. Elisabeth Lüking, Nadja Rößner, Thomas Gröning 0211 4302 2500 patientenberatung@aekno.de PRÄVENTIONSGESETZ Sabine Schindler-Marlow, Snezana Marijan 0211 4302 2010, -2031 snezana.marijan@aekno.de ARBEITSSICHERHEIT UND BETRIEBSMEDIZIN Stefanie Esper M. A., 0211 4302 2204 stefanie.esper@aekno.de MEDIZINETHISCHE BERATUNG (GRÜNDUNGSAUSSCHUSS) Stefan Kleinstück, 0211 4302 2208 ethikberatung@aekno.de QS-STRAHLENSCHUTZ Thomas Winter 0211 4302 2290 qsradnr@aekno.de ÄRZTLICHES HILFSWERK Stefan Kleinstück, 0211 4302 2566 aerztliches.hilfswerk@aekno.de WEITERBILDUNG Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner finden Sie auf der Internetseite www.aekno.de/weiterbildung Cameravit/istockphoto.com, denisismagilov/stock.adobe.com, Ed Telling/istockphoto.com, fizkes/stock.adobe.com, Alvaro Heinzen/istockphoto.com, Till Erdmenger, jeremias münch/stock.adobe.com, wavebreakmediaMicro/stock adobe.com, PeopleImages/ istockphoto.com, wavebreakmedia/istockphoto.com, Vassiliki Latrovali, Viktor_ Gladkov, pressmaster/stock. adobe.com, unsplash/gettyimages, alvarez/istockphoto.com, Minerva Studio/Fotolia, virtua73/Fotolia, Westend61/Fotolia

Thema 12 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 Foto: FreshSplash / istockphoto.com Neun Zeilen widmen Union und SPD in ihrem Koalitionsvertrag der Prävention. „Krankheitsvermeidung, Gesundheitsförderung und Prävention spielen für uns eine wichtige Rolle“, heißt es dort. Den Schwerpunkt legen die Koalitionäre auf die Erweiterung der U-Untersuchungen für Kinder, freiwillige kommunale Angebote für vulnerable Gruppen sowie die gesundheitlichen Folgen von Einsamkeit. Geprüft werden soll zudem, wie der Öffentliche Gesundheitsdienst nachhaltig gestärkt werden kann. Das ist kein ambitioniertes Programm angesichts einer alternden Gesellschaft, eines sich verschärfenden Fachkräftemangels in den Gesundheitsberufen und explodierender Krankenkassenbeiträge. Die Bundesärztekammer (BÄK) hatte diese Gemengelage Ende 2024 zu der Forderung motiviert, die Themen Prävention, Gesundheitskompetenz und Gesundheit in allen Politikfeldern (Health in All Policies) ganz oben auf die Agenda einer neuen Bundesregierung zu setzen. Ziel müsse es sein, den Menschen eine gesunde Lebensführung nahezubringen und dadurch die Zahl der „Volkskrankheiten“ zu senken. Es fehlt eine Gesamtstrategie Auch die Gesundheitsministerkonferenz der Länder sprach sich bei ihrer jüngsten Sitzung im Juni dafür aus, Prävention und Gesundheitsförderung als zentrale Säulen des Gesundheitssystems auszubauen und das Präventionsgesetz von 2015 weiterzuentwickeln. Damals hatte der Gesetzgeber das Ziel formuliert, gesunde Lebenswelten zu stärken. Prävention und Gesundheitsförderung sollten in jedem Lebensalter und in allen Lebensbereichen als gemeinsame Aufgabe von Sozialversicherungsträgern, Ländern und Kommunen gestaltet, die Früherkennungsuntersuchungen fortentwickelt und das Impfwesen gefördert werden. Seither hat es in einigen dieser Bereiche Verbesserungen gegeben, und die Ausgaben für Präventionsmaßnahmen haben sich fast verdoppelt. Dennoch beklagen Experten auch zehn Jahre nach Inkrafttreten des Präventionsgesetzes eine fehlende Gesamtstrategie. Anlässlich des Jahrestages forderte der Verband der Privaten Krankenversicherung einen „Neustart“, während die BÄK die fehlende strukturelle Vernetzung der medizinischen Präventionsangebote mit Maßnahmen in den Lebenswelten kritisierte und beklagte, dass insbesondere die Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen in Kita und Schule nicht ausreichend gestärkt werde. Ähnlich beurteilen das die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die von deutscher Seite an der jüngsten Kinder- und Jugendgesundheitsstudie „Health Behaviour in School-aged Children“ der Weltgesundheitsorganisation beteiligt waren, die seit mehr als 40 Jahren Daten zur Kindergesundheit erhebt. „Im Kindes- und Jugendalter wird der Grundstein für die Gesundheit im Erwachsenenalter gelegt“, schreiben die Autoren im Journal of Health Monitoring anlässlich der Veröffentlichung ihrer Studienergebnisse im März 2024. Demnach haben sich die Belastungen der Kinder und Gesünder aufwachsen Knapp 631 Millionen Euro jährlich haben die gesetzlichen Krankenkassen zuletzt für Prävention und Gesundheitsförderung ausgegeben – angesichts der GKV-Gesamtausgaben von rund 320 Milliarden Euro ein bescheidener Betrag. Dabei fordern Ärzteschaft und Gesundheitswissenschaft seit Jahren, Verhaltens- und Verhältnisprävention auszubauen. Aktuell im Fokus: der problematische Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen und dessen negative Folgen für die Gesundheit von Heike Korzilius

Thema Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 13 Jugendlichen im Laufe der Zeit verändert. Während in den 1990er- und 2000er-Jahren vor allem der Substanzkonsum besorgniserregend gewesen sei, seien die Kinder und Jugendlichen heutzutage insbesondere mental belastet – unter anderem infolge der Coronapandemie. Auch der Umgang mit Krisen, der Klimawandel, die steigende soziale und gesundheitliche Ungleichheit sowie der Einfluss sozialer Medien seien „Herausforderungen“ für die Kinder- und Jugendgesundheit. Letzterer steht zurzeit besonders im Fokus der Öffentlichkeit. Den risikoreichen oder pathologischen Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen untersucht seit 2019 in regelmäßigen Abständen das Deutsche Zentrum für Suchtfragen des Kindes- und Jugendalters (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf. Finanziell gefördert wird die Längsschnittstudie von der Krankenkasse DAK. Der jüngsten Erhebung zufolge zeigen mehr als 25 Prozent aller Zehn- bis 17-Jährigen eine riskante Nutzung sozialer Medien, 4,7 Prozent gelten als abhängig. Insgesamt sind dem DZSKJ zufolge rund 1,3 Millionen Kinder und Jugendliche betroffen. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 lag der Anteil der problematischen Social-Media-Nutzung nur bei 11,4 Prozent. Mediensucht bei Kindern und Jugendlichen sei zu einem dauerhaften und ernsten Problem geworden, folgerte die DAK. Vor diesem Hintergrund hat sich die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina in einem Diskussionspapier Mitte August für wirksame Altersgrenzen bei der Social Media-Nutzung und für die Einschränkung suchterzeugender Funktionen auf TikTok, Instagram und Co. ausgesprochen. Zwar räumen die Wissenschaftler ein, dass die Nutzung sozialer Medien für Heranwachsende durchaus positive Effekte haben könne, zum Beispiel die Pflege sozialer Kontakte oder die Eigendarstellung. Bei intensiver Nutzung könnten jedoch negative Auswirkungen auf das psychische, emotionale und soziale Wohlbefinden auftreten. Altersgrenze für Social Media Die Wissenschaftler sehen angesichts dieser Gefahren politischen Handlungsbedarf und fordern, Kindern unter 13 Jahren die Einrichtung eines Social-Media-Accounts zu verbieten. Für 13- bis 15-jährige Jugendliche sollten soziale Medien nur nach gesetzlich vorgeschriebener elterlicher Zustimmung nutzbar sein. Für 13- bis 17-Jährige sollten soziale Netzwerke darüber hinaus altersgerecht gestaltet werden, beispielsweise bei den algorithmischen Vorschlägen, durch ein Verbot von personalisierter Werbung oder durch die Unterbindung suchterzeugender Funktionen wie Push-Nachrichten und endloses Scrollen. Hier sehen die Wissenschaftler vor allem auf EU-Ebene Möglichkeiten der Regulierung, inklusive eines datenschutzkonformen digitalen Altersnachweises. Außerdem empfiehlt die Leopoldina, die Nutzung von Smartphones in Kitas und Schulen bis einschließlich Klasse 10 zu verbieten. Um einen reflektierten Umgang mit sozialen Medien zu fördern, solle ein „digitaler Bildungskanon“ in Kitas und Schulen verankert werden. Die Politik hat einige dieser Themen bereits aufgegriffen. So hat Bundesbildungsministerin Karin Prien Anfang September eine Expertenkommission eingesetzt, die Empfehlungen für einen besseren Jugendschutz im Internet erarbeiten soll. Erörtert werden soll dort auch ein mögliches Mindestalter für die Nutzung von Social Media. Dabei sind Nutzungsbeschränkungen politisch nicht unumstritten. Schließlich, so die Kritiker einer Beschränkung, hätten Kinder und Jugendliche ein Recht auf Teilhabe. Sie fordern stattdessen mehr Medienkompetenz. Handyverbot an Schulen Konkrete Schritte gegen eine übermäßige Mediennutzung hat NRW-Schulministerin Dorothee Feller eingeleitet. Bis zu den Herbstferien müssen sich die Schulen im Land eigene altersgerechte Regeln für die private Handynutzung geben und diese verbindlich in die Schulordnung aufnehmen. Eine „exemplarische Handyordnung“ soll die Schulen dabei unterstützen. Darin empfiehlt das Ministerium beispielsweise, in den Grundschulen die Nutzung von Handys und Smartwatches auf dem Schulgelände nicht zu erlauben. Viele Schulen hätten sich bereits Regeln gegeben, auf denen man aufbauen könne, so die Ministerin. Denn klar sei: „Ein zu hoher Medienkonsum beeinträchtigt die Konzentration im Unterricht und das soziale Miteinander in den Pausen.“ Neben den Schulen sind insbesondere die Eltern gefordert, die Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen zu fördern und sie vor schädlichen Inhalten oder übermäßigem Konsum zu schützen. Deren Handeln passt allerdings der DAK-Suchtstudie zufolge häufig nicht zum eigentlichen Erziehungsanspruch. Etwa 40 Prozent der Eltern legten den zeitlichen Umfang der Mediennutzung nicht hinreichend fest. Ein Viertel moderiere die Inhalte nicht. Zugleich wünschten sich Eltern häufig zusätzliche Informationen oder gar Hilfe. Hier setzt ein Modul des Präventionsprogramms Gesund macht Schule an, das die Ärztekammer Nordrhein und die AOK Rheinland/Hamburg seit mehr als 20 Jahren erfolgreich in den Grundschulen im Rheinland umsetzen (siehe auch Seite 7), um die Gesundheitskompetenz der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Mit Zahlen, Daten und Fakten zum Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen unterstützt das Programm die etwa 320 teilnehmenden Schulen bei der Elternarbeit. Begleitet wird das Programm Gesund macht Schule vom Ausschuss Prävention und Gesundheitsförderung der Ärztekammer Nordrhein. Auch deren Präsident Dr. Sven Dreyer ist die Förderung der Medien- und Gesundheitskompetenz der Kinder und Jugendlichen ein besonderes Anliegen. „Medienkompetente Kinder können beispielsweise Falschinformationen im Gesundheitsbereich frühzeitig erkennen und sie werden befähigt, ‚Nein‘ zu gesundheitsgefährdenden Challenges zu sagen, die sich über soziale Medien wie TikTok, YouTube und WhatsApp verbreiten und oft zu Verletzungen, bleibenden Schäden oder sogar zum Tod führen können.“

14 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025

Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 15 Spezial „Alles hat sich verändert“ Für die Mehrheit der schwer opioidabhängigen Patienten ist die Substitutionsbehandlung die Therapie der Wahl. Sie eröffnet vielen die Chance auf eine Rückkehr in ein Leben mit eigener Wohnung, geregelter Arbeit und sozialen Kontakten außerhalb der Szene. Doch während die Zahl der Patienten innerhalb der letzten zehn Jahre leicht gestiegen ist, geht die der substituierenden Ärztinnen und Ärzte zurück. von Heike Korzilius Düsseldorf, Flurstraße 45: Es ist zehn Uhr morgens an einem warmen Spätsommertag. In den Hauseingängen und auf dem angrenzenden Karl-Wagner-Platz sitzen und stehen in kleinen Gruppen Männer und wenige Frauen, denen man ansieht, dass das Leben es nicht immer gut mit ihnen gemeint hat. Das Suchthilfezentrum des Sozialdienstes Katholischer Frauen und Männer (SKFM) bietet ihnen eine Anlaufstelle abseits der offenen Drogenszene. Die Klienten können dort duschen und ihre Wäsche waschen. Es gibt ein Kontaktcafé, ein Angebot ambulant betreuten Wohnens, und die Sozialarbeiter vor Ort sind Ansprechpartner für Probleme aller Art. Substitution – Therapie der Wahl Ziele der substitutionsgestützten Behandlung schwer Opioidabhängiger sind, das Überleben der Patienten zu sichern, ihren Gesundheitszustand zu stabilisieren, den Drogenkonsum zu minimieren und den Betroffenen Teilhabe am gesellschaftlichen und am Arbeitsleben zu ermöglichen. Schon die tägliche Einnahme des Ersatzmedikaments unter Aufsicht in der Substitutionsambulanz schafft Struktur. Das Suchthilfezentrum in der Düsseldorfer Flurstraße arbeitet mit einem integrativen Ansatz von Substitution, die ein Teil der Klienten in Anspruch nimmt, Sozialarbeit und psychosozialer Hilfe. Foto groß: Deutsche Aidshilfe/Johannes Berger Foto klein: HK

16 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 Spezial Die Idee hinter dem Suchthilfezentrum, das 2022 aus einem Modellprojekt der Stadt Düsseldorf hervorging, ist, Hilfsangebote für Drogenkonsumierende zu bündeln, niederschwellig zugänglich zu machen sowie das Zusammenspiel zwischen psychosozialer und ärztlicher Betreuung zu intensivieren. Zum Konzept gehört deshalb auch die Substitutionsambulanz im Hinterhaus des Zentrums. Betrieben wird sie von Dr. Dagmar Anheyer, Allgemeinärztin mit suchtmedizinischer Zusatzqualifikation, die sich schon seit gut 20 Jahren in der Substitutionsbehandlung schwer opioidabhängiger Menschen engagiert und die ihre Praxis mit dem Start des Zentrums in die Flurstraße verlegt hat. Anheyer, zupackend und zugewandt, schätzt den ganzheitlichen Ansatz aus psychosozialer und medizinischer Betreuung, der die Arbeit im Suchthilfezentrum prägt. Die Gabe der Ersatzmedikamente sei ein wichtiger Teil der Therapie und Wiedereingliederung. Sie nehme den Menschen den Sucht- und Beschaffungsdruck. „Die Patienten müssen nicht mehr klauen gehen, sie müssen sich nicht mehr prostituieren“, sagt Anheyer. Die suchtmedizinische Betreuung ermögliche zugleich, Begleiterkrankungen zu erkennen, zu behandeln und damit auch Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatiden einzudämmen. „Das erspart dem Gesundheitswesen Kosten, weil beispielsweise lange Krankenhausaufenthalte vermieden werden. Dieser Aspekt wird leicht übersehen“, sagt Anheyer. Die Behandlung der Opioidabhängigen ist streng geregelt. Rechtliche Grundlage sind die Betäubungsmittelverschreibungs-Verordnung, die Richtlinien der Bundesärztekammer und die Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Als Ersatzmedikamente zugelassen sind Levomethadon, Methadon oder Buprenorphin, in Ausnahmefällen auch Codein oder Dihydrocodein und Diamorphin. Bezahlt wird die Substitutionstherapie seit 1991 von den gesetzlichen Krankenkassen. Seit 2009 ist auch die Therapie Schwerstabhängiger mit Diamorphin Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs. Traumata hinter der Sucht Über die Wahl des Ersatzmedikaments und dessen Dosierung entscheidet Anheyer gemeinsam mit den Patienten. „Das muss man sehr individuell einstellen – so wenig wie möglich, so viel wie nötig“, meint die Ärztin. Eine optimale Dosierung könne dabei helfen, Arbeitsfähigkeit herzustellen oder schlicht Beikonsum zu vermeiden. Hinter der Sucht steckten oft schwerste Traumatisierungen. Manche Patienten seien so jung in die Abhängigkeit geraten, „die haben im normalen Leben nie Fuß fassen können“. Da sei es wichtig, dass die Menschen durch die Substitution nicht nur wieder zurück ins Medizinsystem fänden, sondern in Zentren wie der Flurstraße 45 auch sozialarbeiterisch begleitet und psychosozial betreut würden. „Die Patienten haben hier Ansprechpartner, wenn es Ärger mit dem Vermieter gibt oder die Staatsanwaltschaft einen Stellungsbefehl zum Haftantritt ausgestellt hat. Die Sozialarbeiter begleiten die Menschen, wenn nötig, zum Arzt und zum Gericht“, sagt Anheyer. Man habe so die Möglichkeit, die Klienten „wieder ein bisschen“ gesellschaftlich zu integrieren. Erstmals eine Tagesstruktur Dazu trage auch die Substitutionstherapie als solche bei. Denn die Patientinnen und Patienten müssen ihre Ersatzmedikamente vor Ort unter Aufsicht einnehmen – jeden Tag. „Für viele ist es das erste Mal im Leben, dass sie eine Tagesstruktur haben. Wenn sie zum Teil über Jahre hinweg einmal täglich hierherkommen, ist das manchmal schon ein Riesenerfolg“, sagt Anheyer. Etwa ein Fünftel ihrer Patientinnen und Patienten erhalte eine sogenannte Take Home-Verordnung für fünf Tage, die sie selbst in der kooperierenden Apotheke einlösen könnten. Der Großteil dieser Patienten gehe wieder einer regulären Arbeit nach und müsse sich dann am Wochenende wieder in der Praxis vorstellen. Voraussetzung für die Take Home-Verordnung sei, dass die Patienten stabil und frei von Beikonsum seien. Auch bei Pflegebedürftigkeit, die einem täglichen Erscheinen entgegenstehe, sei das Take Home unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Von dem ursprünglichen Therapieziel der Abstinenz habe sich die Suchtmedizin im Laufe der Jahre gelöst, sagt Anheyer. Beikonsum versuche man dadurch zu verhindern, dass man die Patienten ermutige, sich in stressigen Situationen mit erhöhtem Suchtdruck an den Arzt oder die Ärztin zu wenden, um gegebenenfalls die Dosis des Ersatzmedikaments vorübergehend anzupassen. „Sonst verliert man die Patienten wieder an die Straße“, so Anheyer. Axel Dannenfeld scheint sich seinen Platz im Leben zurückerobert zu haben. Der 63-Jährige erscheint pünktlich zum Gesprächstermin. Er wird seit 2018 in der Substitutionsambulanz von Dagmar Anheyer mit Methadon versorgt und ist einer ihrer Take Home-Patienten. Er hat gerade Mittagspause, arbeitet 30 Stunden die Woche im Programm ETAPPE der Caritas, das sich an Menschen in Substitution richtet. „Ich bin da in der IT tätig“, sagt Dannenfeld, der eigentlich gelernter Maurer ist. Die dazu notwendigen Kenntnisse habe er sich erst einmal aneignen müssen, aber alles, was mit Computern zu tun habe, interessiere ihn und mache ihm Spaß. „Ich mache, was anfällt: Notebooks neu installieren, Updates aufspielen. Außerdem verwalte ich das Lager“, beschreibt er seinen Arbeitsalltag. Dass er nach jahrzehntelanger Heroinabhängigkeit wieder eine Arbeit und eine eigene Wohnung hat, ein geregeltes Leben führt, hat für Dannenfeld viel mit der Substitutionsbehandlung zu tun. Denn mehrere Entzugsversuche, darunter ein halbjähriger Aufenthalt in einer Suchtklinik, waren zuvor gescheitert. „Ich bin raus aus der Therapie und nach einem oder zwei Tagen war ich wieder dabei“, sagt Dannenfeld. „Clean geworden bin ich dadurch nicht.“ Dazu kamen zahlreiche Haftstrafen wegen Beschaffungskriminalität. „Ich bin 1983 zum ersten Mal mit Heroin in Kontakt gekommen“, erzählt Dannen-

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