16 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 Spezial Die Idee hinter dem Suchthilfezentrum, das 2022 aus einem Modellprojekt der Stadt Düsseldorf hervorging, ist, Hilfsangebote für Drogenkonsumierende zu bündeln, niederschwellig zugänglich zu machen sowie das Zusammenspiel zwischen psychosozialer und ärztlicher Betreuung zu intensivieren. Zum Konzept gehört deshalb auch die Substitutionsambulanz im Hinterhaus des Zentrums. Betrieben wird sie von Dr. Dagmar Anheyer, Allgemeinärztin mit suchtmedizinischer Zusatzqualifikation, die sich schon seit gut 20 Jahren in der Substitutionsbehandlung schwer opioidabhängiger Menschen engagiert und die ihre Praxis mit dem Start des Zentrums in die Flurstraße verlegt hat. Anheyer, zupackend und zugewandt, schätzt den ganzheitlichen Ansatz aus psychosozialer und medizinischer Betreuung, der die Arbeit im Suchthilfezentrum prägt. Die Gabe der Ersatzmedikamente sei ein wichtiger Teil der Therapie und Wiedereingliederung. Sie nehme den Menschen den Sucht- und Beschaffungsdruck. „Die Patienten müssen nicht mehr klauen gehen, sie müssen sich nicht mehr prostituieren“, sagt Anheyer. Die suchtmedizinische Betreuung ermögliche zugleich, Begleiterkrankungen zu erkennen, zu behandeln und damit auch Infektionskrankheiten wie HIV und Hepatiden einzudämmen. „Das erspart dem Gesundheitswesen Kosten, weil beispielsweise lange Krankenhausaufenthalte vermieden werden. Dieser Aspekt wird leicht übersehen“, sagt Anheyer. Die Behandlung der Opioidabhängigen ist streng geregelt. Rechtliche Grundlage sind die Betäubungsmittelverschreibungs-Verordnung, die Richtlinien der Bundesärztekammer und die Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung des Gemeinsamen Bundesausschusses. Als Ersatzmedikamente zugelassen sind Levomethadon, Methadon oder Buprenorphin, in Ausnahmefällen auch Codein oder Dihydrocodein und Diamorphin. Bezahlt wird die Substitutionstherapie seit 1991 von den gesetzlichen Krankenkassen. Seit 2009 ist auch die Therapie Schwerstabhängiger mit Diamorphin Bestandteil des GKV-Leistungskatalogs. Traumata hinter der Sucht Über die Wahl des Ersatzmedikaments und dessen Dosierung entscheidet Anheyer gemeinsam mit den Patienten. „Das muss man sehr individuell einstellen – so wenig wie möglich, so viel wie nötig“, meint die Ärztin. Eine optimale Dosierung könne dabei helfen, Arbeitsfähigkeit herzustellen oder schlicht Beikonsum zu vermeiden. Hinter der Sucht steckten oft schwerste Traumatisierungen. Manche Patienten seien so jung in die Abhängigkeit geraten, „die haben im normalen Leben nie Fuß fassen können“. Da sei es wichtig, dass die Menschen durch die Substitution nicht nur wieder zurück ins Medizinsystem fänden, sondern in Zentren wie der Flurstraße 45 auch sozialarbeiterisch begleitet und psychosozial betreut würden. „Die Patienten haben hier Ansprechpartner, wenn es Ärger mit dem Vermieter gibt oder die Staatsanwaltschaft einen Stellungsbefehl zum Haftantritt ausgestellt hat. Die Sozialarbeiter begleiten die Menschen, wenn nötig, zum Arzt und zum Gericht“, sagt Anheyer. Man habe so die Möglichkeit, die Klienten „wieder ein bisschen“ gesellschaftlich zu integrieren. Erstmals eine Tagesstruktur Dazu trage auch die Substitutionstherapie als solche bei. Denn die Patientinnen und Patienten müssen ihre Ersatzmedikamente vor Ort unter Aufsicht einnehmen – jeden Tag. „Für viele ist es das erste Mal im Leben, dass sie eine Tagesstruktur haben. Wenn sie zum Teil über Jahre hinweg einmal täglich hierherkommen, ist das manchmal schon ein Riesenerfolg“, sagt Anheyer. Etwa ein Fünftel ihrer Patientinnen und Patienten erhalte eine sogenannte Take Home-Verordnung für fünf Tage, die sie selbst in der kooperierenden Apotheke einlösen könnten. Der Großteil dieser Patienten gehe wieder einer regulären Arbeit nach und müsse sich dann am Wochenende wieder in der Praxis vorstellen. Voraussetzung für die Take Home-Verordnung sei, dass die Patienten stabil und frei von Beikonsum seien. Auch bei Pflegebedürftigkeit, die einem täglichen Erscheinen entgegenstehe, sei das Take Home unter bestimmten Voraussetzungen möglich. Von dem ursprünglichen Therapieziel der Abstinenz habe sich die Suchtmedizin im Laufe der Jahre gelöst, sagt Anheyer. Beikonsum versuche man dadurch zu verhindern, dass man die Patienten ermutige, sich in stressigen Situationen mit erhöhtem Suchtdruck an den Arzt oder die Ärztin zu wenden, um gegebenenfalls die Dosis des Ersatzmedikaments vorübergehend anzupassen. „Sonst verliert man die Patienten wieder an die Straße“, so Anheyer. Axel Dannenfeld scheint sich seinen Platz im Leben zurückerobert zu haben. Der 63-Jährige erscheint pünktlich zum Gesprächstermin. Er wird seit 2018 in der Substitutionsambulanz von Dagmar Anheyer mit Methadon versorgt und ist einer ihrer Take Home-Patienten. Er hat gerade Mittagspause, arbeitet 30 Stunden die Woche im Programm ETAPPE der Caritas, das sich an Menschen in Substitution richtet. „Ich bin da in der IT tätig“, sagt Dannenfeld, der eigentlich gelernter Maurer ist. Die dazu notwendigen Kenntnisse habe er sich erst einmal aneignen müssen, aber alles, was mit Computern zu tun habe, interessiere ihn und mache ihm Spaß. „Ich mache, was anfällt: Notebooks neu installieren, Updates aufspielen. Außerdem verwalte ich das Lager“, beschreibt er seinen Arbeitsalltag. Dass er nach jahrzehntelanger Heroinabhängigkeit wieder eine Arbeit und eine eigene Wohnung hat, ein geregeltes Leben führt, hat für Dannenfeld viel mit der Substitutionsbehandlung zu tun. Denn mehrere Entzugsversuche, darunter ein halbjähriger Aufenthalt in einer Suchtklinik, waren zuvor gescheitert. „Ich bin raus aus der Therapie und nach einem oder zwei Tagen war ich wieder dabei“, sagt Dannenfeld. „Clean geworden bin ich dadurch nicht.“ Dazu kamen zahlreiche Haftstrafen wegen Beschaffungskriminalität. „Ich bin 1983 zum ersten Mal mit Heroin in Kontakt gekommen“, erzählt Dannen-
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=