22 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 10 / 2025 Interview medizinethischen Schwerpunktthemen, Transplantations- und Fortpflanzungsmedizin, wurden vom Ethikrat in meinen ersten vier Jahren nur am Rande behandelt. : Wie verlief die Diskussion im Ethikrat bei der Erarbeitung der Suizid-Stellungnahme? Frister: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, mit dem das Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung für verfassungswidrig und nichtig erklärt wurde, weil es das Recht auf selbstbestimmtes Sterben mithilfe hierzu bereiter Dritter gebe, führte auch im Ethikrat zu sehr kontroversen Diskussionen. Wir waren uns aber relativ schnell darin einig, dass dem Aspekt der Suizidprävention ein besonderer Stellenwert zukommt. Denn auch wenn man das Recht anerkennt, sich selbst notfalls das Leben zu nehmen, muss die Gesellschaft trotzdem alles tun, damit Menschen nicht in die Situation geraten, in der der Suizid als letzter Ausweg erscheint. In unserer Stellungnahme wird die Suizidprävention sehr stark betont, auch wenn das Recht des Einzelnen, sich freiverantwortlich selbst für Suizid zu entscheiden, grundsätzlich respektiert wird. : Was bedeutet hier „grundsätzlicher“ Respekt? Was sind die Anforderungen an die freiverantwortliche Entscheidung? Frister: Diese Frage hat uns in der Diskussion im Ethikrat sehr beschäftigt und wird auch in der Stellungnahme ausführlich behandelt. Natürlich ist die Entscheidungsfindung, ob jemand im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte ist, eine schwierige Gratwanderung. Aber ganz konkret sollte sichergestellt sein, dass ein suizidgefährdeter Mensch hinreichend über Alternativen informiert ist. Wenn sich jemand aufgrund einer schweren oder unheilbaren Erkrankung suizidieren will, muss er eine zutreffende Vorstellung davon haben, welche kurativen und palliativen Behandlungsmöglichkeiten es gibt. Hierzu müsste es präventiv ein Beratungsangebot geben, genauso bei anderen Suizidgründen. Freiverantwortlicher Suizid heißt dann aber auch, dass der oder die Betreffende in der Lage sein muss, das Für oder Wider vernünftig gegeneinander abzuwägen. : Das taugt dann aber kaum als eine konkrete Handlungsanleitung. Frister: Eigentlich sind alle ethischen Entscheidungen und viele juristische Entdert fühlte und in der Folge eine Reihe von Aufträgen zum Umgang mit der Pandemie an den Ethikrat vergab, unter anderem zum Für und Wider einer Impfpflicht. Dadurch bekam der Ethikrat in der öffentlichen Wahrnehmung eine Stellung, die er vorher nicht hatte und die er auch jetzt nicht mehr hat. Normalerweise ist es so, dass der Ethikrat seine zu bearbeitenden Themen selbst setzt. : Wie haben Sie sich denn – einmal abgesehen von der Pandemie – inhaltlich in die Arbeit des Ethikrats einbringen können? Frister: Ich war in meinen vier ersten Jahren federführend in der Arbeitsgruppe, die sich mit der Suizidproblematik auf der Grundlage des Urteils des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2020 auseinandergesetzt hat. Dazu veröffentlichte der Ethikrat im Jahr 2022 die Stellungnahme „Suizid – Verantwortung, Prävention und Freiverantwortlichkeit“. Zu jeder längeren Stellungnahme wird immer eine eigene Arbeitsgruppe gegründet mit einem Sprecher und einem Stellvertreter, die die Arbeit an der Stellungnahme federführend koordinieren. Zwei meiner weiteren : Herr Professor Frister, wie sind Sie als Strafrechtler zur Medizinethik gekommen? Frister: Parallel zum Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Düsseldorf übernahm ich im Jahr 1999 die Leitung des neu gegründeten Instituts für Rechtsfragen in der Medizin. Weil mich die Inhalte dort interessierten, bin ich zunehmend zum Medizinrechtler geworden. Darüber kam ich auch in die ärztlichen Gremien. So leite ich in der Ständigen Kommission Organtransplantation der Bundesärztekammer die Arbeitsgruppe zum allgemeinen Teil der Richtlinien. Bei der Ärztekammer Nordrhein bin ich Mitglied in der Ethik- und in der Präimplantationsdiagnostik-Kommission. Auf Vorschlag der FDP-Bundestagsfraktion bin ich dann im Jahr 2020 vom Bundestag in den Deutschen Ethikrat gewählt worden. : Wie fällt denn Ihr Rückblick auf Ihre ersten vier Jahre im Deutschen Ethikrat aus? Frister: Diese Jahre waren auch im Ethikrat in erster Linie durch Pandemie-Themen geprägt. Es war ja so, dass die Politik sich von der Covid-19-Pandemie etwas überfor- „Wir entscheiden nicht, sondern liefern die ethischen Argumente“ Seit Oktober 2024 ist Professor Dr. iur. Helmut Frister Vorsitzender des Deutschen Ethikrats. Mit dem Rheinischen Ärzteblatt sprach der Düsseldorfer Straf- und Medizinrechtler über seine Tätigkeit in dem Gremium in den vergangenen Jahren und aktuell dort anstehende Projekte. Foto: Christian Thiel/Deutscher Ethikrat
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