Rheinisches Ärzteblatt 11/2025

16 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2025 Spezial Doch zwischen Hippokrates (460–370 v. Chr.), dem Begründer der wissenschaftlichen Medizin und ärztlichen Ethik, und aktuellen ärztlichen Social Media Stars mit kommerziellen Eigeninteressen liegen Zeiten und Welten. Zwar gibt es auch unter den sogenannten Medfluencern viele Ärztinnen und Ärzte, die seriös über medizinische Themen informieren. Andere dagegen machen sich die Digitalisierung mit den Möglichkeiten der Fernbehandlung und den riesigen Reichweiten von Instagram, TikTok und Co. zunutze, um mit ins Feld geführter ärztlicher Kompetenz für Nahrungsergänzungsmittel oder kosmetische Eingriffe zu werben – mit der Folge, dass vielfach die Grenzen zwischen Medizin und Geschäft verschwimmen. Wiederholt haben Deutsche Ärztetage in den vergangenen Jahren vor den Folgen von Ökonomisierung und Kommerzialisierung in der Patientenversorgung gewarnt. „Zumutungen durch äußere Rahmensetzungen“, nennt sie Dr. Stefan Schröter. Der Dermatologe ist Mitglied des Vorstands der Ärztekammer Nordrhein und des Ad hoc-Ausschusses „Das Bild des Arztes / der Ärztin in der Öffentlichkeit“. Eine Zäsur stellt für Schröter die Einführung der diagnosebezogenen Fallpauschalen in den Krankenhäusern im Jahr 2003 dar. Seither seien diese mit dem „betriebswirtschaftlichen Virus“ infiziert. „Inzwischen haben in den Kliniken die Geschäftsführer mehr Macht als die Chefärzte“, kritisiert Schröter. Betriebswirtschaftliche Größen infiltrierten das ärztliche Handeln auf allen Ebenen (siehe Textkasten „Ethische Orientierung“). Einfluss der Investoren wächst Vor diesem Hintergrund sehen die Ausschussmitglieder auch den wachsenden Einfluss privater Finanzinvestoren in der ambulanten Versorgung kritisch. Der Trend ist eng verbunden mit der Einführung der Kooperationsform der Medizinischen Versorgungszentren (MVZ) im Jahr 2004, mit der über die Jahre immer größere Strukturen mit entsprechendem Investitionsbedarf entstanden sind. Deutsche Ärztetage fordern seit Jahren ein Einschreiten der Politik. Die Sorge: Die medizinische Versorgung könnte sich in Zukunft nicht mehr in erster Linie am Wohl der Patientinnen und Patienten orientieren, sondern an den Renditeerwartungen der Geldgeber. „Die Freiheit der Berufsausübung leidet unter den geltenden ökonomischen Zwängen“, fasst es ÄkNoVorstandsmitglied Schröter zusammen. „Früher war nicht alles gut“ Die zunehmende Fremdbestimmung der Ärztinnen und Ärzte problematisiert auch Ausschussmitglied Wolfgang Bartels. Der Orthopäde, der lange Jahre in eigener Praxis niedergelassen war, warnt vor den Folgen, die wachsender Druck durch Budgetierung und unzureichende Honorierung in der ambulanten Kassenmedizin, Regressandrohungen und fehlende Wertschätzung nicht nur für die Patientenversorgung, sondern auch für die Gesundheit der Ärztinnen und Ärzte haben kann. „Kolleginnen und Kollegen leiden vermehrt unter Burnout und Depressionen oder steigen vorzeitig aus dem Beruf aus“, sagt Bartels. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und zunehmenden Fachkräftemangels keine gute Entwicklung. Dr. Jana Aulenkamp, die ebenfalls dem Arztbildausschuss angehört, ist es ein Anliegen, nicht nur die negativen Aspekte des Wandels in den Blick zu nehmen. „Früher war nicht alles gut und heute ist nicht alles schlecht“, meint die angehende Anästhesistin. Sie dürfte für viele in der jüngeren Ärztegeneration sprechen, wenn sie das Bild vom selbstlosen Heiler, der rund um die Uhr bei Wind und Wetter für seine Patienten im Einsatz ist, als Ideal infrage stellt. Geregelte Arbeitszeiten und eine bessere Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Freizeit, hält Aulenkamp für große Errungenschaften, die insbesondere auf die Ärzteproteste Anfang der 2000er-Jahre zurückzuführen seien. Die Jungen Ärzte im Marburger Bund formulieren es in einem Video auf der Homepage der Ärztegewerkschaft so: Man wolle, „dass Patienten gesund und wir Ärzte nicht krank werden“. Dazu gehörten Arbeitszeitmodelle, in denen man alt werden könne, mehr Teamarbeit sowie mehr Entlastung und Substitution, außerdem flache Hierarchien und mehr Zeit für die Teilhabe an der Gesellschaft. In ihrer Generation stehen sie mit solchen Forderungen berufs- und branchenübergreifend nicht allein. Der Arztberuf ist – trotz aller Kritik an der hohen Arbeitsbelastung, überbordender Bürokratie und zu niedriger Honorare – bei jungen Menschen äußerst beliebt. Nach wie vor gibt es in jedem Jahr deutlich mehr Bewerber als Medizinstudienplätze; im Wintersemester 2024/25 kamen im Durchschnitt 3,2 Bewerber auf einen Studienplatz. Auch in der Gesellschaft genießen Ärztinnen und Ärzte weiterhin hohes Ansehen. Im aktuellen Ranking des Statistik-Portals Statista rangieren sie auf Platz vier – direkt nach Feuerwehrleuten, Kranken- und Altenpflegekräften. Und wenn auch in Politik und MeEine ethische Orientierung für einen verantwortungsvollen Umgang mit finanziellen Anreizen in der Patientenversorgung hat vor Kurzem die Zentrale Ethikkommission (ZEKO) bei der Bundesärztekammer vorgelegt. Veröffentlicht wurde die Stellungnahme am 1. Oktober im Deutschen Ärzteblatt. Wenn ärztliches Handeln Gefahr laufe, sich primär an ökonomischen Zielgrößen auszurichten, habe das weitreichende Folgen: Neben dem potenziellen Schaden einer möglichen Unter-, Über- oder Fehlversorgung durch ökonomische Fehlanreize wiege ein etwaiger Vertrauensverlust der Patientinnen und Patienten in die Patientenversorgung besonders schwer, heißt es im Vorwort der Stellungnahme. Zugleich sei es für viele Ärztinnen und Ärzte eine erhebliche moralische Belastung, wenn sie ihren eigenen professionsethischen Ansprüchen auf Dauer nicht gerecht werden könnten. Die ZEKO betont aber zugleich, dass ärztliches Handeln nicht durch die strukturellen Rahmenbedingungen mit ihren finanziellen Anreizen determiniert wird. Ärztinnen und Ärzte hätten regelmäßig Handlungsspielräume. Ethische Orientierung

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