Gesundheits- und Sozialpolitik 18 Rheinisches Ärzteblatt / Heft 11 / 2025 Im Jahr 1999 rief Ärzte ohne Grenzen die Kampagne „Zugang zu unentbehrlichen Medikamenten“ ins Leben und hob damit das aus Sicht der Hilfsorganisation verheerende Ungleichgewicht beim Zugang zu lebensnotwendigen Arzneimitteln auf die politische Agenda. Doch auch heute, über 25 Jahre später, erhalten Menschen in Entwicklungs- und Schwellenländern notwendige Medikamente und Impfstoffe oft nicht, weil sie sie schlicht nicht bezahlen können. von Jocelyne Naujoks „Noch immer sterben Menschen, weil sie sich die medikamentöse Behandlung, die sie brauchen, nicht leisten können“, sagt Nathalie Ernoult, Leiterin für Kommunikation und politische Arbeit von MSF Access, der vor gut 25 Jahren gegründeten Medikamentenkampagne von Ärzte ohne Grenzen (Médecins Sans Frontières, MSF). „Unseren Teams fehlen Tests und Medikamente, um Krankheiten zu diagnostizieren und zu behandeln.“ Noch immer haben laut Ärzte ohne Grenzen ein Drittel aller Menschen weltweit keinen Zugang zu dringend benötigten Medikamenten, in den ärmsten Regionen Afrikas und Asiens ist es sogar die Hälfte aller Menschen. Es fehlten grundlegende Medikamente zur Behandlung von Infektionskrankheiten wie zum Beispiel Tuberkulose oder HIV, die insbesondere in Afrika und Asien verbreitet sind, berichtet die Hilfsorganisation, die den medizinischen Notstand aus eigener Erfahrung kennt. Arzneimittel seien häufig nicht nur zu teuer. Einige Medikamente würden nicht mehr produziert, weil sie den Pharmaunternehmen keinen Gewinn mehr erbringen würden. Hohe Forschungsinvestitionen in neue Arzneimittel, Impfstoffe oder Diagnostika für Krankheiten, die vor allem in ärmeren Ländern verbreitet sind, seien für die Arzneimittelhersteller schlicht nicht profitabel. „Viele der Herausforderungen, vor denen wir vor über 25 Jahren standen, gibt es noch heute – auch wenn wir über die Jahre einige Erfolge erzielen konnten“, sagt Ernoult. Bis heute kämpfe MSF Access gegen rechtliche und politische Hindernisse, die Menschen in ärmeren Ländern den Zugang zu einer medizinischen Behandlung verwehrten. Einen Schritt vor, zwei zurück So sei es noch immer schwierig, medizinische Innovationen Menschen in ärmeren Regionen der Welt zur Verfügung zu stellen. „Die Maßgaben für die Forschung und Entwicklung neuer Arzneimittel sowie die Produktion, Lieferung, Lagerung und Verteilung sind nicht auf die medizinischen Bedürfnisse der Menschen ausgerichtet, die sie brauchen“, kritisiert Ernoult. Ein gutes Beispiel dafür sei die Entwicklung des ersten wirksamen Medikaments gegen Ebola, dessen Forschung und Entwicklung auch Ärzte ohne Grenzen unterstützt hat. „Obwohl das Medikament in den von Ebola betroffenen Ländern insbesondere in Zentralafrika viele Leben retten könnte, lagern diese Medikamente in Ländern, die nicht von der Krankheit betroffen sind“, kritisiert Ernoult. Die Entscheidung darüber, wer wann Zugang zu dem Medikament bekommt und zu welchem Preis liege allein bei den Pharmaunternehmen, die über das Patent verfügen und letztendlich auch bei den Regierungen der Länder, in denen die Unternehmen ihren Sitz haben. Dabei würden, so MSF, nationale Interessen oft als wichtiger erachtet als die globale Gesundheit. „Nach wie vor weiß niemand, wie man jetzt an das Medikament herankommt und wie das Arzneimittel auch langfristig schnell und zuverlässig zu den Patientinnen und Patienten gelangt, die es dringend brauchen“, sagt Ernoult. Forschungsprioritäten überdenken „Wir dürfen uns bei der Entwicklung neuer Medikamente nicht zu sehr auf die Freiwilligkeit der Unternehmen verlassen“, fordert die Sprecherin von MSF Access. „Die Logik des globalen Marktes entspricht nicht den Bedürfnissen der globalen Gesundheit“, moniert sie. Das zeige sich auch am Beispiel von Tropenkrankheiten oder Antibiotikaresistenzen immer wieder. Stattdessen fordert MSF, die Prioritätensetzung bei der Forschung und Entwicklung neuer Medikamente zu überdenken. So habe das Pharmaunternehmen Gilead mit Lenacapavir zur HIV-Prophylaxe einen entscheidenden therapeutischen Durchbruch erreicht. Doch obwohl das Unternehmen mit Der weltweite Zugang zu Medikamenten bleibt ungleich Die rechtzeitige Diagnose und richtige Behandlung mit neuen, effektiven Tuberkulose-Medikamenten kann Leben retten. Foto: Prem Hessenkamp
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